Tagung: Geschlechtergleichstellung zentral für gerechten Frieden
"Es gibt keinen gerechten Frieden ohne Geschlechtergerechtigkeit": Das hat die Münsteraner Theologin und Ostkirchenexpertin Regina Elsner bei einer Tagung zum Thema christliche Friedensethik in Innsbruck unterstrichen. Die Theologie müsse auch eigenen Machtstrukturen und Ideologien hinterfragen, betonte Elsner und kritisierte dabei die christlichen Kirchen: Der Kampf für ein patriarchales Gesellschaftssystem und sogenannte "traditionelle Familienwerte" verbinde die Russisch-orthodoxe Kirche, den Vatikan, aber auch viele Mitglieder des weltweiten Ökumenischen Rates der Kirchen und politisch-autoritäre Regime. Dabei sei es "politisch und theologisch nicht irrelevant", wie und ob überhaupt Frauen repräsentiert oder aber nur als Opfer wahrgenommen werden.
Die Professorin für Ostkirchenkunde und Ökumenik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster war eine der Vortragenden bei einer am Freitag endenden dreitägigen Zusammenkunft des "Innsbrucker Kreises". Moraltheologie- und Sozialethik-Lehrende widmen sich dabei regelmäßig aktuellen, ihre Fachgebiete betreffenden Fragen und nutzen dafür auch die Expertise von Kolleginnen und Kollegen aus Recht, Medizin, Politikwissenschaft, Philosophie, Islamwissenschaften u.a. Die Tagung von 3. bis 5. Jänner war anhand der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten der christlichen Friedensethik gewidmet.
Teilnehmer waren u.a. mit Michael Walzer (Princeton) einer der wichtigsten Vertreter der politischen Ethik der Gegenwart, weiters der Innsbrucker Sozialethiker und Pax-Christi-Österreich-Präsident Wolfgang Palaver, Marco Schrage von der Päpstlichen Academia Alfonsiana in Rom sowie der Jesuit Christian Rutishauser, ständiger Berater des Heiligen Stuhls für die Beziehungen zum Judentum.
Krieg in der Ukraine "religiös aufgeladen"
Die Münsteraner Theologin Regina Elsner markierte die Ambivalenzen und Leerstellen religiöser Diplomatie im Krieg Russlands gegen die Ukraine. "Der Krieg ist kein Religionskrieg, aber es ist unbestreitbar, dass vor allem die Ideologie dieses Kriegs religiös aufgeladen ist", so Elsner. Die Russisch-orthodoxe Kirche legitimiere den Krieg als metaphysischen Kampf gegen "Liberalismus" und "Genderideologie" - und finde - freilich gewaltfrei ausgerichtete - Verbündete dieser Haltung auch in anderen Kirchen.
Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine erinnerte Moraltheologe Marco Schrage an die deklarierten russischen Kriegsziele, die es der Ukraine verbieten würden, ihre Verteidigung zu beenden. "Wenn die europäischen Regierungen den Schutz der elementaren Menschenrechte ernst nehmen, dann ist es geboten, dass die Belastung für die Unterstützung der Ukraine noch deutlich steigt", forderte Schrage die Solidarität der EU ein. Bleibe diese aus, drohe als kontrafaktisches Szenario mit der Ukraine als einem totalitären Vasallenstaat Russlands oder aber einem Besatzungsregime, aus dem alle fliehenden Ukrainer aufgenommen werden müssen. Beides wären massive Herausforderungen für das Gemeinwohl in ganz Europa, so der Theologe.
Israel in "asymmetrischer Falle"
Mit der aktuellen Nahost-Krise befassten sich Michael Walzer und Christian Rutishauser: Walzer sieht die israelische Führung in der "asymmetrischen Falle" eines Kriegs, der von der Hamas konstruiert wurde: Wie kann man gegen einen Feind kämpfen, der sich gezielt tief in die Zivilbevölkerung eingräbt und Raketen aus Schutzzonen für Zivilisten abfeuert - und dabei auch moralisch nicht verlieren, so die Frage des 88-jährigen US-amerikanischen Sozial- und Moralphilosophen. Es sei unmöglich, diesen Krieg ohne zivile Opfer zu führen. "Aber Israel kann nur für jene Opfer verantwortlich gemacht werden, die vermieden werden können", so Walzer.
Die Terrorattacke vom 7. Oktober ist nach den Worten von Vatikan-Berater Rutishauser eine Zäsur im Nahostkonflikt und in den jüdisch-christlichen Beziehungen. "Plünderung, Folter, Leichenschändung, Kindermord wurden unter dem Jubel der Welt zur Schau gestellt", sagte der Vatikan-Berater. Die Hamas wolle klar eine universale islamistische Gesellschaftsordnung, Israel/Palästina sei nur der Start. Der global wachsende Antisemitismus erscheine als das "unausrottbare Chamäleon der Geschichte". Rutishauser plädierte u.a. für gelebte jüdisch-christliche Freundschaften und die Verbindung von politischer Theologie und interreligiösem Dialog.
Gewaltfrei, aber nicht um jeden Preis
Wolfgang Palaver zeichnete die Entwicklung der katholischen Friedensethik seit dem Ersten Weltkrieg nach und zeigte, wie sich diese immer stärker in Richtung des Konzeptes vom gerechten Friedens entwickelte. Damit sei ein einerseits ein positiver Friede, der auch Gerechtigkeit umfassen muss, gemeint, andererseits die vorrangige Option für die Gewaltfreiheit, die Formen gerechter Verteidigung in Ausnahmefällen nicht ausschließt.
Der Innsbrucker Kreis wurde 1974 von jungen Theologen rund um Hans Rotter SJ und Günter Virt gegründet, die in einem kleineren Kreis aktuelle moraltheologische und sozialethische Fragen erörtern wollten. Aktuelle Leiterin ist die Innsbrucker Systematische Theologin Gertraud Ladner. (Website "Innsbrucker Kreis": https://www.uibk.ac.at/systheol/ladner/person/innsbrucker-kreis/)
Quelle: kathpress