Zum 80er von Leonardo Boff
Kräutler: "Wir geben nicht auf"
Zum 80er von Leonardo Boff
Kräutler: "Wir geben nicht auf"
Für seine mutige Haltung in der Umweltethik und seine theologische Vorreiterrolle in Lateinamerika hat Bischof Erwin Kräutler den Befreiungstheologen Leonardo Boff zu dessen 85er gewürdigt. Boffs Anliegen sei es stets gewesen, "den Geist der Wahrheit zu verkünden" - dem Missfallen kirchlicher Instanzen zum Trotz, schrieb der emeritierte Amazonas-Bischof am Dienstag an Kathpress. Besonders den Begriff der "strukturellen Sünde" habe Boff geprägt. Er sei vielfach rezipiert worden - insbesondere von der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz (CELAM) in Medellin 1968 und von der Befreiungstheologie.
Unter "strukturelle Sünde" verstehe Boff vor allem die fehlende Solidarität, aus der "wahrhafte Sünden auf individueller und gesellschaftlicher Ebene" in Form ungerechter Strukturen entsprängen, zitierte Kräutler aus der CELAM-Erklärung von 1968. Auch aktuell gebe es Beispiele dafür: Kräutler nannte hier etwa Gesetze, die es Großgrundbesitzern, Bergwerksgesellschaften, Holzhändlern und Goldsuchern ermöglichten, "legal" in indigene Gebiete einzudringen. Es sei auch die Folge einer '"strukturellen Sünde", wenn bei der 23. Klimakonferenz in Dubai der fehlende Wille vonseiten der Großmächte sowie kleinerer Nationalstaaten, sichtbar werde, "endlich Maßnahmen zu treffen, um der Klimaerwärmung entgegenzusteuern", kritisierte der Bischof.
Kräutler erklärte, er teile mit Boff die Begeisterung für die Aufbrüche der Kirche im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils sowie das Leiden ob des Widerstands gegen Erneuerungen. Auch wenn er in diesen Bereichen Stagnation feststelle, betonte Kräutler: "Wir geben nicht auf." Bis heute hoffe er auf "Öffnung der Kirche für den Dienst an den Menschen aller Kontinente und Kulturen im Hier und Jetzt ihrer Geschichte". Die Umsetzung der Forderungen des Konzils würden aufgrund ihres Alters aber wohl weder der am Donnerstag seinen 85er feiernde Boff noch er selbst - Kräutlers 85er steht im Juli 2024 bevor - erleben.
Die Kirche habe zwar nicht die Aufgabe zu erklären, "wie sich die Welt in sozialer, politischer und wirtschaftlicher Hinsicht auszurichten hat", meinte Kräutler. Ein Ausklammern der prophetischen Dimension der Kirche aus Furcht, "die Kirche könnte als politische Akteurin verschrien werden", sei aber ebenfalls der falsche Weg. So komme auch ein Schweigen, wenn es um die Verteidigung der Menschenrechte und -würde geht, "einer politischen Rechtfertigung der strukturellen Sünde gleich".
Mutige Haltung
Mutig sei Boff besonders darin gewesen, dass er mit seiner Haltung oftmals auch das Missfallen kirchlicher Instanzen riskiert habe, sagte Kräutler. Der Bischof erinnerte dabei an das Verfahren der Glaubenskongregation 1984 gegen Boff, der infolge seines Buches "Kirche: Charisma und Macht (1981) ein einjähriges Rede- und Lehrverbot - das sogenannte "Bußschweigen" - erhielt. Verantwortlich zeichnete mit dem damaligen Glaubenspräfekten Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI., Boffs ehemaliger Professor. Kräutler erinnerte daran, dass diese Maßnahme damals "nicht einmal die brasilianischen Kardinäle Paulo Evaristo Arns und Aloisio Lorscheider, beide Franziskaner wie Leonardo" verhindern konnte.
Bedauern äußerte Kräutler darüber, dass Boff 1992 den Franziskanerorden verließ und laisiert wurde - woraufhin er eine Ethik-Professur annahm. Dennoch habe Boff "seiner Kirche" nie den Rücken zugewandt, betonte der frühere Amazonas-Bischof. Kräutler verglich dabei Boffs Lebenswerk mit dem Appell des Apostels Paulus an die Gemeinde in Thessaloniki, die er aufforderte "Löscht den Geist nicht aus". "Es ist schlicht meine Überzeugung, dass dieser Appell des Apostels das Werk Leonardos besser charakterisiert als irgendeine andere Überschrift."
Weiter als Theologe aktiv
Der 1938 im südbrasilianischen Bundesstaat Santa Catarina als Sohn italienischer Einwanderer geborene Boff trat 1958 in den Franziskanerorden ein. Er studierte Theologie und Philosophie, unter anderem im belgischen Löwen und in München. Boff besuchte während seiner Studienzeit in Deutschland auch Vorlesungen des damaligen Dogmatik-Professors Joseph Ratzinger; der deutsche Theologe und spätere Papst Benedikt XVI. war Zweit-Gutachter der Promotion des Brasilianers und half bei der Finanzierung seiner Habilitationsschrift. 1964 wurde Boff zum Priester geweiht.
Seit dem Austritt aus dem Franziskanerorden war Boff u.a. als Ethik-Professor tätig. Er lebt mit der Menschenrechtsaktivistin Marcia Miranda und deren Kindern und Enkeln zusammen. Bis heute ist der Mann mit dem weißen Vollbart aktiv: Auf seinem Blog leonardoboff.org veröffentlicht er regelmäßig Kommentare zum politischen Alltag in Brasilien, gibt Interviews und schreibt für kirchliche Zeitschriften, darunter auch das österreichische Nachrichtenmagazin "Kirche In". Ferner hat er rund 90 Bücher publiziert.
Quelle: Kathpress