Zulehner: Kirche zu sehr mit sich selbst beschäftigt
Der Wiener Pastoraltheologe Prof. Paul Zulehner kritisiert, dass sich die Kirche zu sehr mit sich selbst beschäftige. "Meine Sorge ist, dass die Kirche sich erfolgreich durchreformiert, gleichzeitig aber die taumelnde Welt zerbricht", sagte Zulehner im Interview dem Schweizer Portal "kath.ch" (Freitag). Indirekt sei das durchaus auch eine Kritik an der Weltsynode, so der Theologe: "In der Welt tobt Krieg: in Israel, Syrien, Mali, Afghanistan, Ukraine. Der Klimanotstand bedrängt unsere Natur; wir nähern uns irreversiblen Kipppunkten. Die Migration nimmt massiv zu. Und in dieser dramatischen Zeit beschäftigt sich die Kirche mit sich selbst. Diese Kirchenimplosion finde ich fatal. Jesus wollte den Himmel auf Erden bringen - dafür muss Kirche einstehen."
Die Kirche sei ihm zu "gottvergessen und selbstbesessen", so Zulehner. Er wünsche sich demgegenüber, "dass wir Gottes Hoffnungspartisanen für die Welt sind. Damit die Welt gerechter und friedlicher wird. Wir müssen die Kirche nicht durch Strukturreformen durch die Zeit retten, sondern an der Leidenschaft Gottes für die Welt teilhaben."
Die Welt brauche Hoffnungsressourcen angesichts der vielen Krisen. "Die Angst nimmt zu, das führt zur Entsolidarisierung. Angst verursacht Nationalismus und Gewalt", warnte der Theologe. Sein Appell: "Wir als Kirche können mit den Weltreligionen und Menschen guten Willens eine wichtige Hoffnungsquelle in der Welt sein. Es kommt auf unseren Einsatz an, die taumelnde Welt ins Lot zu bringen."
Papst Franziskus sei an den Kernfragen der Welt dran. Er suche ständig den Dialog, um zum Frieden beizutragen, kümmere sich um die Schöpfung und fordere universelle Geschwisterlichkeit. Zulehner: "Wenn sich das, wofür der Papst steht, durchsetzt, bin ich sehr hoffnungsvoll."
Hoffnung auf Dezentralisierung
Im Blick auf die Weltsynode sagte Zulehner, dass Fragen zum Zölibat, Frauenpriestertum oder zur Sexualmoral auf der Synode nicht entschieden würden. Er hoffe aber, "dass die kommende Dezentralisierung und die Inkulturation dafür gute Voraussetzungen schaffen werden". Es brauche dann eine innerkatholische Ökumene, Einheit in der Vielfalt. Diese wäre auch nützlich im Dialog mit anderen Konfessionen und Religionen.
Demokratie und Frauen
Kritisch äußerte sich Zulehner zu manchen Aussagen von Papst Franziskus im Blick auf Demokratie in der Kirche, wonach diese eben keine Demokratie und kein Parlament sei. Das sei angesichts politischer Entwicklungen ungewollt kontraproduktiv. Zulehner: "Die Kirche hat dieselben Grundwerte wie eine Demokratie. Ich rate, nicht so sehr auf Demokratien zu schimpfen, denn die Rechtsbewegungen wollen uns gerade diese stehlen."
Der Papst könnte sagen: "Wir sind keine Demokratie, aber wir haben demokratische Spielregeln." Dazu gehöre "eine mutige Streitkultur, in der alle auch abstimmen dürfen - das wäre nicht geistlos". Zulehner: "Indem Papst Franziskus annimmt, dass in der Kirche die Geistkraft ist und sie deswegen keine parlamentarische Versammlung sein kann, unterstellt er, dass im Parlament kein Geist Gottes wirkt. Das ist theologisch nicht zulässig."
Auf die Frauenfrage angesprochen, meinte Zulehner wörtlich: "Die Schlüsselfrage heißt Frauen und Macht. Wenn Frauen getauft werden können, repräsentieren sie nicht den Tischler aus Nazaret, sondern den auferstandenen Christus. Denn in der Auferstehung ist Jesus zum Christus geworden. Wenn die Kirche Frauen von den Weiheämtern ausschließt, reibt sich das mit dem Evangelium. Es zeugt von einer nicht zu Ende meditierten Theologie."
Quelle: kathpress