Scheuer: "Relativierung des Holocaust bis zur Wiederholung?"
Mit deutlichen Worten hat der Linzer Bischof Manfred Scheuer vor bedenklichen Entwicklungen in der Gesellschaft gewarnt. In einem Kathpress vorliegenden Beitrag zum Internationalen Tags des Gedenkens an die Opfer des Holocaust (27. Jänner) betont Scheuer, dass Demokratie, Freiheit und Menschenrechte täglich neu erarbeitet und bewahrt werden müssten. Er zeigt sich bestürzt angesichts neuer antisemitischer Entwicklungen auch in Österreich, warnt vor Gleichgültigkeit und hält u.a. wörtlich fest: "Wie weit ist es von der Relativierung des Holocaust bis zur Wiederholung?"
Am 27. Jänner 1945 wurde das NS-Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz befreit. Dieser Tag des Gedenkens mache klar: "Ohne Erinnerung gibt es keine Zukunft. Wer sich nicht erinnert, nicht erinnern will, dem entgleiten Menschlichkeit und Mitgefühl. Und der entfernt sich auch von Gott", so der Bischof.
Es sei "unerträglich, wenn sich Jüdinnen und Juden auch in Österreich nicht mehr öffentlich als solche zeigen können", schreibt Scheuer. Es sei "alarmierend, wenn sie aus Angst die 'Mesusa' von ihren Wohnungstüren entfernen". Und es sei "ein Wahnsinn, dass man in der Anonymität der sozialen Medien völlig ungeniert antisemitische Stereotypen verbreiten, beleidigen und scheinbar ohne Konsequenzen gegen Andersdenkende hetzen kann".
Am 27. Jänner geht es um das Bewusstsein von der Abgründigkeit und von der Gefährdung des Menschen, betont Scheuer weiter: "Es gibt Geleise vom gehässigen Wort, vom verächtlichen Bild, von den Verschwörungsmythen in die Gaskammern. Es führen Autobahnen von der Verachtung zur Ermordung und von der Musterung zur Liquidierung. Und das Denken, die Ideologie drängt zur Umsetzung in der Tat." Es sei nicht allzu weit "von der Gleichgültigkeit, von der Bürokratie bis zur Auslöschung oder vom Vorurteil bis zur Vernichtung".
"Lügenpropaganda" bzw. "Fake News" würden zum "Nährboden für Feindbilder, für Sündenbockmechanismen, von bösem Mobbing und mörderischer Ausgrenzung", schreibt Scheuer und fragt besorgt: "Wie weit sind aktuelle Erfahrungen des Antisemitismus, Instrumentalisierungen der Shoah von Auschwitz entfernt? Wie weit ist es von der Relativierung des Holocaust bis zur Wiederholung?"
Zivilisationsprozess nicht unumkehrbar
Bei der Erinnerung gehe es auch um das Bewusstsein einer Gefährdung, "dass der Zivilisationsprozess nicht unumkehrbar ist, dass Demokratie, Freiheit, Menschenrechte und Menschenwürde keine Selbstläufer sind". Und es gehe auch um Scham und Schuld, so Scheuer: "Wir erkennen heute beschämt, dass mit der Shoah der Name des Ewigen geschändet wurde, ohne dass viele unserer christlichen Vorfahren im Glauben dies gespürt hätten." Politische Naivität, Angst, eine fehlgeleitete Theologie, die über Jahrhunderte hinweg die Verachtung des jüdischen Volkes gelehrt hatte, und mangelnde Liebe hätten viele Christen damals veranlasst, gegenüber dem Unrecht und der Gewalt zu schweigen, die jüdischen Menschen in Österreich angetan wurden, hielt Scheuer einmal mehr fest.
Shoah hinterließ tiefe Risse
Beim Gedenken an die Shoah geht es auch um "ein Bewusstsein von dem, was schmerzlich abgeht": Die Shoah habe tiefe Risse hinterlassen. Scheuer: "Bis heute fehlen die Jüdinnen und Juden, die Synagogen und andere jüdische Einrichtungen; es fehlt, wie diese gelebt, geliebt, gewirkt und geglaubt haben. Es fehlen menschliche, kulturelle, wirtschaftliche und auch spirituelle Werte."
Der Einsatz gegen Antisemitismus beinhalte für die Kirchen die bleibende Verantwortung, "dass wir uns mit dem eigenen Versagen auseinandersetzen und gegen das Vergessen wirken". Eine Begegnung von Christen mit Juden sei nicht ohne Scham und Reue, Umkehr und Buße möglich. Christinnen und Christen seien heute dankbar für das Glaubenszeugnis Israels und für die religiöse Praxis von Jüdinnen und Juden. Papst Franziskus rufe es immer wieder in Erinnerung: "Es ist unmöglich, Christ zu sein und gleichzeitig Antisemit."
Quelle: kathpress