Vor einem Jahr starb Benedikt XVI.
Sein Tod hat offene Fragen und offene Wunden hinterlassen. Der emeritierte Papst Benedikt XVI. starb am 31. Dezember 2022 mit 95 Jahren im Vatikan. Zunächst musste geklärt werden, nach welchem Ritual ein ehemaliger Papst zu bestatten ist, denn so etwas hatte es seit dem Mittelalter nicht gegeben. Die Beisetzung wurde zu einem Großereignis in Rom und weltweit in den Medien.
Ein Jahr später ist immer noch offen, wer in Deutschland das juristische Erbe des früheren Kardinals Joseph Ratzinger antritt. Eine Klärung wäre wichtig für ein Missbrauchsverfahren vor einem Gericht in Bayern, in dem auch der deutsche Papst eine Rolle spielt. Für Wirbel hat in den vergangenen zwölf Monaten zudem sein langjähriger Privatsekretär Georg Gänswein gesorgt.
Erzbischof Gänswein hatte Benedikt fast zwei Jahrzehnte lang und auch in den letzten Wochen seines Lebens begleitet. Schnell stellte sich die Frage, was aus dem Privatsekretär nach dem Tod seines Chefs werden sollte. Mit 66 Jahren war er zu jung für den Ruhestand. Vielleicht Bischof in Deutschland oder Vatikan-Botschafter in Lateinamerika?
Papst Franziskus ließ ihn lange im Unklaren. Das hatte wohl auch mit einer Buchveröffentlichung im Januar zu tun. In "Nichts als die Wahrheit" schreibt Gänswein unter anderem über Spannungen zwischen dem aktuellen Papst und dessen Vorgänger.
Mitte Juni teilte der Vatikan schließlich mit, dass Gänswein in seine Heimatdiözese Freiburg zurückzukehren habe - ohne Aufgabe. Zu diesem Zeitpunkt war schon fast ein halbes Jahr vergangen, seit Gänswein am aufgebahrten Leichnam des verstorbenen emeritierten Papstes im Petersdom ein letztes Mal Regierungschefs und Staatsoberhäupter begrüßte.
Missbrauchsbetroffener stellt Forderungen
In Deutschland fiel Benedikts Name im zu Ende gehenden Jahr auch im Zusammenhang mit einem Zivilprozess vor dem Landgericht Traunstein. Ein Missbrauchsbetroffener fordert darin 300.000 Euro Schmerzensgeld von der Erzdiözese München und Freising sowie 50.000 Euro von deren früherem Erzbischof Ratzinger. Der soll indirekt eine Mitverantwortung dafür getragen haben, dass der Kläger in den 1990er-Jahren von einem Priester missbraucht wurde.
Der Prozess startete im Juni. Vom Verfahren abgetrennt wurde die Klage gegen Benedikt, weil bis heute unklar ist, ob jemand das Erbe des Verstorbenen annimmt. Neben Buchrechten, etwas Geld und einem alten Schreibtisch müsste ein potenzieller Erbe eben auch den Rechtsstreit übernehmen. Und für mögliche Schmerzensgeldansprüche aufkommen.
Der Prozess lässt die Münchner Phase des früheren Kardinals Ratzinger in einem getrübten Licht erscheinen. Dabei hat er als Papst wichtige Schritte gegen Missbrauch in der Kirche ergriffen. Unter anderem verschärfte er das Kirchenrecht in dieser Frage deutlich.
Glaube und Vernunft
Wegbegleiter würdigen unterdessen das geistige Erbe des bedeutenden Theologen - auch ein Jahr nach seinem Tod. Benedikt habe sich "mit den beiden offenen Flügeln der Vernunft und des Glaubens" bewegt, sagte Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin Ende November bei der Verleihung des Joseph-Ratzinger-Preises.
Nach Worten des Präsidenten der Ratzinger-Stiftung, Federico Lombardi, habe er die Menschen gelehrt, "die Wahrheit mit der Kraft der Vernunft und dem Licht des Glaubens zu suchen und zu finden". Lombardi war viele Jahre Benedikts Pressesprecher.
Benedikt und Franziskus
Auch Papst Franziskus erinnerte mit bewegten Worten an seinen Vorgänger. "Meine Beziehung zu Papst Benedikt war sehr eng", erzählte er kürzlich in einem Interview. "Manchmal ging ich zu ihm, um ihn zu konsultieren." Benedikt habe ihm dann mit "großer Weisheit" seine Meinung gesagt, ihm aber dennoch die Entscheidungen überlassen. Zu seinem überraschenden Rücktritt im Jahr 2013 merkte Franziskus an: "Als er seine Grenzen erkannte, hatte er den Mut, 'genug' zu sagen. Ich bewundere diesen Mann."
Dabei hatte sich in Benedikts letzten Lebensjahren hartnäckig der Eindruck gehalten, das Verhältnis zu seinem Vorgänger sei nicht immer ungetrübt. Das hatte auch etwas mit der Vermutung zu tun, der emeritierte Papst werde von konservativen Kräften in der Kirche für ihre Interessen benutzt.
Ebenjene Konservative haben mit Benedikt eine Identifikationsfigur verloren, die sie an die Autorität des Papstes in Rom zu binden vermochte. In den vergangenen zwölf Monaten sind die Fronten zwischen Franziskus und dem konservativen Flügel härter geworden. Auch das ist eine Wunde, die nach Benedikts Tod bleibt.
Quelle: Kathpress