Dompfarrer Faber zu Nahost: "Da kann es kein Aufrechnen geben"
Gegen jede Form des Aufrechnens von Gewalt und Gegengewalt im aktuell eskalierenden Nahostkonflikt hat sich der Wiener Dompfarrer Toni Faber ausgesprochen. Auch wenn es christlicherseits "große Empathie" für auf Hilfe angewiesene christliche Palästinenser gebe, so sei man christlicherseits doch "nicht in die Falle getappt, eine antiisraelische Politik zu unterstützten", sagte Faber in einem Interview im "Kurier" (18. November). Im Gegenteil: "Jetzt sind wir darüber erschüttert, dass ein beispielloser Terrorangriff auf Israel gegengerechnet wird mit den israelischen Verteidigungsmaßnahmen. Aber da kann es kein Aufrechnen geben - da kann es nur ein klares Ja geben zum Existenz- und zum Selbstverteidigungsrecht Israels."
Gewiss sei das Leid auf Seiten palästinensischer Zivilisten zu benennen - "aber nicht im Sinne einer Relativierung, dass es auf beiden Seiten Leid gebe und man grundsätzlich gegen jede Form von Gewalt sei. Nein, angesichts von Terror und Infragestellung all unserer Werte, die wir als aufgeklärter Westen vertreten, muss es eine klare Kante geben", sagte Faber in dem Doppelinterview gemeinsam mit der jüdischen Publizistin Danielle Spera, mit der er zuletzt den Gesprächsband "Wie ein jüngerer Bruder" veröffentlicht hat. "Wir hatten gehofft, dass das überwunden ist - das war ein ganz großer Irrtum und hinterlässt uns erschüttert", kommentierte Spera den terroristischen Angriff der Hamas vom 7. Oktober und die antisemitischen Äußerungen seither.
Beide betonten zudem, bei der Arbeit an dem Buch "viel voneinander gelernt" zu haben - es sei spannend gewesen, die eigenen auch theologischen Glaubensgrundsätze zu überprüfen im Dialog mit dem Judentum, sagte Faber. Und Spera zeigte sich verwundert, dass offenbar selbst in einem katholischen Land wie Österreich viele Menschen nicht mehr über die Basics ihrer Herkunftsreligion Bescheid wüssten. "Das Wissen um die Wurzeln unseres Glaubens verdunstet zunehmend", so Faber. Auch gebe es weiterhin Reste der alten "Substitutionstheorie", die besagt, dass die Kirche das Volk Israel und den Alten Bund abgelöst hat. "Ich habe zu Beginn meines Studiums noch so gedacht und bin erst später draufgekommen: der 'alte' Bund Gottes mit 'seinem' Volk Israel gilt nach wie vor."
Wichtig sei es gerade aus christlicher Sicht, immer wieder auf die Schuldgeschichte hinzuweisen und die antijudaistischen Traditionen, die es auch im Christentum gegeben habe, führte Faber weiter aus. Die Katholische Kirche habe dies im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) klar benannt. Faber abschließend: "Das ist das Wunder der jüdisch-christlichen Hoffnung: dass es einen Neuanfang geben kann, nicht nur aufzurechnen, sondern aus der Erfahrung der Schuldgeschichte zu versuchen, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Das ist uns Gott sei Dank im jüdisch-christlichen Dialog in Österreich und auch da und dort weltweit gelungen. Und unser Gespräch soll dazu auch ein Beitrag sein."
(Buch: Danielle Spera und Toni Faber: Wie ein jüngerer Bruder. Ein Gespräch über Judentum und Christentum. Amalthea-Verlag, Wien 2023)
Quelle: kathpress