Apokalyptische Szenarien prägen auch Kunst und Medien
"Media vita in morte sumus" (dt.: Mitten im Leben sind wir im Tod): Dieser Notker von St. Gallen (um 840-912) zugeschriebene Satz bildet den roten Faden in den Überlegungen des österreichischen Kulturhistorikers Thomas Macho über "die Gegenwart des Todes in der Kunst", vorgelegt anlässlich der Ausstellung "Sterblich sein" im Dom Museum Wien im dazu erschienenen ausführlichen Katalog.
Weit über die Kunst hinaus reicht der zeitdiagnostische Blick Machos über ein sich häufendes Phänomen: "Seit den frühen 1980er-Jahren haben sich die apokalyptischen Szenarien, Filme, Romane und künstlerischen Darstellungen des Weltuntergangs so vervielfacht, dass Beobachtende von einem anderen Stern das im 21. Jahrhundert proklamierte Anthropozän geradezu als Zeitalter des antizipierten Aussterbens der Menschengattung wahrnehmen müssten."
Besonders eindrücklich veranschaulicht sei dies in Alan Weismans Reportagen über eine Welt ohne Menschen, die inzwischen sogar in zwei Staffeln einer TV-Serie - "Life After People" - ausgestrahlt wurden. Im Kontext der akuten Klimakrise habe sich die Frage nach unseren Hinterlassenschaften noch einmal apokalyptisch zugespitzt: "Welche 'Nachlässe' würden bleiben, wenn die Menschen verschwunden wären?", so Macho.
Schon in vormodernen, agrarischen Kulturen habe die Apokalyptik eine große Rolle gespielt. Die Menschen seien durch Krieg, Hungersnöte, Seuchen, alltägliche Gewalt oder Naturkatastrophen, verkörpert in den biblischen vier apokalyptischen Reitern, stets bedroht gewesen. Albrecht Dürer habe die mit dem Ende der Zeit verbundenen Reiter in einem berühmten Holzschnitt dargestellt, erinnerte der Direktor des Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) in Wien. Gerade die apokalyptischen Prophezeiungen der Offenbarung des Johannes, "vielleicht die eindringlichsten Zukunftsbilder der europäischen Kunstgeschichte überhaupt", imaginieren laut Macho eine Zeit, in der "alles Vor und Nach suspendiert" sei. Nicht umsonst habe die Apokalyptik wiederholt ein Medium der Kritik und Rebellion gebildet, nämlich die Hoffnung auf einen Zeitbruch jenseits von Evolution oder Umsturz.
In modernen Gesellschaften habe sich mit der enormen Ausdehnung der Lebenserwartung freilich Entscheidendes verändert, wies Macho hin. Die ehemals gültigen Vorstellungen von einem wünschenswerten Tod hätten sich geradezu in ihr Gegenteil verkehrt: In vergangenen Jahrhunderten habe der plötzliche Tod als Unglück gegolten, während der allmähliche als "guter Tod" angesehen wurde, weil er eine Ordnung des Irdischen und des Himmlischen - Macho nannte Erbe, Hof- oder Geschäftsübergabe sowie Beichte und letzte Ölung - erlaubte. Heute gelte dagegen das allmähliche, verzögerte Sterben als Unglück, das mithilfe von Patientenverfügungen begrenzt oder gar verhindert werden soll, während ein plötzlicher, möglichst leidloser Tod gewünscht wird, der die Menschen mitten aus dem Leben reißt.
Die künstlerische Auseinandersetzung mit Tod und Sterblichkeit bezeuge in zahllosen Beispielen - auch in der Ausstellung des Dom Museum Wien - den Schrecken und die Gewalt des Todes. Demgegenüber treten die Motive der Hoffnung und Erwartung eines ewigen Lebens, wie sie Religionen formulierten, heute deutlich in den Hintergrund, wie Macho darlegte: Die Moderne sei nicht nur das Zeitalter steigender Lebensdauer und zunehmenden Wohlstands, "sondern auch das Zeitalter der Säkularisierung und des Abschieds von religiösen Utopien".
Künstlerische Vorboten davon seien in der Dommuseums-Ausstellung zu sehen: Macho nannte Domenico Gargiulos Gemälde vom Einsturz einer Klosterkirche aus dem 17. Jahrhundert, das nicht bloß als mögliches Echo grausamer Religionskriege, sondern nahezu als Vision der Säkularisierung betrachtet werden könne. Auch die Mehrfigurenskulptur von Giovanni Giuliani (um 1730) mit der Szene der Kreuzabnahme Christi strahle keine Auferstehungshoffnung aus.
Heute gebe es Protest statt Trost angesichts der Vanitas: Macho verwies auf einen Nachruf, in dem der Kunsttheoretiker Bazon Brock den Tod des deutschen Architekten, Journalisten, Soziologen, Filmtheoretiker und Geschichtsphilosophen Siegfried Kracauer als "Skandal" und eine "viehische Schweinerei" bezeichnete, gegen den man protestieren müsse. Mehr als 50 Jahre später druckte die Künstlerin ORLAN eine "Pétition contre la mort" auf ein Plakat, das im Dom Museum Wien in deutscher Sprache aufliegt. "Es ist genug!", ist darauf zu lesen, "es dauert schon Jahrtausende!". Es sei Zeit, gegen den Tod vorzugehen, denn: "Ich will nicht, dass meine Freund*innen und Familie sterben!" Mit diesem Protest verbunden die mit Ironie einhergehende Aufforderung: "Unterschreiben Sie diese Petition auf: www.orlan.eu.
Quelle: kathpress