Fachleute fordern mehr "Hilfe zum Leben" statt Suizidbeihilfe
Zu einer sachlicheren Debatte über den assistierten Suizid haben mehr als 30 Expertinnen und Experten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz aufgerufen. In der Sterbehilfe-Diskussion müsse mit den vielen "Fehlinformationen und Mythen" aufgeräumt und der Stand der Wissenschaft stärker berücksichtigt werden, fordern 34 Fachleute aus Medizin, Therapie, Rechtswissenschaft und Ethik in zwölf Thesen, die im Vorfeld des Welttags für Mental Health (10. Oktober) auf Schloss Hofen in Lochau am Bodensee (Vbg.) unterzeichnet wurden. Die Thesen richten sich an Politik und Gesellschaft, denn: "Gesellschaftliche Aufklärung und Diskussion ist dringend notwendig", heißt es darin.
Als gängigen Irrtum bezeichnen die "Schloss Hofener Thesen" die Ansicht, es sei Aufgabe einer Gesellschaft, den (assistierten) Suizid zu fördern. Zutreffend sei vielmehr, dass Staat das Wohl und den Schutz der Menschen gewährleisten und dabei immer der "Hilfe zum Leben" Vorrang geben müsse, so die Unterzeichnenden. Deshalb gelte: "Jeder Mensch in einer suizidalen Krise muss eine angemessene mitmenschliche und fachliche Unterstützung erhalten." Mehr niederschwellige Suizidprävention und rasch verfügbare, kostenfreie Krisenintervention sei daher notwendig. Diese müssten sich auch an Menschen mit Wunsch nach Suizidassistenz richten.
Die Expertinnen und Experten warnen vor sozialem oder finanziellem Druck. Niemand dürfe genötigt, beeinflusst oder gedrängt werden, Angebote der Suizidassistenz zu nutzen, weil Unterstützung oder Hilfen nicht zur Verfügung stehen oder gar verweigert werden. "Es besteht die Gefahr, dass der assistierte Suizid mit dem Ziel verbunden wird, Kosten im Gesundheitswesen oder der Altersvorsorge zu senken, Angebote im Bereich der Betreuung alter Menschen oder der Palliativmedizin in Quantität und Qualität nicht auszubauen oder generell Maßnahmen der sozialen Sicherheit und Daseinsfürsorge einzuschränken", liest man in den zwölf Thesen.
Sorgen statt Töten
Stattdessen sei die adäquate personelle Betreuung und Pflege älterer Menschen zu Hause zu forcieren, sowie "Modelle sorgender Gemeinschaften" wie etwa Mehrgenerationenhäuser, verbesserte Demenzbetreuung oder Nachbarschaftshilfe. Wer Hospiz- oder Palliativversorgung benötige, müsse diese ohne Einschränkung und Vorbedingung bekommen, wofür die Fachleute eine gesetzliche Verankerung wünschen. Zudem solle der assistierte Suizid mit dessen Motiven und Folgen auch für Angehörige und die Gesellschaft besser erforscht werden, was bessere Erfassung und Dokumentation der Fälle voraussetze. Diese Forschungen sollten in politische Entscheidungen und in die Ausbildung einfließen.
Hinsichtlich der Gesundheits- und Sozialberufe erinnern die Unterzeichnenden daran, dass die Mitwirkung an Selbsttötungen "keine ärztliche und keine pflegerische Aufgabe" sei. Niemand - auch keine Institution - dürfe dazu gezwungen werden, assistierte Suizide zuzulassen oder zu unterstützen.
Maßstab für Humanität
Auch ein "verkürztes Autonomieverständnis" wird kritisiert. Wichtige Aspekte der ethischen und humanistischen Tradition des Autonomiebegriffs blieben in der Debatte über Suizid und Suizidassistenz oft ausgeblendet. Zudem würden auch Forschungsergebnisse und Erfahrungswerte aus Anthropologie, Kulturanthropologie, Entwicklungspsychologie, Psychiatrie und Psychotherapie, Suizidprävention und Palliativversorgung weitgehend außer Acht gelassen. "Ein Innehalten und Nachdenken ist notwendig", so die Wissenschaftler.
Insgesamt sei das Verhältnis einer Gesellschaft zum Suizid und der Umgang damit "ein Maßstab für die Humanität des Umgangs miteinander, für die Achtung des menschlichen Lebens und die gelebte Solidarität ihrer Mitglieder", weisen die Verfasser der Thesen auf die grundlegende Bedeutung der richtigen Einordnung des Themas. Dies gelte für alle Menschen in Not, insbesondere für alte Menschen sowie Menschen mit schwerer psychischer und bzw. oder körperlicher Beeinträchtigung, sowie sozial benachteiligte und bedrohte Menschen.
Prominente Unterzeichner
Zu den Unterzeichnern aus Österreich gehören u.a. Andreas Heller (Universität Graz), Thomas Kapitany (Kriseninterventionszentrum Wien), Thomas Niederkrotenthaler (Medizinische Universität Wien), Susanne Kummer (IMABE), Christa Rados (Psychosoziales Therapiezentrum Kärnten) und Dietmar Weixler (Österreichische Palliativgesellschaft); aus Deutschland Claudia Bausewein (Deutsche Palliativgesellschaft), Christian Hillgruber (Universität Bonn), Ute Lewitzka (Uniklinikum Dresden), Barbara Schneider (LVR-Klinik Köln), Raymond Voltz (Uniklinikum Köln) und aus der Schweiz Raimund Klesse (Hippokratische Gesellschaft).
Unterstützt werden die "Schloss Hofener Thesen" in Deutschland von der Gesellschaft für Suizidprävention (DGS), dem Nationalen Suizidprogramm (NaSPro), dem Werner Felber Institut für Suizidprävention und interdisziplinäre Forschung im Gesundheitswesen, dem Hospiz- und PalliativVerband (DHPV) und der Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT). In Österreich haben sich die Gesellschaft für Suizidprävention (ÖGS), die Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP), die Palliativgesellschaft (OGP), die AG Suizidalität und psychiatrisches Krankenhaus sowie in der Schweiz die Hippokratische Gesellschaft angeschlossen.
Quelle: kathpress