"Mechaye Hametim": Gedenken an Novemberpogrome vor 85 Jahren
Zum Gedenken an die Opfer der nationalsozialistischen Novemberpogrome des Jahres 1938 gegen die jüdische Bevölkerung in Wien veranstalten auch heuer wieder mehrere christliche und jüdische Organisationen gemeinsam die "Bedenktage"-Reihe "Mechaye Hametim - Der die Toten auferweckt". Hauptveranstaltung ist wie jedes Jahr der ökumenische Gottesdienst am 9. November, dem Jahrestag der Novemberpogrome, in der Wiener Ruprechtskirche (1010 Wien, Ruprechtsplatz 1). Bei der Feier um 19 Uhr wird der Wiener Generalvikar Nikolaus Krasa Worte des Gedenkens sprechen. An den Gottesdienst schließt sich traditionell auch ein Schweigegang zum Mahnmal am Judenplatz an.
Heuer jähren sich die Gräuel der Novemberpogrome 1938 zum 85. Mal. Angesichts der Gräueltaten der Hamas-Terroranschläge in Israel und eines zunehmenden Antisemitismus auch in Europa, erlange das Gedenken eine "besonders beklemmende Aktualität", heißt es im Vorfeld vonseiten der Verantwortlichen.
In der Nacht vom 9. auf 10. November 1938 wurden im gesamten deutschen Machtbereich Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte sowie Wohnungen zerstört und verwüstet. Zahlreiche Juden wurden bei den Pogromen getötet oder verletzt. Allein in Wien wurden im Zuge des Furors insgesamt 42 Synagogen und Bethäuser zerstört. 6.547 Wiener Juden kamen in Haft, knapp unter 4.000 davon wurden in das Konzentrationslager Dachau verschleppt.
Gedenken am Nationalfeiertag
Anlässlich des Gedenkens gibt es auch heuer wieder ein umfangreiches Programm, das bereits am Nationalfeiertag (26. Oktober) mit einer Exkursion ins Burgenland beginnt. Unter dem Motto "Begegnung mit Geschichte und Erinnerung" werden drei der ehemals jüdischen Siebengemeinden im Burgenland besucht: Kobersdorf, Lackenbach und Mattersburg.
Die Familien Esterhay und Batthyány gewährten von 1612 bis 1848 der jüdischen Bevölkerung im heutigen Burgenland Privilegien. Mit dem "Österreich-Ungarn Ausgleich" 1867 waren Jüdinnen und Juden bis zur Vertreibung durch das NS-Regime freie, gleichberechtigte Staatsbürger. Dazu kamen die Schutzbriefe der Esterházys aus 1690, die den sogenannten jüdischen Siebengemeinden (Eisenstadt, Mattersburg, Kittsee, Frauenkirchen, Kobersdorf, Lackenbach, Deutschkreutz) ein ungestörtes Kommunal-, Wirtschafts- und Geistesleben ermöglichten.
Die Exkursion führt zu Gedenkorten an drei der Siebengemeinden, Ausgangspunkt ist Kobersdorf, wo die einzige Synagoge erhalten ist, die die Zerstörung durch die Nationalsozialisten überstanden hat. (Anmeldung erforderlich bis 23. Oktober: www.kav-wien.at bzw. ka.forumzeitundglaube@edw.or.at)
Ebenfalls am Nationalfeiertag findet in der Wiener Pfarre St. Josef/Weinhaus (1190 Wien, Gentzgasse 142) um 18.30 Uhr ein theologischer Workshop statt. Margit Leuthold und Willy Weisz (beide Vizepräsidenten des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit) kommen über das christliche Verständnis von Umkehr und das jüdische Verständnis von Teschuwa miteinander ins Gespräch und fragen nach der Bedeutung für Umkehr der Kirchen. Anlass sind 25 Jahre seit der bahnbrechenden Erklärung "Zeit zur Umkehr. Die Evangelischen Kirchen und die Juden". (Infos & Anmeldung: Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit, www.christenundjuden.org, info@christenundjuden.org)
"Absage an jede Judenfeindschaft"
Am Samstag, 4. November, wird um 17 Uhr ein Gottesdienst in der Ruprechtskirche stattfinden, der unter dem Motto "Absage an jede Judenfeindschaft" steht. Veranstalter ist die Gemeinde St. Ruprecht, die dazu im Vorfeld festhält: "Beim Evangelisten Matthäus finden sich Texte, die jahrhundertelang zur Rechtfertigung christlicher Judenfeindschaft herhielten. Wie kann das Matthäusevangelium heute so gelesen werden, dass antijüdische Haltungen darauf nicht mehr Bezug nehmen?" (Infos: www.ruprechtskirche.at)
Am Sonntag, 5. November, findet ab 10 Uhr im Wiener Otto-Mauer-Zentrum (1090 Wien, Währinger Straße 2-4) eine Tagung statt, die jüdischen Psychologinnen und Psychologen und Medizinern im 20. Jahrhundert gewidmet ist. Die meisten von ihnen mussten nach 1933 Europa verlassen. Sie hätten die europäische Kultur entscheidend geprägt, ihr Werk wirke bis heute vielfältig weiter, heißt es dazu vonseiten des veranstaltenden Katholischen Akademikerverbandes. (Infos & Anmeldung: www.kav-wien.at)
Filmabend im Wiener Votivkino
Am Montag, 6. November, wird um 19.30 Uhr im Wiener Votivkino (1090 Wien, Währinger Straße 12) der Film "Dolmetscher" aus dem Jahr 2018 gezeigt. Der 80-jährige, in Bratislava lebende Dolmetscher Ali Ungár reist nach Wien um späte Rache am mutmaßlichen Mörder seiner Eltern zu üben, die im Holocaust getötet wurden. Doch statt des ehemaligen SS-Offiziers Kurt Graubner findet Ungar dessen Sohn Georg vor. Zuerst abweisend, beginnt Georg Graubner in dem unerwarteten Besuch eine Chance zu sehen, den dunklen Fleck in der Familiengeschichte endlich aufzuarbeiten. Er engagiert Ali kurzerhand als Fremdenführer und Übersetzer für eine gemeinsame Forschungsreise durch die Slowakei. Zusammen wollen sie die wenigen noch lebenden Zeitzeugen aufstöbern, die ihnen etwas über die dunkle Vergangenheit des Landes er-zählen können. Der Film ist auch eine Erinnerung an die verstorbenen Filmgrößen Peter Simonischek (Georg Graubner) und Jií Menzel (Ali Ungár). (Infos: www.kav-wien.at, Tickets: www.votivkino.at)
Interreligöser Dialog und Menschenrechte
Am Dienstag, 7. November, findet um 18.30 Uhr im Albert-Schweitzer-Haus (1090 Wien, Schwarzspanierstraße 13) eine Podiumsdiskussion unter dem Titel "Verortung der Zukunft?!" über interreligiöse Orte und ihren Beitrag zu einer weltoffenen Gesellschaft statt. Die Veranstaltung geht der Frage nach, welche Strömungen innerhalb einzelner Religionsgemeinschaften den Dialog fördern und welche dem entgegenstehen? Welche Wirkung kann die interreligiöse Zusammenarbeit über religiöse Grenzen für säkulare Gesellschaften haben? Es diskutieren u.a. Esther Hirsch vom House of One in Berlin und die Wiener evangelische Pfarrerin Anna Kampl. (Infos & Anmeldung: www.ash-forum.at)
Am Mittwoch, 8. November, laden die Theologischen Kurse um 18 Uhr zu einem Vortrag zum Thema "Der neue Streit um die Menschenrechte. Liberale Demokratie versus Autoritarismus." Referent ist Johann Schelkshorn, Professor für Interkulturelle Religionsphilosophie an der Universität Wien. (Theologische Kurse, Stephansplatz 3, 1010 Wien; Infos & Anmeldung: www.theologischekurse.at)
Jüdische Identität im Fußballstadion
Am Freitag, 10. November, gibt es im Jüdischen Museum (1010 Wien, Dorotheergasse 11) um 16 Uhr eine Spezialführung durch die aktuelle Ausstellung "Superjuden. Jüdische Identität im Fußballstadion". Es führt Museumsdirektorin Barbara Staudinger. Eine Erfolgsgeschichte des "jüdischen Fußballs" schrieb im Wien der Zwischenkriegszeit der zionistisch geprägte SC Hakoah. Wenig bekannt ist, dass auch andere Fußballklubs eine "jüdische Geschichte" haben. Wie es um das Bewusstsein für die jüdische Geschichte in den Fangemeinden steht und wie mit ihr umgegangen wird, thematisiert diese Ausstellung ebenso wie die Fortschreibung antisemitischer Vorurteile im Fußball bis in die Gegenwart. (Infos & Anmeldung: www.kav-wien.at, ka.forumzeitundglaube@edw.or.at)
Gedenkspaziergänge in Währing
Am Sonntag, 12. November, lädt das "ASH Forum der Zivilgesellschaft" um 10 Uhr zu einem Gedenkspaziergang von der Ewigkeitsgasse bis zum Jüdischen Friedhof Währing. Um 13 Uhr folgt eine Führung durch den Jüdischen Friedhof Währing. Das "ASH Forum der Zivilgesellschaft" ist eine von evangelischen Einrichtungen gegründete Plattform für gesellschaftlichen Dialog und Entwicklung. (Treffpunkt: 1170 Wien, Thelemanngasse 4, 1150 Wien, Infos & Anmeldung: www.ash-forum.at)
"Ein ganz gewöhnlicher Jude"
Am Montag, 13. November, findet schließlich im "FranZ" (1020 Wien, Bruno Marek-Allee 11) die Aufführung des Einpersonenstücks "Ein ganz gewöhnlicher Jude" des Schweizer Autors Charles Lewinsky statt. Es spielt Jörg Stelling, einführende Worte kommen von Prof. Martin Jäggle, Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Jörg Stelling, in der Rolle von Emanuel Goldfarb, lehnt die Einladung einer Schule, über sich als Jude etwas zu erzählen, ab. Sein Antwortschreiben wird dabei zur Abrechnung mit der Situation der Juden im Nachkriegsdeutschland. Wortreich, pointiert und manchmal zynisch beschreibt er das Spannungsfeld zwischen altem Antisemitismus und neuer politischer Korrektheit. (Infos & Anmeldung: www.christenundjuden.org, info@christenundjuden.org)
"Mechaye Hametim" ist eine gemeinsame Veranstaltungsreihe der Gemeinde St. Ruprecht, Albert-Schweitzer-Haus-Forum für Zivilgesellschaft, Evangelische Hochschulgemeinde Wien, Die Furche, Forum Zeit und Glaube - Katholischer Akademiker/innenverband der Erzdiözese Wien, Katholische Aktion Österreich, Katholische Hochschuljugend Wien, Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit und Theologische Kurse.
Quelle: kathpress