NGOs: EU-Lieferkettengesetz gegen Preis- und Lohndumping
Ein europaweites Lieferkettengesetz fördert fairen Wettbewerb, wirkt Preis- und Lohndumping entgegen und verbessert Arbeitsbedingungen in Ländern des Globalen Südens: Darauf hat die AG Globale Verantwortung am Mittwoch in einer Online-Pressekonferenz hingewiesen. Der EZA-Dachverband, dem auch kirchliche Organisationen wie Caritas, Dreikönigsaktion und Diakonie angehören, widersprach damit Argumenten, wonach das Lieferkettengesetz Wettbewerbsnachteile für Zulieferer und damit Arbeitnehmende in Ländern des Globalen Südens mit sich bringen würde. In der am Mittwoch vorgestellten Kampagne "Menschenrechte brauchen Gesetze" betonten Expertinnen und Experten die positiven Auswirkungen des EU-Lieferkettengesetzes auf internationale Sozial- und Umweltstandards.
Die Wirtschaftsminister im EU-Rat hätten bereits am 9. Februar über das Lieferkettengesetz abstimmen sollen, jedoch sprach sich die deutsche FDP gegen den Gesetzesentwurf aus, woraufhin auch der österreichische Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) ankündigte, sich bei der Abstimmung in Brüssel enthalten zu wollen. Die Abstimmung wurde daher verschoben - zuerst auf den 14. Februar, nun auf voraussichtlich nächste Woche.
Die Gefahr sei gering, dass europäische Unternehmen als Folge des neuen Lieferkettengesetzes bestehende Wirtschaftsbeziehungen in Ländern des Globalen Südens aufgeben oder verdrängen könnten, meinte der wissenschaftliche Leiter des Österreichischen Forschungsinstituts für Internationale Entwicklung (ÖFSE), Werner Raza. Es gäbe für diesen Einwand "keine solide Grundlage", so der Ökonom. Das Gesetz werde vermutlich kaum Effekte auf die sehr niedrigen Lohnkosten im Globalen Süden haben, sondern wolle vorrangig die Arbeitsstandards optimieren. Letzteres würde sich positiv auf die Produktivität und damit auf die Unternehmen selbst auswirken, so der ÖFSE-Leiter.
Ein europaweit einheitliches Gesetz würde zudem dem sogenannten Lohn- und Preisdumping entgegenwirken und jene Unternehmen stärken, die bereits jetzt ihre Lieferketten genau beobachten würden, betonte Raza. Kritik äußerte der ÖFSE-Experte dabei an der EU, die zwar auf der globalen Bühne mit einer "werteorientierten Politik" auftrete, sich nun aber von einem Gesetz zurückziehen wolle, das international die soziale Marktwirtschaft stärken würde. Die sei eine "Doppelbödigkeit" und würde den Ruf der EU beschädigen.
Ähnlich argumentierte auch Johannes Jäger, Fachhochschulprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule des BFI Wien: Zwar gebe es schon jetzt Unternehmen, die angeben, sich infolge des Lieferkettengesetzes aus Ländern des Globalen Südens zurückzuziehen zu wollen - etwa ein großer deutscher Kaffeeröster - die positiven Nebeneffekte des Gesetzes würden aber überwiegen. Ein wirksames Lieferkettengesetz werde Unternehmen stärken, die schon jetzt ihrer Sorgfaltspflicht nachgehen und andere zu mehr Sorgfalt verpflichten, meinte Jäger.
Weiterhin Kostenvorteil
Laut einer im Vorjahr durchgeführten Studie der Arbeiterkammer über die zu erwartenden ökonomischen Folgen des Lieferkettengesetzes ("Expected economic effects of the EU Corporate Sustainability Due Diligence Directive") wird der Globale Süden weiterhin als Rohstofflieferant sowie Produktionsstandort erhalten bleiben. Jäger wies als einer der Studienautoren darauf hin, dass zwar manche Lieferanten ihre Tätigkeit aufgrund der verpflichteten Standards einstellen könnten, in solchen Fällen aber andere Unternehmen die Lücke füllen würden. Trotz verbesserter Arbeitsbedingungen bringe es für europäische Unternehmen weiterhin Kostenvorteile, in Ländern des Globalen Südens zu produzieren, auch wenn Menschen- und Umweltrechte eingehalten werden müssten.
Gegen die Angst vor einem "Bürokratiemonster" oder "Zertifizierungssystemen" argumentierte Julia Otten, Expertin für Unternehmensverantwortung der Anwaltskanzlei "Frank Bold" in Brüssel. Dem Lieferkettengesetz gehe es nicht um Zertifizierungen, sondern dass Unternehmen bereits präventiv versuchen müssen, Schäden zu verhindern. Diese "Bemühungspflichten von Unternehmen" könnten auch zivilrechtlich überprüft werden. Otter warnte vor einer weiteren Verzögerung oder Nachverhandlung des Gesetzes, da ansonsten die Gefahr drohe, dass das Lieferkettengesetz in die nächste EU-Legislaturperiode verschoben werden könnte. "Es gibt das Risiko, dass es nie verabschiedet wird", so die Juristin.
Appell an Wirtschaftsminister
Lukas Wank, Geschäftsführer der AG Globale Verantwortung, appellierte an Wirtschaftsminister Martin Kocher, "ein zukunftsweisendes nachhaltiges Wirtschaften zu ermöglichen und den erzielten Kompromiss für das Gesetz zu unterstützen". Wank kritisierte in einer Aussendung, "wie verbreitet ein profitmaximierendes Wirtschaftsverständnis ist, das Zwangs- und Kinderarbeit, Umweltverschmutzung und Raubbau begünstigt". Um europäischen Unternehmen ein tatsächlich nachhaltiges Wirtschaften zu ermöglichen, sei nun der Wirtschaftsminister gefragt, den erzielten Kompromiss für das Gesetz zu unterstützen, appellierte der AG-Geschäftsführer.
EU-Lieferkettengesetz
Zum Hintergrund: Im April 2022 kündigte der belgische EU-Justiz-Kommissar Didier Reynders einen Entwurf für ein sektorübergreifendes europäisches Lieferkettengesetz an. Dem waren nationale Gesetze in Frankreich (2017) und Deutschland (2021) vorausgegangen. Im März 2021 stimmte im Europäischen Parlament eine überwältigende Mehrheit der Abgeordneten für einen Initiativbericht, der auch einen Richtlinienvorschlag enthielt. Im Februar 2022 wurde von der Europäischen Kommission ein Entwurf mit dem Titel "Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit" veröffentlicht.
Der Positionierung der Mitgliedssaaten im Rat im November 2022 und des Plenums des EU-Parlaments im April 2023 waren die sogenannten Trilog-Gespräche zwischen den EU-Institutionen und eine politische Einigung im Dezember 2023 gefolgt. Der weitere Fahrplan sieht eine finale Behandlung im zuständigen Justiz-Ausschuss des EU-Parlaments, im Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten und die Beschlussfassung im Plenum des EU-Parlaments spätestens im April 2024 vor.
Durch das EU-Lieferkettengesetz sollen große Unternehmen - mit mehr als 500 bzw. in Risikosektoren mit mehr als 250 Beschäftigten - zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren.
Damit der Text verabschiedet werden kann, wäre eine qualifizierte Mehrheit (55 Prozent der Mitgliedsstaaten oder 15 von 27 oder Mitgliedsstaaten, die 65 Prozent der Bevölkerung abbilden) im Ausschuss der Ständigen Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten nötig. Bereits Anfang Februar hatten u.a. die katholischen Bischöfe Werner Freistetter und Stephan Turnovszky an die österreichische Politik appelliert, dem EU-Lieferkettengesetz zuzustimmen.
Quelle: kathpress