Zulehner zu Nahost: Frieden erfordert, Leid der anderen zu sehen
Ein dauerhafter, gerechter Friede im Heiligen Land ist nur möglich, wenn die Kontrahenten bereit sind, außer dem eigenen Leid auch jenes der anderen wahrzunehmen. Das hat der Wiener Theologe Paul Zulehner angesichts der drohenden Ausweitung der kriegerischen Handlungen im Nahen Osten in einem Interview der Nachrichtenagentur Kathpress betont. Er wandte sich scharf gegen den Hamas-Terror und auch gegen zuletzt beobachtbare Formen des Antisemitismus. Zugleich gelte es, Israels Politik dahingehend in die Pflicht zu nehmen, "dass es zwischen Israel und Palästina mehr Gerechtigkeit gibt". Generell wandte sich Zulehner gegen die religiöse Legitimation von Gewalt - egal von welcher Seite sie komme.
In Israels Regierung sind nach den Worten des Theologen aktuell Vertreter eines jüdischen religiösen Fundamentalismus präsent, der Religion in diese Richtung instrumentalisiere. Dies sei genauso zu kritisieren wie der Missbrauch des Korans und Allahs für Gewalt oder die Rückenstärkung des Moskauer Patriarchats für Putins Angriffskrieg in der Ukraine.
Zulehner erinnerte an die Ermordung des israelischen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin (1922-1995), der für seine Beteiligung am Nahost-Friedensprozess 1994 zusammen mit dem damaligen Außenminister Schimon Peres sowie Palästinenserführer Jassir Arafat den Friedensnobelpreis erhielt und im Jahr darauf von einem religiösen Fanatiker erschossen wurde. Das zeige: "Feinde des Friedens sitzen auch in Israel und nicht nur in der Hamas." In Israel gebe es Kräfte, die sich in Bezug auf Gerechtigkeit dem palästinensischen Volk gegenüber in den letzten Jahren als "fahrlässig" erwiesen hätten.
Für Leidreduktion auf allen Seiten
Zulehner plädierte dafür, die Israel-Politik der freien, demokratischen Welt neu zu überprüfen und Israel dafür zu gewinnen, "eine Politik zu machen, die einen dauerhaften, weil gerechten Frieden herbeiführt". Man müsse jetzt wirklich von Israel etwas verlangen - "was anderes als nur Krieg, Revenge". Die kirchliche Lehre vom gerechten Krieg ist nach den Worten des Theologen überholt. "Aber die Lehre vom gerechten Frieden ist höchst aktuell."
Und dazu gehöre auch, eigene Fehler einzugestehen, eine Leidreduktion auf allen Seiten anzustreben und statt auf Terror auf Gerechtigkeit "für beide Völker" zu setzen. "Solange es nicht ein wechselseitiges Gedenken der Leiden der anderen und solange es nicht auch mehr Gerechtigkeit für beide Völker gibt, wird es auch keinen Frieden geben."
Gegen Antisemitismus
Dass mit Israels Zurückschlagen und dem Versuch, die Terror-Infrastruktur der Hamas zu zerschlagen, der Antisemitismus wieder aufkeimt, ist für Zulehner "ein fataler Kurzschluss". Leute, die nicht nachdenken wollen, würden das alte Erbe des Antisemitismus aufgreifen, der in der Weltgeschichte immer zum Unheil geführt habe, so Zulehner. Für ihn steht fest: "Antisemitismus ist nicht zulässig." Aber nicht jede Kritik an Israels Politik sei Antisemitismus, sondern könne auch dem Wohl Israels dienen, wies der Theologe hin.
Er kenne viele dort lebende Juden, die sich nach Frieden sehnten, ebenso Menschen im palästinensischen Bereich, die nicht den Terror der Hamas haben wollten. "Warum könnte könnte es nicht eine Allianz zwischen diesen leidempathischen Teilen in Israel und in Palästina geben, die dann gemeinsam an einem Frieden arbeiten, wie eben Rabin und Arafat? Das war knapp daran und leider ist es gescheitert."
Quelle: kathpress