"Pro Oriente" thematisiert Versöhnung nach Völkermord in Ruanda
Wie Versöhnung nicht nur auf persönlicher, sondern auf kirchlicher Ebene gelingen kann, hat die deutsche Theologin Katharina Peetz in einem neuen Beitrag zum Blog "Healing of Wounded Memories" der Stiftung "Pro Oriente" am Beispiel von Ruanda dargelegt. Sie berichtet von entsprechenden kirchlichen Bußformen bzw. Versöhnungsprozessen, die vorbildhaft auch für andere Länder bzw. Regionen sein könnten.
Bis zu einer Million Tutsis fielen 1994 dem Völkermord in Ruanda zum Opfer, dazu auch einige Hutus, die versuchten, sie zu retten. Das Verhalten der christlichen Kirchen während des Völkermords sei ambivalent gewesen, so Peetz: "Einige Kirchenmitglieder bewiesen bemerkenswerten Mut, indem sie die Opfer ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeit schützten und dabei oft ihr eigenes Leben aufs Spiel setzten. Es gab jedoch auch viele Geistliche, Mönche, Nonnen und Laien, die direkt in den Völkermord verwickelt waren." Kirchengebäude, die einst als sichere Orte galten, seien zu "Schlachthäusern" geworden. Außerdem hätten Machtkämpfe innerhalb der christlichen Kirchen dazu geführt, dass sich einige Kirchenführer zum eigenen Vorteil mit dem völkermordenden Regime verbündeten.
Wie Peetz weiter ausführt, könne die kirchliche Buße angesichts des Völkermords in Ruanda nicht nur eine private oder einmalige Angelegenheit sein. Das Unrecht und das Leid der Opfer müssten immer wieder öffentlich benannt werden, "sie müssen als Unrecht, das den Kern der Kirche betrifft, bekannt sein und behandelt werden". Dazu gehörten radikale Transparenz und Wahrheitsfindung, das Einnehmen der Perspektive der Betroffenen und das Bemühen, ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Zur Buße der Kirche gehöre zudem auch "die Auseinandersetzung mit der eigenen Gemeinschaft, die kollektiv weggeschaut hat und oft weiter wegschaut".
Eine nachhaltige, Hoffnung gebende Umkehr der Kirche könne nur durch eine kontinuierliche, gemeinschaftliche Praxis der Buße gelingen, die sich konsequent an den Betroffenen orientiert und den "Stachel der Opfer" das Gesicht der Kirche verändern lässt. Dazu gehört in ihren Augen, so Peetz, auch das Bekenntnis der Kirche als heilig und sündig zugleich.
Basisinitiativen setzen Bußprozesse in Gang
Verschiedene Basisinitiativen in Ruanda setzten vielschichtige Bußprozesse in Gang, berichtet die Theologin weiter. Einer dieser Prozesse befasse sich mit der Tatsache, dass die genozidalen Verbrechen nicht nur die Opfer, sondern auch die ruandische Gesellschaft, die Kirche und auch Gott betroffen hätten. Rituale der Ausgrenzung und Wiedereingliederung würden deshalb genutzt, "um die Verletzung bzw. Heilung der Gemeinschaft der Kinder Gottes zu verdeutlichen".
Zu Beginn des Prozesses würden die Täter auf die Sakramente verzichten und würden rituell aus der Kirche ausgeschlossen. Seelsorgerinnen und Seelsorger stünden ihnen zur Seite, "wenn sie sich auf den Weg machen, ihre eigene Schuld zu erkennen, Reue zu empfinden, zu beichten und aktiv Buße zu tun". Gleichzeitig würden die Überlebenden in ihrem Prozess der Traumaverarbeitung und inneren Heilung seelsorgerlich ermutigt und begleitet, so Peetz: "Wenn beide Seiten dazu bereit sind, treffen sich Täter und Überlebende im Sakrament der Versöhnung vor Gott."
Hier sei freilich die Rolle der Überlebenden entscheidend. "Nur wenn sie eine wirkliche Herzens- und Sinnesänderung des Täters wahrnehmen und bezeugen, werden die Täter in einem gemeinsamen Versöhnungsgottesdienst mit anschließendem gemeinsamem Versöhnungsfest rituell in die Kirche reintegriert."
"Healing of Wounded Memories"
In dem Blog "Healing of Wounded Memories" (Verletzte Erinnerung heilen) werden über einen mehrmonatigen Zeitraum die Beiträge zur ersten internationalen Konferenz im Rahmen des gleichnamigen "Pro Oriente"-Projekts veröffentlicht, die vom 9. bis 11. November 2023 in Wien stattfand. Rund 50 Teilnehmende aus Europa, den USA und dem Nahen Osten hatten dabei Aspekte einer Theologie der Versöhnung reflektiert, zugleich aber auch konkrete geopolitische Konfliktfelder in der Ukraine, in Südosteuropa und im Nahen Osten in den Blick genommen.
2024 und 2025 werden regionale Workshops in besagten Regionen stattfinden. Die Ergebnisse dieser Workshops sollen anschließend in einer großen Abschlusskonferenz in Wien zusammengeführt werden. Für die Veröffentlichung der Projektbeiträge wurde statt einer Publikation in Buchform bewusst die Form eines Online-Blogs gewählt, um die Texte einer größeren Zielgruppe zugänglich zu machen. In dem Blog, der den gesamten Prozess begleitet, kommen Expertinnen und Experten verschiedenster Kirchen und Regionen zu Wort. (Infos: www.pro-oriente.at)
Quelle: kathpress