Studie: Jugendliche kennen Hilfsangebote zu Suizid noch zu wenig
Mehr als die Hälfte von Österreichs Schülerinnen und Schülern zwischen 10 und 18 Jahren hat in den Medien noch nie Hilfsangebote zum Thema Suizid wahrgenommen, obwohl sie dort immer wieder auf problematische Weise damit in Berührung kommen: Darauf deutet eine umfangreiche Studie hin, die Forscher der Universität Wien und der Meduni Wien durchgeführt haben. Die Ergebnisse wurden am Montag bei einer Pressekonferenz vorgestellt - gemeinsam mit einem ersten Zwischenbericht der Aktionstage zur psychischen Gesundheit "Mental Health Days", in deren Rahmen die 6.700 Teilnehmenden befragt worden waren.
Durchschnittlich dreieinhalb Stunden pro Tag widmen die befragten Jugendlichen ihrem Smartphone, wobei Dienste wie Instagram, Facebook und TikTok am meisten genutzt werden. "Buben verbringen mehr Zeit mit Streamen und Gamen, Mädchen sind eher auf Messenger-Diensten", berichtete Studienautor Tobias Dienlin vom Publizistik-Institut der Universität Wien. 35 Prozent seien im Internet bereits auf Suizidberichte, 21 Prozent auf Suizidaufrufe und 9 Prozent auf Suizidvideos gestoßen - wobei viele aber mit dortigen Hilfsangeboten nicht vertraut sind: Nur jeder Zweite sucht online manchmal Tipps und Tricks für das psychische Wohlbefinden, jeder Dritte psychologische Hilfen und nur jeder Fünfte Angebote der Suizidprävention. "54 Prozent haben ein solches Angebot noch nie gesehen", so Dienlin.
Besseres Wissen um die verfügbaren Hilfen wäre von großem Vorteil, durchlaufen doch Jugendliche auch laut der Studie außer den Höhen immer wieder auch "Tiefen" der emotionalen Befindlichkeit. Auch wenn drei Viertel der Befragten angaben, sie seien grundsätzlich zufrieden mit ihrem Leben - Buben tendenziell mehr als Mädchen, sich als "diverse" Bezeichnende am wenigsten -, berichteten zwei Drittel von Momenten der Müdigkeit, Niedergeschlagenheit, Schwermut und Hoffnungslosigkeit, sowie 59 Prozent von Konzentrationsschwierigkeiten. 27 Prozent gaben an, sie hätten innerhalb der letzten zwei Wochen Suizidgedanken gehabt, neun Prozent sogar täglich. Dies sei "sehr viel", unterstrich Studien-Coautor Paul Plener von der Med Uni Wien.
Psychische Gesundheitskompetenz
Genau diesen Missstand wollen die im Schuljahr 2022/23 gestarteten "Mental Health Days" vorbeugend beheben, über welche der Medienexperte Golli Marboe vom "Verein zur Forderung eines selbstbestimmten Umgangs mit Medien" eine erste Zwischenbilanz zog. In jeder Schule Österreichs soll, so sein erklärtes Ziel, "einmal pro Jahr die seelische Gesundheit explizit besprochen werden - so wie es heute schon vielerorts ein Sportfest gibt". Konkret geht es bei den Aktionstagen um Themen wie Mobbing, Körperbewusstsein, Internetabhängigkeit, Leistungsdruck, Sucht, Depression, Suizidalität oder Existenzängste. Das Programm zur Vermittlung psychischer Gesundheitskompetenz ("Health Literacy") hat seither mehr als 35.000 Schülerinnen und Schüler erreicht.
Nur eine Unterrichtsstunde - 50 Minuten - dauern die einmal jährlich vorgesehenen, an Vormittagen angesetzten Experten-Workshops, auf die jeweilige Altersstufe und den Schultyp angepasst. Zudem wird auch über Hilfs- und Weiterbildungsangebote informiert. Schülerinnen, Schüler und auch Lehrlinge sollen auf diese Weise über Strategien der Krisenbewältigung, Hilfsangebote und Anlaufstellen erfahren und lernen, dass es oft auch schulintern Unterstützung gibt wie etwa Schulärzte oder -psychologen. Ein eigenes Modul für Lehrer von Experten der Telefonseelsorge vermittelt Grundlagen der Krisenintervention, eine Abendeinheit wendet sich darüber hinaus an interessierte Eltern.
Beim Ziel einer bundesweiten Einführung an der Aktion sei man auf gutem Weg, erklärte Marboe. In den fünf östlichen Bundesländern gibt es das Angebot bereits, in Salzburg startet es im Schuljahr 2024/25. Unter den bereits beteiligten Schulen sind auch zahlreiche Ordensschulen und Schulen in kirchlicher Trägerschaft, darunter etwa die Stiftsgymnasien Melk und Seitenstetten, das Wiener Schottengymnasium und -realgymnasium, die Bischöflichen Gymnasien Linz und Augustinum Graz, die Mittelschulen des Schulvereins der Dominikanerinnen Wien und Franziskusschule Ried, das Wiener Schulzentrum Kenyongasse und das Wiener Caritas-Ausbildungszentrum Seegasse. Unterstützt wird das Programm u.a. vom Bildungs- und vom Gesundheitsministerium, von der Stadt Wien, der ORF-Aktion "Licht ins Dunkel" sowie der Arbeiterkammer.
Aktionswoche Suizidprävention
Im Rahmen der "Blue Monday Week" lädt die Initiative "Mental Health Literacy" zudem zu einer Veranstaltungsreihe rund um das Thema Suizidprävention und seelische Gesundheit ein. Am Montagnachmittag war eine Podcast- und Radioaufzeichnung von Betroffenen zum Thema "wie soll über psychische Gesundheit gesprochen werden" angesetzt, am Dienstag der Live-Dreh eines Instagram-Musikvideos, das im Unterricht gezeigt werden soll. Am Donnerstag gibt es um 18 Uhr im Wiener Dommuseum einen Talk zur psychischen Gesundheitsvorsorge angesichts von Tod und Suizid, mit Museumsdirektorin Johanna Schwanberg, Golli Marboe, der Bundesverbandspräsidentin für Psychotherapie Barbara Haid und dem Suizidforscher Thomas Niederkrotenthaler.
(Infos: www.mentalhealtdays.eu, www.mentalhealthliteracy.eu/)
Quelle: kathpress