Religionswissenschaftler: Verhältnis Religion-Demokratie ambivalent
Dem Grazer Religionswissenschaftler Franz Winter zufolge bleibt das Verhältnis von Religion und Demokratie zweideutig: Entgegen mancher Stimme, die Religion als notwendige Ergänzung moderner Gesellschaften sehe, müsse festgehalten werden, dass geschichtlich betrachtet Religion und Demokratie oftmals Gegenspieler waren und das eine gegen das andere errungen erkämpft werden musste, schreibt Winter in einem Gastbeitrag in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung "Die Furche" (25. Jänner). Es müsse "kritisch die Frage nach dem grundsätzlichen Verhältnis beziehungsweise der Verträglichkeit von Religion und Demokratie gestellt werden. Bei näherer Betrachtung dieses Beziehungsverhältnisses ist durchaus Vorsicht geboten", so Winter.
Historisch betrachtet hätten Religionen insgesamt über Jahrtausende "feudale, nicht-demokratische und streng hierarchisierte Gesellschaftssysteme nicht nur mitgetragen, sondern vielmehr aktiv legitimiert und gestützt". In der vom Christentum geprägten europäischen Tradition etwa habe lange Zeit die Vorstellung einer "gottgewollten gestuften Wirklichkeit" mit einer als gottgegeben erachteten "Vorordnung aristokratischer Schichten" vorgeherrscht. Ähnliche religiöse Legitimationsmuster für gesellschaftliche Hierarchien gebe es auch in anderen Religionen und Gesellschaften, etwa in Indien, führte der Religionswissenschaftler aus: "Das, was wir heute als liberale demokratische Systeme erleben, musste sich historisch gesehen gegen die institutionalisierten Religionen durchsetzen."
Auch heute Nähe zu Autoritarismus
Gewiss seien Religionen auch immer wieder Triebfedern von "Demokratisierungstendenzen" gewesen - allerdings meist im Kontext ihres Einsatzes für die Religionsfreiheit und weniger im Kontext breiter gesellschaftlicher Demokratisierungsprozesse. Auch in der Gegenwart lasse sich daher "keine intrinsisch positive Verbindung zwischen Religionen und liberaler Demokratie beobachten", so Winter weiter. Im Gegenteil, werfe doch die Nähe von politisch-autoritären Modellen zu Religionen wie etwa in Polen (PiS-Partei) die Frage auf, ob Religionen nicht gar "strukturell eine gewisse Affinität zu hierarchischen (...) Systemen haben", seien sie von ihrem Grundkonzept her doch "mit dem Tradieren und Bewahren einer spezifischen inhaltlichen Botschaft verbunden".
Andere Beispiele wiederum könnten genannt werden, wo Religionen gerade in ihrer Früh- und Entstehungsphase Momente der Befreiung und damit einhergehende "soziale Sprengkraft" in sich trügen, verwies Winter etwa auf den Islam und auf den Buddhismus. Die Beziehung zwischen Religion und Demokratie bleibe daher zweideutig und ein weiteres Nachdenken lohnend. "Man sollte aber keinesfalls so tun, als ob dieses Verhältnis ein natürliches wäre".
Quelle: kathpress