"Wer sich an die Stelle Gottes setzt, wird für sich zur schlimmsten Gefahr"
Papst Franziskus hat am Mittwoch sein Apostolisches Schreiben "Laudate Deum" über die Klimakrise veröffentlicht. Die Nachrichtenagentur Kathpress dokumentiert im Folgenden wichtige Passagen aus dem Dokument im Wortlaut der offiziellen deutschsprachigen Übersetzung:
Wie sehr man auch versuchen mag, sie zu leugnen, zu verstecken, zu verhehlen oder zu relativieren, die Anzeichen des Klimawandels sind da und treten immer deutlicher hervor. Niemand kann ignorieren, dass wir in den vergangenen Jahren Zeugen von extremen Phänomenen, häufigen Perioden ungewöhnlicher Hitze, Dürre und anderem Wehklagen der Erde geworden sind, die nur einige greifbare Ausprägungen einer stillen Krankheit sind, die uns alle betrifft. Es stimmt, dass nicht jede einzelne Katastrophe automatisch auf den globalen Klimawandel zurückgeführt werden kann. Es ist jedoch nachweisbar, dass bestimmte von der Menschheit verursachte Veränderungen des Klimas die Wahrscheinlichkeit immer häufigerer und intensiverer Extremereignisse deutlich erhöhen. (5)
In den vergangenen Jahren hat es nicht an Personen gefehlt, welche diese Beobachtung kleinreden wollten. Sie führen vermeintlich wissenschaftlich fundierte Daten an, wie die Tatsache, dass der Planet schon immer Phasen der Abkühlung und Erwärmung hatte und haben wird. Sie versäumen dabei die Erwähnung einer anderen relevanten Gegebenheit: dass das, was wir jetzt erleben, eine ungewöhnliche Beschleunigung der Erwärmung ist, und zwar mit einer solchen Geschwindigkeit, dass eine einzige Generation - nicht Jahrhunderte oder Jahrtausende - genügt, um dies wahrzunehmen. (6)
Es mangelt nicht an Personen, die in einer sehr vereinfachenden Sicht der Wirklichkeit den Armen die Schuld dafür geben, weil sie viele Kinder haben, und die sogar versuchen, das Problem zu lösen, indem sie die Frauen in weniger entwickelten Ländern verstümmeln. Wie immer scheinen die Armen schuld zu sein. Aber die Wirklichkeit ist, dass ein kleiner Prozentsatz der Reichsten auf der Erde die Umwelt mehr verschmutzt als die ärmsten 50 Prozent der gesamten Weltbevölkerung und dass die Pro-Kopf-Emissionen der reichsten Länder um ein Vielfaches höher sind als die der ärmsten. (9)
Der menschliche - "anthropogene" - Ursprung des Klimawandels kann nicht mehr bezweifelt werden. (11)
Das Einhergehen dieser globalen Klimaphänomene mit dem beschleunigten Anstieg der Treibhausgasemissionen, insbesondere seit Mitte des 20. Jahrhunderts, lässt sich nicht verbergen. Eine überwältigende Mehrheit der Klimawissenschaftler vertritt diese Korrelation und nur ein winziger Prozentsatz von ihnen versucht, diese Evidenz zu bestreiten. (13)
Ich sehe mich gezwungen, diese Klarstellungen, die offenkundig erscheinen mögen, aufgrund bestimmter abschätziger und wenig vernünftiger Meinungen vorzunehmen, die ich selbst innerhalb der katholischen Kirche vorfinde. Aber wir können nicht mehr daran zweifeln, dass der Grund für die ungewöhnliche Geschwindigkeit dieser gefährlichen Veränderungen eine unbestreitbare Tatsache ist: die gewaltigen Entwicklungen, die mit dem ungezügelten Eingriff des Menschen in die Natur in den letzten zwei Jahrhunderten zusammenhängen. (14)
Bestimmte apokalyptische Diagnosen erscheinen oft wenig vernünftig oder unzureichend begründet. Dies sollte uns nicht dazu verleiten, zu ignorieren, dass die reale Möglichkeit besteht, dass wir einen kritischen Punkt erreichen. Kleine Veränderungen können aufgrund der Trägheitsfaktoren große, unvorhergesehene und vielleicht bereits unumkehrbare Veränderungen auslösen. Auf diese Weise würde eine Kaskade von Ereignissen losgetreten, die sich wie ein Schneeballeffekt auswirkt. In einem solchen Fall kommt man immer zu spät, denn kein Eingreifen kann einen solchen einmal begonnenen Prozess aufhalten. Von dort gibt es kein Zurück mehr. (17)
Deshalb braucht es dringend eine erweiterte Sicht der Dinge, die es uns erlaubt, nicht nur über die Wunder des Fortschritts zu staunen, sondern auch auf andere Auswirkungen zu achten, die man sich vor einem Jahrhundert wahrscheinlich nicht einmal vorstellen konnte. Es wird von uns nichts weiter verlangt als eine gewisse Verantwortung für das Erbe, das wir am Ende unseres Erdendaseins hinterlassen werden. (18)
Das größte Problem ist die Ideologie, der eine Besessenheit zugrunde liegt: Die menschliche Macht über alles Vorstellbare hinaus zu steigern, für die die nicht-menschliche Wirklichkeit nur eine Ressource zu ihren Diensten ist. Alles, was existiert, hört auf, ein Geschenk zu sein, das man würdigt, schätzt und pflegt, und wird zum Sklaven, zum Opfer einer beliebigen Laune des menschlichen Geistes und seiner Fähigkeiten. (22)
Wir müssen alle gemeinsam die Frage nach der menschlichen Macht, nach ihrem Sinn und nach ihren Grenzen neu bedenken. (...) Wir haben beeindruckende und erstaunliche technologische Fortschritte gemacht, und wir sind uns nicht bewusst, dass wir gleichzeitig zu höchst gefährlichen Wesen geworden sind, die das Leben vieler Geschöpfe und unser eigenes Überleben gefährden können. (28)
Der ethische Verfall der tatsächlichen Macht wird durch Marketing und falsche Informationen verschleiert, die nützliche Mechanismen in den Händen derer sind, die über größere Mittel verfügen, um durch diese die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Wenn ein Projekt mit starken Eingriffen in die Umwelt und erheblich belastenden Auswirkungen geplant ist, werden den Bewohnern des Gebiets mit Hilfe dieser Mechanismen Illusionen gemacht. (29)
Es ist gerade die Summe vieler als tolerierbar eingeschätzter Schäden, die uns am Ende in diese Situation bringt, in der wir uns jetzt befinden. (30)
Die Logik des maximalen Profits zu den niedrigsten Kosten, verschleiert als Rationalität, als Fortschritt und durch illusorische Versprechen, macht jede aufrichtige Sorge um das gemeinsame Haus und jede Sorge um die Förderung der Ausgestoßenen der Gesellschaft unmöglich. (31)
Im eigenen Gewissen und angesichts der Kinder, die für den Schaden ihres Handelns bezahlen werden, stellt sich die Frage nach dem Sinn: Welchen Sinn hat mein Leben, was ist der Sinn meines Erdendaseins, was ist letztlich der Sinn meiner Arbeit und meiner Mühe? (33)
Die derzeitige Herausforderung scheint nicht so sehr darin zu bestehen, den alten Multilateralismus zu retten, sondern ihn zu rekonfigurieren und unter Berücksichtigung der neuen Weltlage neuzugestalten. (37) Wenn wir auf die Fähigkeit des Menschen vertrauen, über seine kleinen Interessen hinauszugehen und im Großen zu denken, können wir nur hoffen, dass die COP28 zu einer deutlichen Beschleunigung der Energiewende mit wirksamen Verpflichtungen führt, die einer dauerhaften Überwachung unterliegen. (54)
Wir müssen diese Logik überwinden, dass wir einerseits ein Problembewusstsein an den Tag legen und gleichzeitig nicht den Mut haben, wesentliche Veränderungen herbeizuführen. Wir wissen, dass wir bei diesem Tempo in nur wenigen Jahren die wünschenswerte Höchstgrenze von 1,5 Grad Celsius überschreiten werden und nur wenig später 3 Grad Celsius erreichen könnten, mit dem hohen Risiko, an einen kritischen Punkt zu gelangen. Selbst wenn dieser Punkt, von dem es kein Zurück mehr gibt, nicht erreicht würde, wären die Auswirkungen katastrophal und es müssten in aller Eile unter enormen Kosten und mit äußerst schwerwiegenden und unerträglichen wirtschaftlichen und sozialen Folgen Maßnahmen ergriffen werden. (56)
Die Annahme, dass jedes künftige Problem mit neuen technischen Eingriffen gelöst werden kann, ist ein fataler Pragmatismus, der einen Schneeballeffekt hervorrufen würde. (...) wir laufen Gefahr, in einer Logik des Ausbesserns, des Flickens und des Anbindens gefangen zu bleiben, während im Untergrund ein Prozess der Verschlechterung voranschreitet, den wir weiter fördern. (57)
Hören wir endlich auf mit dem unverantwortlichen Spott, der dieses Thema als etwas bloß Ökologisches, "Grünes", Romantisches darstellt, das oft von wirtschaftlichen Interessen ins Lächerliche gezogen wird. Geben wir endlich zu, dass es sich um ein in vielerlei Hinsicht menschliches und soziales Problem handelt. Deshalb bedarf es einer Beteiligung von allen. Auf Klimakonferenzen ziehen die Aktionen von sogenannten "radikalisierten" Gruppen oft die Aufmerksamkeit auf sich. In Wirklichkeit füllen sie jedoch eine Lücke in der Gesellschaft als Ganzer, die einen gesunden "Druck" ausüben müsste, denn es liegt an jeder Familie, zu bedenken, dass die Zukunft ihrer Kinder auf dem Spiel steht. (58)
Wenn ein aufrichtiges Interesse besteht, die COP28 zu einer historischen Konferenz zu machen, die uns als Menschen ehrt und adelt, dann können wir nur auf verbindliche Formen der Energiewende hoffen, die drei Merkmale aufweisen sollten: dass sie effizient sind, dass sie verpflichtend sind und dass sie leicht überwacht werden können. (59)
Ich möchte es nicht unterlassen, die katholischen Gläubigen an die Beweggründe zu erinnern, die sich aus ihrem Glauben ergeben. Ich ermutige die Brüder und Schwestern anderer Religionen, dasselbe zu tun, denn wir wissen, dass echter Glaube nicht nur das menschliche Herz stärkt, sondern das ganze Leben verwandelt, die eigenen Ziele verändert und die Beziehung zu den anderen wie auch die Verbindung mit der ganzen Schöpfung in ein neues Licht taucht. (61)
Die jüdisch-christliche Weltanschauung besteht auf dem besonderen und zentralen Wert des Menschen inmitten des wunderbaren Konzerts aller Lebewesen, aber heute sind wir gezwungen zu erkennen, dass man nur von einem "situierten Anthropozentrismus" sprechen kann. Das heißt, wir müssen anerkennen, dass das menschliche Leben ohne andere Lebewesen nicht verstanden und nicht aufrechterhalten werden kann. (67)
Machen wir also Schluss mit der Vorstellung eines autonomen, allmächtigen, unbegrenzten Menschen und überdenken wir uns selbst, um uns auf eine demütigere und umfassendere Weise zu verstehen. (68)
Ich lade einen jeden ein, diesen Weg der Versöhnung mit der Welt, die uns beherbergt, zu begleiten und ihn mit einem eigenen Beitrag zu bereichern, denn unser Engagement hat mit der persönlichen Würde und den großen Werten zu tun. Ich kann jedoch nicht bestreiten, dass es notwendig ist, aufrichtig zu sein und anzuerkennen, dass die wirksamsten Lösungen nicht allein von individuellen Bemühungen, sondern vor allem von bedeutenden Entscheidungen in der nationalen und internationalen Politik kommen werden. (69)
"Lobt Gott" ist der Name dieses Schreibens. Denn ein Mensch, der sich anmaßt, sich an die Stelle Gottes zu setzen, wird zur schlimmsten Gefahr für sich selbst. (73)
Quelle: kathpress