Tück: "Kirche funktioniert nicht einfach wie eine Demokratie"
Kirche und Politik sind in ausdifferenzierten modernen Gesellschaften "unterschiedliche Systeme mit unterschiedlichen Logiken". Das betont der Wiener Theologe Jan-Heiner Tück. Auch wenn der Wandel von feudalen zu demokratischen Gesellschaften die Kirche verändere, "funktioniert diese nicht einfach wie eine Demokratie", sagte der Dogmatikprofessor und Schriftleiter der Zeitschrift "Communio" sowie der digitalen Plattform "communio.de", im Interview mit der Kirchenzeitung der Diözese Linz (aktuelle Ausgabe). "In der Demokratie bildet die Volkssouveränität die Basis, die Kirche aber kommt von Christus her und hat einen sakramentalen Ursprung", so Tück: "Jesus selbst ist nicht zum Messias gewählt worden, auch die Apostel hat er nicht wählen lassen, sondern sie berufen."
Die göttliche Gnade gehe dem menschlichen Wirken immer voraus. "Die hörende, lernbereite, inklusive Kirche, die synodal unterwegs ist, stärkt zwar ein demokratieaffines Element in der Kirche", räumte der Theologe ein, "das ändert aber nichts daran, dass nach einer Konsultation aller beteiligungswilligen Gläubigen die Bischöfe mit dem Papst die finalen Beschlüsse treffen".
Zur Frage, ob dies nicht zu einer Entfremdung vieler heutiger, demokratisch sozialisierter Menschen von der Kirche führe, sagte der Theologe: "Ich selbst bin überzeugter Demokrat und kämpfe gegen die Demokratiemüdigkeit. Aber zugleich bin ich Katholik, der sich als Laie gerne einbinden lässt in eine die Nationen übergreifende Gemeinschaft, die vom Kollegium der Bischöfe mit dem Papst geleitet wird."
Er sehe das Problem eher darin, "dass wir uns in Strukturdebatten aufreiben, während metaphysisch obdachlose Zeitgenossen Fragen nach dem Sinn des Lebens stellen, auf die wir kaum eingehen". Ein Bischof, der sein Amt "einigermaßen glaubwürdig" ausübt, habe in demokratischen Gesellschaften keine Akzeptanzprobleme, zeigte sich Tück überzeugt. Auch andere Bereiche wie Wirtschaft, Finanzwesen und Verwaltung würden hierarchische Organisationsformen kennen.
Kirchliches Amt basiert nicht auf Wahl
Die Apostolizität erinnere daran, "dass das Amt in der Kirche nicht auf Wahl oder Delegation, sondern auf Ruf und Berufung basiert". Das sei heute freilich ein provokanter Gedanke, der an die sakramentale Verfassung der Kirche erinnert, so Tück: "Jeder Getaufte ist berufen, den Glauben zu bezeugen. Aber in der Gemeinschaft der Kirche kommt den Bischöfen der Dienst der Leitung zu. Dieses Amt wird ihnen sakramental übertragen - und sie können das nicht einfach delegieren."
Die moralische Autorität der bischöflichen Amtsführung wachse aber, "wenn sie die Expertise kompetenter Laien einholen". Schon das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) habe Formen synodaler Beteiligung auf den Weg gebracht. Dabei sollte man die Anstöße zu einer Spiritualität der Laien aber nicht überlesen: "Ihre primäre Berufung ist es, dem Evangelium in den komplexen modernen Gesellschaften ein ansprechendes Gesicht zu geben."
Kritik am deutschen Synodalen Weg
Tück bekräftigte im Interview auch einmal mehr seine - differenzierte - Kritik am Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland. Er unterstütze den Synodalen Weg entschieden dort, "wo es um die effektive Aufarbeitung des Skandals des Missbrauchs und seiner Vertuschung geht", sagte der Theologe. Auch teile er das Anliegen, das Bischofsamt stärker synodal einzubetten.
Probleme habe er aber damit, wenn vor Abschluss des Synodalen Prozesses der Weltkirche ein paritätisch von Laien und Bischöfen besetztes Leitungsgremium geschaffen werden soll, das über den künftigen Weg der Kirche in Deutschland entscheiden soll.
Eine derartige freiwillige Selbstbindung der deutschen Bischöfe an volatile Mehrheitsentscheidungen führe leicht in Loyalitätskonflikte, warnte der Theologe: "Durch ihre sakramentale Weihe sind die Bischöfe bereits gebunden - nämlich an das Kollegium der Bischöfe, das mit dem Papst für die Leitung der Gesamtkirche verantwortlich ist." Wenn sich die Bischöfe - oft durch medialen Druck verstärkt - zugleich an Gremienbeschlüsse mit radikalen Forderungen binden, führe das zu Zerreißproben. Außerdem gebe es Anfragen an die Repräsentation und theologische Legitimation solcher gemischten Gremien, sagte Tück.
(Interview auf der Website der Linzer KirchenZeitung: https://www.kirchenzeitung.at/site/kirche/weltkirche/interview-mit-communio-schriftleiter-jan-heiner-tueck-eine-andere-sicht)
Quelle: kathpress