Experten: Keine Alternative zum interreligiösen Dialog
Die Voraussetzungen für einen gelingenden interreligiösen Dialog werden schwieriger, trotzdem gibt es dazu aber keine Alternative. - Das war der Tenor einer Podiumsdiskussion am Dienstagabend im Wiener Albert-Schweitzer-Haus mit dem Wiener Superintendenten Matthias Geist, der evangelischen Pfarrerin Anna Kampl, dem katholischen Theologen Andreas Weiß, dem jüdischen Religionswissenschaftler Yuval Katz-Wilfing, und dem Politikwissenschaftler Christoph Novak. Die Veranstaltung mit dem Titel "Verortung der Zukunft" fand im Rahmen der Gedenktage "Mechaye Hametim" und der Reihe "Neue Perspektiven" statt, wie der Evangelische Pressedienst epdö (Mittwoch) berichtete.
"Man merkt, wie in den letzten Jahren gerade das Interesse an interreligiösem Dialog abgenommen hat", räumte eingangs Weiß ein. Zudem habe sich in der Gesellschaft angesichts des Nahost-Konflikts die Stimmung verändert. Gerade in dieser Zeit seien interreligiöse Veranstaltungen wichtig. "Ich glaube, es ist nötig, auf einen interreligiösen Dialog zu setzen, der die Unterschiede verstehen lässt - das ist auch ein Bildungsauftrag", erklärte Weiß: "Das ist auch das Revolutionäre: Unsere eigene Wahrheit erkennen wir im anderen."
Der interreligiöse Dialog sei vielen Menschen ein Dorn im Auge, befand Weiß. Er sei für diese Menschen mit Angst verbunden, weil sie zwar die eigene Religion, aber nicht das Verhältnis zu anderen Religionen kontrollieren könnten. "Der interreligiöse Dialog ist idealistisch, aber das muss er auch sein", bekräftigte der Theologe.
In die gleiche Kerbe schlug auch der Politikwissenschaftler Novak von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW): "Der interreligiöse Dialog ist ein Bohren harter Bretter und kann nur gegen Widerstände funktionieren." Novak nahm Bezug auf ein Forschungsprojekt zu Online-Aktivitäten religiöser Menschen. Dabei habe sich gezeigt, dass sich christliche Menschen "eher für freikirchliche Inhalte oder feministische Inhalte einer protestantischen Pfarrerin" als für andere Religionen interessiert hätten.
"Ich glaube, interreligiöser Dialog bedeutet manchmal auch, miteinander zu schweigen", sagte Katz-Wilfing, Religionswissenschaftler mit dem Schwerpunkt religiöse Minderheiten. Dies gelte besonders dann, wenn die Emotionen angesichts von Ereignissen sehr stark seien. Wichtig sei dabei die Wahrnehmung, dass eine Person mit einer anderen Religionszugehörigkeit zunächst "ein Mensch" sei, unterstrich Katz-Wilfing, der auch Geschäftsführer im Koordinierungsausschluss für christliche-jüdische Zusammenarbeit ist.
Die Wiener evangelische Pfarrerin Kampl nahm zur Frage Stellung, ob angesichts des aufgeflammten Nahost-Konflikts und des wachsenden Antisemitismus dem interreligiösen Dialog nicht eine gewisse Naivität zugrunde liege. - Auch wenn der interreligiöse Dialog naiv sei, gebe es keinen anderen Weg, betonte Kampl. Ihre Pfarrgemeinde in Wien-Simmering lade laufend insbesondere junge Menschen unterschiedlicher Kulturen und Religionen in ihrer Umgebung zur Begegnung ein. "Ich glaube, es ist wichtig, in der Zukunft dranzubleiben, und den jungen Menschen zu zeigen, dass wir offen sind und miteinander reden", sagte Kampl, die sich vom Dialog überzeugt zeigte. "Ich kann nicht die ganze Welt ändern, aber mein Umfeld, und dort haben wir schon etwas auf die Beine gebracht", bekräftigte die Pfarrerin, die auch in der Initiative "Religions for Equality" wirkt.
"Campus der Religionen"
Superintendent Geist berichtete von einem seit rund zehn Jahren geplanten interreligiösen Projekt unter seiner maßgeblichen Beteiligung, dem "Campus der Religionen" in der Seestadt Aspern in Wien-Donaustadt. Geist sprach dabei von einem "guten Weg der Religionsgemeinschaften" mit einem "friedensfördernden Grundansatz". Sowohl das bauliche Konzept als auch der gemeinsame Anspruch an dieses Projekt sei bislang "Aushandlungsprozess" innerhalb der beteiligten Glaubensgemeinschaften und der Stadt Wien. Geist begrüßt auch die Einrichtung eines Religionsrates in Wien und sieht diesen als "eine gute Begleitung vieler städtischer Entwicklungen".
Quelle: kathpress