Freistetter: Demokratie und Friede "alles andere als Selbstläufer"
Demokratie, Menschenrechte und Friede müssen ständig neu erarbeitet und erhalten werden. Sie sind alles andere als Selbstläufer. Das hat Militärbischof Werner Freistetter im Kathpress-Interview betont. In Europa und vor allem in Österreich habe man in den vergangenen Jahrzehnten das Glück gehabt, "dass wir im Windschatten vieler Auseinandersetzungen gelegen sind. Und wir haben das mit Frieden verwechselt." Bischof Freistetter äußerte sich im Kathpress-Interview anlässlich seines 70. Geburtstags, den er am 28. Oktober feiert.
Man habe über vergangene, oft auch schmerzhaft erzielte Errungenschaften und deren Grundlagen nicht mehr reflektiert und spätestens jetzt bemerke man, dass das demokratische Gesellschaftsmodell ganz und gar nicht überall auf der Welt als selbstverständlich erstrebenswert angesehen wird, so der Bischof weiter. Der Konfrontation mit anderen Gesellschaftsmodellen bzw. der erneuten Reflexion über die Grundlagen des eigenen Modells werde man sich stellen müssen, betonte Freistetter. Die Grundlagen des Zusammenlebens auf internationaler Ebene müsse neu verhandelt werden.
Auch das österreichische Bundesheer stehe vor einem grundlegenden Wandel. Sei es in den vergangenen Jahrzehnten hauptsächlich darum gegangen, sich mit friedensfördernden Einsätzen im Ausland auseinanderzusetzen, trete nun die unmittelbare Landesverteidigung wieder stärker ins Zentrum und damit auch die Möglichkeit eines Krieges, der direkt das eigene Land betrifft. Freistetter: "Wir hoffen, dass das nie eintritt, aber allein schon die mentale Vorbereitung auf eine solche Möglichkeit verlangt den Soldaten einiges ab. Und auch für die Militärseelsorge ist das eine Herausforderung, der wir uns zu stellen haben."
Die neuen internationalen Konflikte bzw. die in Auflösung begriffene internationale Ordnung, wie sie die letzten Jahrzehnte bestand, seien auch für die Militärethik eine große Aufgabe. Oft habe man noch keine Antworten, so Freistetter, der wissenschaftliche vor allem im Bereich der Sozial- und Militärethik tätig war. Krieg sei letztlich nie die Lösung, zugleich gebe es das Recht auf Verteidigung und auch die Pflicht zum Schutz von Bedrohten und Verfolgten.
Freistetter: "In einer großen Perspektive von außen ist Krieg immer etwas Schreckliches und Fürchterliches. Doch wenn ich jetzt selbst unmittelbar angegriffen werde und Gefahr laufe, ausgelöscht zu werden, und das dann durch militärische Gewalt verhindert wird, ist der Blick natürlich ein anderer."
Gewalt sei jedoch nie die Lösung. Auch wenn durch militärische Mittel die unmittelbare Gefahr gebannt werden konnte, sei dies noch nicht mehr als die Voraussetzung dafür, "dass man sich im Anschluss intensiv um Frieden bemühen muss". Das gelte etwa künftig für die Ukraine wie auch den Nahost-Konflikt, so der Bischof.
Seit acht Jahren Bischof
Freistetter wurde am 11. Juni 2015 im Wiener Neustädter Dom zum Bischof der österreichischen Militärdiözese (Militärordinariat) geweiht. Im Blick auf die Militärdiözese zeigte sich der Bischof nicht unzufrieden. Grundsätzlich werde die Militärseelsorge im Bundesheer sehr geschätzt. Alle 17 Militärpfarren seien mit einem Geistlichen besetzt, es gebe auch engagierte Laien im Militär. Allerdings mache die allgemeine Personalnot beim Bundesheer auch vor der Militärseelsorge nicht Halt. Dankbar sei er allen heimischen Diözesen, die jungen engagierten Priestern für eine gewisse Zeit den Einsatz im Bereich der Militärdiözese ermöglichen würden.
Die ökumenischen und interreligiösen Beziehungen im Bundesheer bezeichnete der Militärbischof als "recht gut". Neben der katholischen gibt es im Militär auch eine evangelische, orthodoxe, islamische, alevitische und jüdische Seelsorge.
Erfreut zeigte sich Bischof Freistetter, dass es aktuell für das Bundesheer mehr Geld gibt. Die Infrastruktur in den Kasernen, die Ausrüstung für die Soldaten und das militärische Gerät seien viel zu lange nicht erneuert worden. "Das ist so, wie wenn man einen Anzug trägt, bis er einem vom Leib fällt."
"Spirituali militum curae"
Innerhalb der Österreichischen Bischofskonferenz sei er als Militärbischof natürlich in einem gewissen Sinn ein "Exot", räumte Freistetter ein, wiewohl er von Anfang an sehr kollegial aufgenommen wurde und auch die gleichen Rechte und Pflichten wie alle anderen Diözesanbischöfe habe. Vieles sei in der Militärdiözese anders als in territorialen Diözesen. Die Grundaufgabe sei freilich die gleiche: Den Menschen die Frohe Botschaft zu vermitteln. Das Verständnis des inneren Funktionierens einer Armee sei freilich die spezifische Anforderung eines Militärbischofs.
Es sei ein allerdings ein Irrtum zu meinen, dass Österreich eines der wenigen Länder mit einem eigenen Militärbischof sei. Freistetter wies darauf hin, dass seit dem Jahr 1986, als Papst Johannes Paul II. die apostolische Konstitution "Spirituali militum curae" für die Ordnung der katholischen Militärseelsorge und der katholischen Militärordinariate bzw. Militärdiözesen verabschiedete, eine solche kategoriale Diözese eigentlich der Normalfall sei. Der Bischof sprach von fast 30 Ländern mit eigener Militärdiözese. Es hänge natürlich auch vom Katholikenanteil in den jeweiligen Armeen ab.
Zur Frage, was das Besondere der Militärseelsorge ausmache, meinte der Bischof: "Wenn bei Menschen Freude aufkommt, wenn man von Gott spricht, mit ihnen feiert und gemeinsam Hoffnung erleben kann." Es sei für ihn schwierig, aus den vielen Erlebnissen das eine oder andere hervorzuheben, so der Bischof, der aber dann doch von einem besonderen Weihnachtsfest im Kosovo vor einigen Jahren berichtet.
"Für das Kontingent, das ich im Kosovo besuchte, gab es am Heiligen Abend Alarm, denn es galt, eine Aktion der kosovarischen Polizei gegen das organisierte Verbrechen militärisch abzusichern. Für zwei Drittel des Kontingents fiel der Heilige Abend damit aus. Ich war am 26. Dezember bei dieser Kompanie und wir haben die Weihnachtsmesse gefeiert. Und ich habe selten einen Gottesdienst erlebt, wo junge Menschen derartig mitgebetet, mitgesungen, ja schlicht mitgefeiert haben."
Ganz allgemein könne er sagen, dass die Auslandseinsätze gleichermaßen fordernd wie auch bereichernd seien. Militärpfarrer seien Ansprechpartner für alle.
Zeit in Kärnten
Von Ende Juni 2019 bis Anfang Februar 2020 stand Freistetter als Apostolischer Administrator der konfliktbeladenen Diözese Gurk-Klagenfurt vor. "Das war ein Auftrag des Papstes, den ich ohne Zögern angenommen habe." Die Aufgabe sei herausfordernd gewesen, räumt Freistetter ein. "Der einzige Weg in einer solchen Situation ist das Gespräch, der Dialog, und da ist vieles gelungen." Die Probleme der Diözese habe er nicht lösen können, aber er habe eine Atmosphäre geschaffen, "in der miteinander gesprochen wurde". Dem folgenden Bischof Josef Marketz habe er so einen guten Boden bereitet.
Synodaler Prozess
Auf den Synodalen Prozess in der Katholischen Kirche angesprochen und zur Frage, ob denn ein solcher Prozess, der auf Teilhabe abzielt, überhaupt zum Militär passen, räumte der Bischof mit falschen Vorstellungen auf. Natürlich gebe es Situationen, etwa im Gefecht, wo es klare Hierarchien und Befehlsstrukturen brauche, aber das Alltagsleben im Bundesheer gestalte sich längst anders. Freistetter: "Selbstverständlich wird hier nach Konsens und Verständnis für bestimmte Maßnahmen gesucht. Ohne die persönliche positive Einstellung und Motivation der Bundesheer-Angehörigen würde die Armee nicht mehr funktionieren."
Der Synodale Prozess im Bundesheer sei deshalb auch inhaltlich gut aufgenommen worden, organisatorisch sei es allerdings eine Herausforderung gewesen. Immerhin habe es aber auf eine Online-Befragung einige tausend Rückmeldungen gegeben; von Katholiken, Protestanten, auch Muslimen und Personen, die sich als nicht religiös bezeichneten. Das zentrale Anliegen, das laut Bischof an die Militärseelsorge herangetragen wurde, lautet "Begleitung". Das habe er auch beim letzten Ad-limina-Besuch Papst Franziskus persönlich berichte, so Freistetter. Der Papst habe ihn mit den Worten verabschiedet: "Avanti, machen Sie nur weiter mit den Soldaten."
Biografische Notizen
Werner Freistetter wurde am 28. Oktober 1953 in Linz als Sohn eines hochrangigen Bundesheeroffiziers geboren. Er wuchs in der Steiermark und in Niederösterreich auf, maturierte in Wien und leistete seinen Präsenzdienst als Einjährig-Freiwilliger. 1973 trat in das Wiener Priesterseminar ein und studierte Theologie an der Universität Wien. 1975 setzte er seine Ausbildung im Collegium Germanicum et Hungaricum und an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom fort.
Am 9. Oktober 1979 wurde Freistetter in Rom von Kardinal Franz König (1905-2004) zum Priester geweiht und war danach als Kaplan in Baden und Perchtoldsdorf tätig. 1984/1985 war er als Militärseelsorger am Golan im Einsatz. Nach seiner Rückkehr arbeitete er als Assistent am Institut für Ethik und Sozialwissenschaften an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Dort beschäftigte er sich mit den Themen Internationale Ordnung, Friedensethik und Grundlagen des Völkerrechts. In dieser Zeit war er zuerst Kaplan in Altlerchenfeld und danach Pfarrer in der Pfarre Am Kordon. 1993 promovierte er zum Doktor der Theologie und arbeitete bis 1997 am Päpstlichen Rat für die Kultur in Rom.
1997 kehrte Freistetter als Leiter des von Militärbischof Werner ins Leben gerufenen "Instituts für Religion und Frieden" (IRF) der Katholischen Militärseelsorge Österreichs zurück nach Wien. Die folgenden Jahre waren geprägt vom personellen und organisatorischen Aufbau des Instituts, von Forschungen zu ethischen Herausforderungen des militärischen Dienstes. Mit zahlreichen Publikationen und Vorträgen machte sich Freistetter in Fachkreisen auch international einen Namen; neben vielen anderen Lehraufträgen hielt er auch zwei Vorlesungsreihen an der Naval Postgraduate School in Monterey in den USA.
Freistetter arbeitete einige Jahre in der Delegation des Heiligen Stuhls bei der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) in Wien, war als Militärseelsorger in Bosnien, im Kosovo und im Libanon im Einsatz und seelsorglich in verschiedenen Wiener Pfarren tätig. Freistetter war auch geistlicher Assistent der Internationalen katholischen Soldatenorganisation AMI. Im März 2006 ernannte ihn Militärbischof Werner zum Bischofsvikar für Wissenschaft und Forschung, theologische Grundsatzfragen und internationale Beziehungen.
Am 16. April 2015 ernannte Papst Franziskus Werner Freistetter zum neuen Bischof der Militärdiözese. Er folgte auf Bischof Christian Werner. Am 11. Juni wurde Freistetter im Wiener Neustädter Dom geweiht. Hauptzelebrant war der damalige Nuntius Erzbischof Peter Stephan Zurbriggen. An der feierlichen Bischofsweihe nahmen alle österreichischen Diözesanbischöfe mit Kardinal Christoph Schönborn an der Spitze sowie zahlreiche Weihbischöfe und Altbischöfe teil. Auch aus dem Ausland waren zahlreiche Bischöfe nach Wiener Neustadt angereist.
Quelle: kathpress