Glettler zu Abtreibung: Weniger Ideologie, mehr Hilfen für Frauen
Bischof Hermann Glettler hat zu Verbesserungen für die Situation werdender Mütter und zum Dialog über Abtreibungen und Lebensschutz aufgerufen. Jede Verhärtung und Ideologisierung sei in der Debatte "völlig fehl am Platz, erst recht wenn das sensible Thema parteipolitisch besetzt und in Wahlkämpfe gezogen wird", sagte der Leiter der Familienkommission der Bischofskonferenz am Dienstag in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Kathpress. Ziel müsse sein, dass Kinder "angstfrei und ohne überbordende Sorgen zur Welt gebracht werden können". Dafür gebe es noch vieles zu tun.
Anlass des Interviews gab der Beschluss der Fristenregelung vor 50 Jahren. Damals seien auch flankierende Maßnahmen versprochen worden, von denen die meisten außer der Einrichtung von Sozial- und Familienberatungsstellen noch auf ihre Umsetzung warteten - "allen voran verstärkte Investitionen in Beratung, Begleitung, Prävention und Bewusstseinsbildung", unterstrich Glettler. Während Österreich zuletzt fünf Milliarden Euro für Corona-Tests ausgegeben habe, um Leben zu schützen, seien Vereine, die Schwangeren in Not auch finanziell helfen, bis heute fast ausschließlich spendenfinanziert. "Diese Logik ist nicht einsichtig", kritisierte der Bischof.
Als dringend erforderlich bezeichnete Glettler zudem eine statistische anonyme Erhebung von Schwangerschaftsabbrüchen und eine damit einhergehende Motivforschung, wie auch eine gesetzlich vorgegebene Wartefrist zwischen Beratungsgespräch und Eingriff. Für Schulen sah der Bischof eine "positive Sexualpädagogik" sowie auch Aufklärung über die Entstehung und Entwicklung menschlichen Lebens vonnöten, sowie Informationen über Hilfestellungen für Schwangere.
Keine Entscheidung erster Wahl
Die Straffreistellung des Schwangerschaftsabbruchs unter bestimmten Umständen bringe es mit sich, "dass Frauen die Last einer Entscheidung über das Leben des Ungeborenen aufgebürdet wird", hielt der Bischof fest. Dabei sei jedoch für keine Frau die Tötung des Ungeborenen eine "Entscheidung erster Wahl". Vielmehr dränge sich Abtreibung "oft als letzter Ausweg" auf, wenn entsprechende Angebote und Unterstützungen fehlten. Häufiger als gedacht sei dabei auch Druck durch Dritte - insbesondere durch den Kindesvater - im Spiel, verwies Glettler auf die Erkenntnisse aus internationalen Studien.
Weil die Schwangerschaft keine Krankheit sei, sei der Staat nicht verpflichtet, ein oftmals gefordertes, niederschwelliges, kostenloses Angebot für Abtreibungen bereitzustellen, betonte der Bischof. "Ein staatlich finanziertes Abtreibungsangebot in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen lässt sich aus meiner Sicht auch ethisch nicht begründen. Das Spital ist ein Ort, um das Leben zu erhalten, nicht um es zu verwerfen."
"Gewaltfreie Lösungen"
Grundsätzlich sei das Abtreibungsproblem kein religiöses, sondern ein menschliches, sagte Glettler. "Ausschlaggebend ist, ob wir über ein Zellgewächs diskutieren, das beliebig entfernt werden kann, oder über einen Menschen in seiner ersten Entwicklungsphase." Eine Sensibilisierung für die Würde und den Wert jeden menschlichen Lebens sei vonnöten, welches "gerade in seiner verwundbarsten Phase im Mutterleib" ein "Geschenk Gottes" sei. Dass das "elementare Lebensrecht eines Kindes" nicht geringer bewertet werden dürfe als das Freiheits- und Selbstbestimmungsrecht einer erwachsenen Person, bezeichnete der Bischof als Grundkonflikt, den es zu benennen und "gewaltfreie Lösungen" dafür zu finden gelte.
Es sei "fundamentale Aufgabe des Staates, das Leben zu schützen, in letzter Konsequenz auch mit Strafbestimmungen", befand der Bischof. Dennoch gehe es der Kirche "nicht um Strafandrohungen, sondern um den Ausbau von Unterstützungsleistungen". Nicht aus dem Strafrecht, sondern vielmehr aus den positiven Erfahrungen jener, die sich trotz widriger Umstände für ihr Kind entschieden haben, gewinne der Schutz ungeborenen Lebens seine Überzeugungskraft. Keine Frau solle sich durch soziale oder andere Umstände zu einer Abtreibung genötigt sehen.
Anwältin für Vulnerable
Die Kirche steht laut Glettler auf der Seite der "besonders Vulnerablen" und versteht sich als Anwältin des Wohls der Frau und des Kindes zugleich. Dabei müsse auch sie den Fokus künftig noch stärker auf die Begleitung richten, durch ein "Hinhören auf das, was Frauen in einer Konfliktschwangerschaft wirklich bewegt und was sie benötigen". Schon bisher seien viele kirchliche oder kirchennahe Einrichtungen in diesem Bereich tätig, wobei Glettler beispielhaft die Beratungsangebote der Caritas, von der Kirche geführte und subventionierte Frauenhäuser sowie die "Aktion Leben" nannte, sowie auch die Begleitung und Unterstützung armutsgefährdeter Familien.
Jenen Frauen, die bereits abgetrieben haben, wolle die Kirche verständnisvolle Begleitung bieten, denn "jede Form der Verurteilung ist vollkommen unangebracht", unterstrich der Bischof. Betroffene bräuchten "innere Heilung", würden sie doch oft noch nach Jahrzehnten die Last einer Abtreibung mit sich tragen, wisse er als Seelsorger und Beichtpriester. "Wir sollten offener über die Notwendigkeit einer psychischen Betreuung nach einer Abtreibung sprechen. Wo gibt es Angebote dazu?", so der Bischof.
Dank sprach der Bischof den Lebensschutz-Organisationen aus. Deren Aktionsformen entwickelten sich sehr positiv, sei man doch vom kompromisslosen Dagegen-Sein und Konfrontation mit Fotos abgetriebener Föten abgekommen und setze heute den Fokus auf "Ermutigung und Kooperation für ein Ja für das Leben". Bei Veranstaltungen wie dem Wiener "Marsch fürs Leben" sehe man "Menschen, die das Leben umarmen wollen und zum Gespräch bereit sind". Letzteres halte er selbst für den effektivsten Lebensschutz, sagte Glettler - und zwar eher auf persönlicher Ebene als bei "öffentlichen Kundgebungen, die immer wieder auch gegenteilige Proteste auf den Plan rufen".
Quelle: kathpress