Zulehner zu Segnungserlaubnis: "Mehr Fragen offen denn gelöst"
"Kulturelle Missverständnisse zwischen Kirche und verbreiteter Meinungslage" bestehen laut dem Wiener Theologen Paul Zulehner auch nach der Erlaubnis der vatikanischen Glaubensbehörde, Segnungen von gleichgeschlechtlichen Paaren vorzunehmen. Diesem für viele überraschenden Schritt widmete Zulehner seinen jüngsten Blog-Beitrag unter dem Titel "Mehr Fragen offen denn gelöst". Zwei Aspekte erwähnte er darin als nach wie vor bestehende Reibepunkte zwischen Glaubenslehre und Zeitgeist: das kirchliche Verständnis von Ehe und die von der Kirche hochgehaltene generative - also für Fortpflanzung offene - Sexualität.
Ehe in römischen Dokumenten meine etwas anderes als Ehe im heutigen Sprachgebrauch, wies Zulehner hin. Sie werde heute weithin mit Verbindlichkeit, Verlässlichkeit, Treue verbunden und alle Liebespaare, die es wünschen, sollen daher "heiraten" können. "Solches Lieben will sich sehen lassen", so der Theologe weiter. Viele Paare wollten mit dem Segen Gottes ein Fest der Dankbarkeit feiern und auf jemanden zurückgreifen können, "der im Namen eines Übergeordneten sagt: 'Es ist gut' (was genau bene-dicere besagt)". Papst Franziskus sperre sich gegen diesen Wandel im Ehebegriff, ohne letztlich verstanden zu werden, erklärte Zulehner. Das Sakrament der Ehe solle etwas anderes sein als eine Art kirchliche Valentins-Segensfeier.
Ein zweites Missverständnis tue sich beim Thema Sexualität auf. Zwar habe sich in der Kirche seit dem Konzil "die schaurigerweise so genannte 'Ehezwecklehre'" verändert, die Liebe stehe nunmehr gegenüber der Fortpflanzung obenan. "Zu schaffen macht der Kirche freilich die durch die Pille ermöglichte Trennbarkeit generativer und symbolischer Sexualität", schrieb Zulehner: Kirchliche Lehre sei weiterhin, "dass eine Ehe ungültig ist, wenn kein Wille zum Kind vorhanden ist". Auch gelte als "eheunfähig", wer zeugungsunfähig ist. "Wenn das schon für Heteros gilt, gilt dies natürlich auch für Menschen mit homosexueller Orientierung", wies der Theologe hin.
So gesehen könne man die Position der Kirche verstehen: Segnen ja, Ehe (im kirchlichen Sinn) aber nein. Jeder Anschein müsse vermieden werden, dass eine solche Verwechselung aufkommen kann. Bei der Bewertung des Segnungsschreiben aus dem Vatikan gehe es letztlich um die "gesellschaftlich brisante Frage nach der Reproduktion des Lebens und guten Gedeihräumen für den Nachwuchs". Und der Schutz von sakramental geheiligten Lebensräumen für Eltern und Kinder, geprägt von Stabilität und Liebe, hat laut Zulehner "auch gesellschaftspolitisch durchaus Gewicht".
"Tragweite darf man nicht unterschätzen"
Auch der renommierte Südtiroler Moraltheologe Martin Lintner und weitere Theologen äußerten sich am Mittwoch zur Entscheidung des Vatikans, Segnungen für homosexuelle Paare zu erlauben. Dieser Schritt "ist schon ein Knall, wenn man bedenkt, dass im Februar 2021 das Glaubensdikasterium einen Text veröffentlicht hat, in dem es sich mit einem simplen Nein kategorisch gegen diese Segnungen ausgesprochen hat", erinnerte Lintner im "Standard". Der Papst ändere die Glaubenslehre in Bezug auf gleichgeschlechtliche und irreguläre Partnerschaften zwar nicht, so der in Brixen lehrende Theologe. "Die Tragweite der Erklärung darf man trotzdem nicht unterschätzen." Vor allem an afrikanische Bischöfe sei sie ein "starkes Zeichen", dass man Menschen, die eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft eingehen, nicht kriminalisieren darf.
Nach den Worten Lintners gibt es viele offene "Baustellen" in der kirchlichen Sexualmoral und Beziehungsethik. Er nannte die Themen Gender, Geschlechtsidentitäten und die Frauenfrage: "Solange Frauen nur wegen ihrer Geschlechtszugehörigkeit kategorisch von den Weiheämtern ausgeschlossen sind, kann die Frage nicht als gelöst angesehen werden."
"Praxis wird auch Lehre verändern"
Gegenüber der Kooperationsredaktion der österreichischen Kirchenzeitungen formulierte Lintner die Einschätzung, der Text mit dem Titel "Fiducia supplicans" werde nicht der letzte Schritt in der Frage sein, wem kirchlicher Segen zuzusprechen sei: Die Praxis werde im Laufe der Zeit auch Auswirkungen auf die Lehre haben.
Der Wiener Pastoralamtsleiter Markus Beranek wies in der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag" (24.12.) darauf hin, dass das neue Vatikan-Dokument "den einen zu wenig weit und den anderen zu weit geht". Dem Papst gehe es wohl um eine Perspektivenänderung: "Wir alle leben ununterbrochen aus dieser kraftvollen und wirkmächtigen Liebe und Zuwendung Gottes. Ich wünsche uns allen in unseren vielfältigen Lebenskontexten und Herausforderungen viel Freude dabei, in diesem Segen Gottes zu wachsen und zu reifen und diesen Segen auch einander zuzusagen."
"Segen ja, Feier nein"
Mit seiner Erlaubnis für eine Segnung homosexueller und wiederverheirateter Paare hat der Vatikan nach Einschätzung des Erfurter Theologen Benedikt Kranemann einen "ganz raffinierten Kniff" gefunden. "Einerseits ermöglicht man eine Öffnung und macht ein Zugeständnis, andererseits nimmt man keine Veränderungen an der Lehre vor, die weiter etwa Sexualität zwischen homosexuellen Paaren als Sünde einstuft", sagte der Liturgiewissenschaftler am Dienstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Das Papier lege größten Wert darauf, dass der Unterschied zwischen dem Ehe-Sakrament und der Segnung klar erkennbar sein müsse. "Ich verstehe den Text so, dass die Segenshandlung ein relativ spontanes Tun sein soll, ein kurzes Gebet mit anschließendem Segen", sagte Kranemann. "Eine möglichst schlichte, einfache Geste, mit der das Gottvertrauen des Paares gestärkt wird." Auf keinen Fall solle das Ganze in einem liturgischen Rahmen stattfinden, sondern eher eine spontane Segnung im Rahmen von Wallfahrten oder wenn man einem Priester auf der Straße begegnet. "Das scheint mir allerdings recht realitätsfremd", meinte Kranemann. "Zugespitzt formuliert sagt der Vatikan: Segen ja, Feier nein. Ob das Paaren, die sich solch eine Segnung wünschen, angemessen ist, da habe ich Zweifel."
Quelle: Kathpress