Religionsvertreter: Gegen politischen Religions-Missbrauch aufstehen
Angehörige aller Glaubensrichtungen müssen sich immer wieder die Friedensappelle ihrer heiligen Schriften vor Augen halten und sich dagegen wehren, dass ihre Religion zum Durchsetzen politischer Machtansprüche missbraucht wird. Zudem kann langfristiger politischer Friede ohne Mitwirkung der Religionen nicht gelingen: Das war der Tenor einer Podiumsdiskussion von Vertretern von vier Weltreligionen, die am Mittwoch im Wiener Curhaus stattgefunden hat. Die Veranstaltung unter dem Titel: "Missbrauchte Botschaft - wie glaubwürdig können Religionen heute noch von Frieden reden?" fand innerhalb der "UN Interfaith Harmony Week 2024" statt.
Die Diskussion war ausgerichtet von der Coalition of faith-based Organizations (CFBO). Deren Präsident Elmar Kuhn äußerte als Moderator des Abends Sorge über eine allgemeine "Verrohung der Gesprächskultur" und einen "Vorrang des Faustrechts über die Vernunft". Viel von dem, was in den fast 80 Jahren seit der Gründung der Vereinten Nationen erreicht worden sei, gehe gerade in Brüche. Die Religionen hätten mit ihren Friedensbotschaften bisher wichtige Impulse gegeben, wie das an das aus den Schriften entnommene "Schwerter zu Pflugscharen schmieden" erinnernde Friedensmahnmal vor dem New Yorker UN-Gebäude zeige. In jüngsten Jahren würden sie jedoch mit Hass, Gewalt und brutaler Ausgrenzung in Verbindung gebracht.
Die Wiener Sozialethikerin Ingeborg Gabriel wehrte sich gegen die Darstellung, wonach Religionen per se friedfertig seien und ihre Lehren bloß instrumentalisiert würden. Dies wäre "Whitewashing", so die katholische Theologin. Vielmehr seien religiöse Menschen "genauso anfällig für Versuchungen" und hätten in ihren Reihen "neben Friedensförderern und Heiligen auch religiöse Fanatiker, die zum Erreichen eigener Ziele auf Gewalt und Exklusivität setzten". Die Folge sei eine Art weltweiter "Religionsaufrüstung, die sich quer durch alle Religionen zieht".
Gerade deshalb, so Gabriel, sei eine Rückbesinnung auf die Friedensessenz der Glaubensrichtungen vonnöten - konkret "das Bewusstsein, dass der Name Gottes in vielen Konflikten missbraucht und somit gegen ein zentrales Gebot der Religionen verstoßen wird". Für das Christentum seien hier vor allem die Seligpreisungen maßgeblich mit deren Appell, keine Gewalt anzuwenden und Frieden zu stiften. Freilich: "Vertritt man heute eine Position langfristigen Friedens - etwa im Ukrainekrieg - gerät man schnell zwischen alle Fronten, und fordert man Versöhnung, wird einem Verrat vorgeworfen", so Gabriel.
Geschichte als Warnung
Weiters gab die Gabriel zu bedenken, dass die Religionskriege jene Momente in Europas Geschichte gewesen seien, die Religion unglaubwürdig gemacht hätten. "Das sollte auch heute eine Warnung sein an die Gläubigen", so die Theologin. Das "Elefantengedächtnis" der Religionen sei zwar oft Schatz und Reichtum, könne aber ebenso auch zu einem kollektiven Opferbewusstsein aufgrund eines historischen Unrechts nach sich ziehen. Der in Indien soeben eingeweihte Hindu-Tempel am Ort einer früheren Moschee sei dafür ein Beispiel. "Kann man nicht zwei Religionsgemeinschaften gemeinsam und nebeneinander ihren Gott feiern lassen?", hinterfragte die Expertin. Friede brauche die "Überwindung der hegemonialen Dominanz".
Angehörige der Religionen müssten heute auf allen Ebenen zu Frieden beitragen, so die Sozialethikerin, die auch OSZE-Sonderbeauftragte im Kampf gegen Rassismus, Xenophobie, Intoleranz und Diskriminierung vor allem gegen Christen und Mitglieder anderer Religionen ist. Die Gläubigen sollten "durch Friedensgesinnung für das Göttliche einzutreten", was in der globalen Welt auch die derzeit in Krise befindlichen internationalen Institutionen benötige. Zudem seien gemeinsame Friedens-Bekenntnisse der Spitzenvertreter vonnöten. Als "Hoffnungszeichen" wertete Gabriel diesbezüglich das vor fünf Jahren von Papst Franziskus und Großimam Ahmad Al-Tayyeb unterzeichnete Dokument über die Geschwisterlichkeit von Abu Dhabi. Es könnte "Grundlage für eine Allianz der Moderaten aus allen Religionen" werden.
Lehren vom Frieden
Auch die weiteren am Podium beteiligten Religionsvertreter hoben hervor, das Friedenspotenzial der Religionen gelte es zu retten und deren Missbrauch anzuprangern. Die Büroleiterin der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Edina Husovic, sah bei der Frage, "ob die Religion nun Werkzeug des Friedens ist oder nicht", jeden einzelnen Gläubigen gefordert. Auf alle komme es an, damit Religion nicht Machtansprüche durchsetze oder für "Konflikt und Hass" instrumentalisiert werde, sondern dazu diene, "Brücken zu bauen, Dialog zu fördern und gemeinsam auf Frieden hinzuarbeiten", etwa durch Fürsorge für Opfer von Gewalt und Unrecht oder auch durch das Vermitteln von Hoffnung.
Dass der Islam auf Frieden ausgerichtet sei, sah die Muslimen-Vertreterin durch viele Koranverse bestätigt. Der Aufruf zur Friedfertigkeit gehöre zu den zentralen Glaubensaussagen, das Gruß- und Friedenswort "Salam" sei einer der Namen Gottes. Friede und sozialer Zusammenhalt brauche aktives Engagement, Bemühen um Verständnis und Suche nach Gemeinsamkeiten, so Husovic.
In jüdischen Schriften gilt der Friede als eine der drei "Säulen" der Welt neben Wahrheit und Gerechtigkeit, sagte der Wiener Oberrabbiner Jaron Engelmayer. Auch im Judentum sei "Schalom" Friedensgruß und zugleich "einer der Namen Gottes", zudem komme der Friede in allen wichtigen Gebeten wie etwa im Tischgebet oder im Priestersegen Kaddisch vor. Statt Exklusivität werde die Vielfalt als Ausdruck der "Größe Gottes" betont, zudem sei das Judentum "nicht missionarisch" und kenne auch für Nicht-Juden den Heilsweg eines rechtschaffenen Lebens. "Dass Gott zuerst einen Menschen schuf, von dem alle anderen abstammen, zeigt, dass niemand besser als der andere ist", sagte Engelmayer.
Ein genaues Hinschauen auf "fundamentalistische Randgebiete" der Religionen forderte Gerhard Weissgrab, der Präsident der Buddhistischen Religionsgesellschaft. Es sei höchst gefährlich, wenn sich Nationalismus mit dem Exklusivitätsanspruch einer Religion verbinde, die sich selbst als "einzig wahre" sehe, zumal dies jede Diskussion unterbinde. Religionen würden somit zur Wurzel für Probleme und Unfrieden. In den buddhistischen Schriften komme der "Friede" zwar nicht explizit vor, das Hauptziel der Befreiung von Leid sei jedoch "wichtige Voraussetzung" für diesen, sagte Weissgrab. "So lange Ungerechtigkeit und Leid herrschen, gibt es keinen Frieden. Religionen sind ein wertvolles Fahrzeug zu diesem Ziel."
Vorbildhafter Dialog
Mit Nachdruck bekannten sich alle Anwesenden zum Dialog zwischen den Spitzen der Glaubensrichtungen und sahen diesen in Österreich auf einem guten Weg. Buddhisten-Präsident Weissgrab bezeichnete die Alpenrepublik als ein "Paradies" und "internationales Vorbild" in Bezug auf Religionsfrieden. Freundlichkeit, Akzeptanz und "permanentes Miteinander mit Respekt der Unterschiede" präge den Umgang zwischen den Religionsvertretern.
Ähnlich nannte die Muslimen-Vertreterin Husovic den interreligiösen Austausch als "unschätzbares Gut", das positive Beziehungen zueinander, das Verständnis füreinander und die gegenseitige Achtung stärke. Er helfe dabei, "sich auf andere einzulassen, ohne die eigene Position zu untergraben" und trage zu mehr Pluralismus bei - "auch innerhalb der Religionen". Der Kontakt zwischen den Glaubensvertretern ermutige zudem auch die Gläubigen, "vorgefasste Meinungen über den anderen zu hinterfragen und Vorurteile abzubauen".
Quelle: kathpress