Hospiz-Rektor Bugnyar: Stimmung kippt zu Ungunsten Israels
"Jeder in Israel weiß: Sobald die ersten Bilder - und die gibt es schon! - über die Zerstörungen in Gaza und tote palästinensische Kinder die Runde machen, kippt die Stimmung": Auf einen sich abzeichnenden Wandel in der Sicht der Weltöffentlichkeit auf den aktuellen Konflikt im Heiligen Land hat der Rektor des Österreichischen Hospizes, Markus Bugnyar, aufmerksam gemacht. Wie der Leiter des österreichischen Pilgerhauses in der Jerusalemer Altstadt hinwies, sei die Welt nach dem "Samstag-Massaker" und den massiven Raketenangriffen der Hamas zunächst "unter Schock" gestanden, die allermeisten Menschen seien auf der Seite Israels gestanden. Dies ändere sich mit Beginn der Bodenoffensive im Gaza-Streifen, so Bugnyar in einem "Presse"-Kommentar.
Der seit fast 20 Jahren in Israel tätige österreichische Priester rechnet mit Israel-kritischen Fragen wie: "Wann ist es genug? Wie viele Menschen müssen sterben, um eintausenddreihundert abgeschlachtete Israelis jeden Alters zu rächen?" Bugnyars Vermutung: "Die Frage der Verhältnismäßigkeit wird nicht zugunsten Israels ausgehen."
Der Hospiz-Rektor machte eine Langversion seines Kommentars (www.diepresse.com/17739017/die-stimmung-kippt-was-kommt-jetzt) auf Facebook online zugänglich. Er wolle mit seinen Beobachtungen und Überlegungen Zusatzinformation bieten, die sich an jene richte, die "nicht nur an der Oberfläche bleiben wollen", wie Bugnyar schrieb. Die aktuellen Ereignisse bildeten eine Zäsur: "Wir erleben den Anfang vom Ende. Bloß welches Ende?" Bugnyar erinnerte daran, dass es seit der Gründung des Österreichischen Pilger-Hospizes im Jahr 1863 hier vier verschiedene Staatswesen gab: Das Osmanische Reich wurde erst von den Briten abgelöst, dann folgten die Jordanier und nach dem Weltkrieg der Staat Israel.
"Nirgends steht in Stein gemeißelt, dass Israel ewig bestehen wird. Das wissen auch die Israelis", erklärte der Rektor "die Angst, die hier gerade umgeht". Seine Befürchtung: "Was auch immer jetzt passieren wird: Es wird den alten Feinden Israels neuen Auftrieb geben ..."
Neue Nahrung für Antisemitismus
Gerade die Bilder der Bodenoffensive in Gaza werden dem Antisemitismus weltweit Nahrung geben, prognostizierte Bugnyar. Damit spekuliere auch die Hamas, die nicht nur Israelis, sondern auch ihre eigene Bevölkerung in Geiselhaft halte. Unterstützung seitens der palästinensischen Bevölkerung bekomme die Hamas auch deshalb, weil ihr sozial-karitatives Engagement den Menschen tatsächlich geholfen habe, wie der selbst für eine christliche Gemeinde im Gaza-Streifen engagierte Priester weiß. Die Hamas als Militärapparat stehe für viele Palästinenser an zweiter Stelle.
Zugleich sei fraglich, "wie hoch der Prozentsatz Pro-Hamas in der Bevölkerung im Gaza-Streifen wirklich ist". Bugnyar gab zu bedenken, dass dort weit mehr als die Hälfte der Menschen unter 30 Jahre alt seien und sie kaum anderes kennen als die seit 2007 regierende Hamas. Auch die Hamas-Unterszützer in der Fatah-regierten Westbank unter Präsident Abbas würden in erster Linie die eigene "korrupte Regierung" loswerden wollen, nicht weil sie notwendigerweise den Terror bevorzugen.
Bugnyar gab auch Hinweise, die Blockade Israels einzuordnen, die den Gaza-Streifen nun von Strom, Nahrung u.a. abschneidet. Das bedeute, "dass es offenbar diese Versorgungsleistungen davor gegeben hat". Die rhetorische Nachfrage des Rektors dazu: "Glaubt jemand ernsthaft, dass die israelische Öffentlichkeit angesichts der Bilder und Videos über Entführte und Enthauptete, bis zur Unkenntlichkeit Verbrannte nicht zumindest eine Sofortmaßnahme der Bestrafung erwartet von ihrer Regierung?" Ein Massaker an Juden, nach dem die Identifizierung von Ermordeten Probleme bereite, wecke unweigerlich Erinnerungen an den Holocaust. "Und gleichzeitig den Ruf: Nie wieder! Koste es, was es wolle."
Wenn Israel nun schon "am Pranger" stehe, während es noch seine Toten zu Grabe trägt, führe dies zur Frage: "Wo sind die Demonstrationen gegen die Regierung in Kairo", wo ein an Palästina grenzendes muslimisches Bruderland humanitäres Engagement vermissen lasse?
Wären zwei Staaten die Lösung?
Zur immer wieder beschworenen Zwei-Staaten-Lösung als möglichem Ende des jahrzehntelangen Konflikts merkte Bugnyar an: Israel zog sich bereits 2005 aus dem Gazastreifen zurück, es gebe eine Grenze. Auch wenn täglich Palästinenser auf dem Weg zur Arbeit in Israel oder Hilfsgüter aus Israel täglich die Grenze zum Gaza-Streifen überschritten: "Hier existieren schon zwei Staatswesen nebeneinander."
Bugnyars Antwort auf die Frage, ob der Rückzug der Israelis ihnen Frieden gebracht habe: "Offenkundig: Nein." Und dies sei für Israel auch wenig überzeugend, sich aus der Westbank zurückzuziehen. "Wer garantiert, dass dann Ruhe herrscht?"
Der Hospiz-Rektor ließ mit einer Vermutung aufhorchen: Er glaube mittlerweile, dass die Hamas selber von ihrem "Erfolg" am Samstag überrascht ist. Sicher habe die Hamas einen kräftigen Schlag gegen den als besonders effektiv bekannten Sicherheitsapparat Israels erzielen wollen, "doch womöglich kein Massaker". Bugnyar hält es für möglich, dass auch die Hamas-Führung "schockiert" über die Ereignisse am 7. Oktober ist: "Denn jetzt müssen sie alle persönlich mit ihrem Leben dafür einstehen. Das kann nicht beabsichtigt gewesen sein."
Einen Seitenhieb setzte der Priester noch gegen die "Rechte" in Israels Regierung. Diese verhalte sich derzeit "auffallend still". Auch ihre Unterstützer hätten begriffen, dass die Polarisierung innerhalb des Landes mit Massendemonstrationen und Gegendemos "dem äußeren Feind die innere Schwäche der israelischen Gesellschaft allzu deutlich vor Augen geführt hat". Die Warnungen davor hätten die Scharfmacher unter den israelischen Politikern ignoriert, so Bugnyar; "sie haben weiterhin fröhlich ihre religiös-nationalen Umtriebe in der Westbank forciert. Sie haben eine Mitverantwortung, eine entscheidende sogar, für das, was am Samstag passiert und für das, was jetzt passieren wird."
Quelle: kathpress