Eisenstadt: Erzbischof Nemet fordert Kurskorrektur in Europa
Mit einer Festmesse im Eisenstädter Martinsdom ist am Samstag das Jubiläumsjahr "100 Jahre St. Martin Landespatron des Burgenlandes" eröffnet worden. Die Predigt beim Pontifikalamt hielt der Belgrader Erzbischof Ladislav Nemet. Er plädierte für eine Kirche, die die Menschenliebe Gottes in den Mittelpunkt stellt. Zudem warnte er vor Entwicklungen in Europa, die in Richtung Abschottung der EU-Staaten voneinander und der EU insgesamt gehen würden. Seit 2021 ist Nemet einer der Vizepräsidenten des Rates der Europäischen Bischofskonferenzen (CCEE).
Das am Samstag begangene Martinsfest ist seit 1924 der Landesfeiertag des Burgenlandes und seit 1960 Patronatsfest der Diözese Eisenstadt. Diözesanbischof Ägidius Zsifkovics feierte mit Erzbischof Nemet am Altar, Altbischof Paul Iby, die Mitglieder des Domkapitels und zahlreiche Vertreter des Diözesan- und Ordensklerus waren Konzelebranten.
In seiner Ansprache ging Erzbischof Nemet auf die im Tagesevangelium erwähnten "Werke der Barmherzigkeit" ein, die für Jesus das Kriterium für Menschenliebe sind und an denen sich auch der Hlg. Martin orientiert hatte. "Jesus überrascht uns hier noch einmal, und sogar gewaltig. Kein einziges Kriterium darüber, wie Mann oder Frau dem lieben Richter am jüngsten Tag entsprechen können, oder ihm gefallen können, ist mit irgendwelcher Religion verbunden. Haben Sie es gemerkt?", so Nemet.
Es gehe vielmehr darum, dass Jesus "durch seine Menschwerdung und Auferstehung die ganze Welt und die ganze Geschichte umarmt" habe und sich für den Christen daraus die Frage ergebe: "Wo umarme ich die Welt so, den Menschen so, wie Gott in Christus das getan hat und es bis heute tut?".
Der Erzbischof, der viele Jahre in Missionsgebieten seines Ordens gewirkt hatte, hob hervor, dass es eine enge thematische Verwandtschaft der Forderung Jesu nach Ausübung der Werke der Barmherzigkeit - Hungernde speisen, Durstenden zu trinken geben, Nackte bekleiden, Fremde aufnehmen, Kranke besuchen, Gefangene besuchen - mit den vor einem Monat bei der Weltsynode in Rom behandelten Fragen gebe: "Für Jesus und für Martin war ein Mensch ein Mensch. Ihre erste Frage war: Was kann ich für dich tun? Und nicht: Lebst du in Sünde, weil du geschieden wiederverheiratet bist, oder weil du der LGBTQ-Gemeinschaft angehörst? Das waren die Fragen und Themen bei der Synode in Rom, die meiner Meinung nach ein Riesenwerk des Heiligen Geistes war. Wir haben dort erlebt, wie die katholische Kirche das Wirken Gottes in dieser Welt mehr erfahrbar machen will und mit Taten verwirklichen kann, um dem von Gott geschenkten Instinkt zur Menschenliebe zu folgen und die Welt und alle Menschen mit seiner Liebe zu umarmen."
Es sei bei der Synode, an der Nemet teilnahm, auch um Strukturreformen der Kirche gegangen, wobei gelte: "Unsere Strukturen müssen diese Umarmung ermöglichen, intensivieren, helfen, unterstützen. Daraufhin sollten Ämter und Dienste in der Kirche geprüft werden, auf diese Kraft der Liebe hin, die unsere Sendung ausmacht."
Der heilige Martin könne ein inspirierendes Beispiel sein, wie man sich intuitiv auf den eigenen Instinkt der Menschenliebe verlassen und mutig vorangehen könne, betonte der Erzbischof. Als der damalige römische Soldat am Stadttor von Amiens einem armen, unbekleideten Mann begegnete, aber außer seinen Waffen und seinem Militärmantel nichts bei sich getragen habe, habe Martin "in einer barmherzigen Tat seinen Mantel mit dem Schwert geteilt. Er gab eine Hälfte dem Armen".
In der folgenden Nacht sei ihm dann im Traum Christus erschienen, bekleidet mit dem halben Mantel, den Martin dem Bettler gegeben hatte. "Wahrscheinlich hat er nicht viel nachgedacht, sondern ist eben intuitiv der Botschaft, den Menschen zu lieben, gefolgt. Es gibt diesen Instinkt in uns, dank unserer Gottebenbildlichkeit, das Gute zu tun und nicht viel herumzuphilosophieren. Der heilige Martin ist Landespatron vom Burgenland. Er und sein Instinkt zur Menschenliebe verpflichtet uns, ihn ernst zu nehmen, seinem Beispiel zu folgen", so Erzbischof Nemets Aktualisierung der Martinslegende.
EU-Staaten schotten sich ab
In seiner Predigt übte der Erzbischof auch Kritik an der zunehmenden gegenseitigen Abschottung der EU-Staaten voneinander und der EU insgesamt: "Heute sehen wir, wie Europa langsam seine Errungenschaften aufgibt und wiederum in eine dunkle Phase versinkt. Noch vor 10 Jahren konnte man frei in der Europäischen Union herumfahren, heute wird man an jeder Staatsgrenze aufgehalten und kontrolliert." Dies ähnle der Zeit des Kalten Krieges - "Sie erinnern sich noch, wie die damalige Grenze nicht weit von hier aussah!"
Was die Welt in dieser Situation mehr denn je brauche, seien Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Martin, der viel in der damaligen römischen Welt herumgekommen sei, werde ja auch als Patron der Migranten verehrt, "also von Menschen, die nach einem besseren Leben, nach besseren Lebenschancen suchen, und sich deswegen auf den Weg machen - damals und heute", so der Belgrader Erzbischof.
Und der als Frage formulierte Appell des Erzbischofs: "Wir, nicht nur wir in dieser schönen Kathedrale, sondern alle Menschen in Eisenstadt, im Burgenland, in Österreich, in Europa, in der ganzen Welt. Wo tragen wir heute dazu bei, wir alle als Gottes Mitarbeiter: die Trauernden zu trösten und allen Menschen, die verzweifelt sind, Freude zu bringen."
Martinsstab und Mariazeller Pilgerstab
An dem Gottesdienst in drei Sprachen (deutsch, ungarisch, kroatisch) nahmen aus der Politik u.a. Landeshauptmann Hans Peter Doskozil und LH-Stv Astrid Eisenkopf (SP) teil, weiters Landtagspräsident Robert Hergovich, Mitglieder der Landesregierung, sowie Ökumenevertreter, u.a. der evangelische Superintendent Robert Jonischkeit. In seiner Begrüßung erinnerte Erzbischof Nemet an seine mehrjährige Tätigkeit in St. Gabriel bei Mödling, von wo aus er oft ins Burgenland gekommen sei und viele Kontakte knüpfen konnte. Generalvikar Michael Wüger berichtete zu Beginn der Messe anhand eines Beispiels - einer sogenannten "Martinstat" - über die Hilfe der Caritas für jene Menschen im Burgenland, die im vergangenen bzw. laufenden Jahr völlig mittellos geworden waren und sich das tägliche Leben nicht mehr leisten konnten.
Diözesanbischof Ägidius Zsifkovics berichtete zum Abschluss über die zahlreichen Begegnungen, die er mit Erzbischof Nemet in den vergangenen 20 Jahren gehabt habe, u.a. durch die gemeinsame Funktion als Sekretäre von Bischofskonferenzen, und zwar in Nachbarländern (Österreich, Ungarn). Ladislav Nemet sei in vielem dem heiligen Martin ähnlich - im vielfachen Überschreiten von Grenzen, in der Unruhe, im Beherrschen vieler Sprachen und der Beheimatung in vielen Welten und Kulturen, so Zsifkovics. Als Dank überreichte er dem Gastbischof einen Martinsstab und einen Mariazeller Pilgerstab.
Festakademie und diözesane Auszeichnungen
Die Messe wurde live auf www.martinus.at übertragen. Der Gottesdienst war Höhepunkt der Feiern am Fest des Landespatrons und Auftakt des Jubiläumsjahres "Heiliger Martin - 100 Jahre Landespatron des Burgenlandes". Das Jubiläumsjahr dauert bis Jahresende 2024.
Bereits am Vorabend des Martinsfestes wurde am Eisenstädter Landhaus und Europaplatz das Martinsfeuer entzündet. Danach folgte unter dem Motto "Feel The Dome #aunfeian" ein Jugendgottesdienst.
Für den Landesfeiertag stand außerdem noch eine Festakademie im Martinsdom samt Gespräch mit Erzbischof Nemet, die Verleihung der diözesanen Auszeichnungen sowie ein Laternenumzug vom Schloss Esterhazy zum Dom auf dem Programm.
Quelle: kathpress