Küberl: Den Armen mit Gespür und Wertschätzung begegnen
Der frühere Caritas-Präsident Franz Küberl hat mehr Gespür und Wertschätzung für arme Menschen in Österreich eingemahnt. Im Interview mit der "Kleinen Zeitung" (Sonntag) meinte Küberl, das jüngst an die Öffentlichkeit gelangte Nehammer-Video und die Debatte darüber stünden symptomatisch dafür, "wie Reiche über Arme reden. Die Reichen wissen in Wirklichkeit nicht, wie es den Armen geht."
Er würde sich wünschen, "dass man weniger in Vinotheken verkehrt und vielleicht öfters in Obdachlosenhäusern mithilft. Ohne Social Media und Fotografen." Man solle die Lebensumstände der Ärmeren in einer fairen Weise kennenlernen und erahnen, "was sich da abspielt. Wenn man die Miete nicht zahlen kann. Wenn man zu wenig Geld zum Heizen hat. Wenn man den Kindern nichts zu essen geben kann. Das ist nicht millionenfach, aber es ist tausendfach in Österreich."
Gott sei Dank gebe es in Österreich viel Wohlstand "und in einem Staat wird es immer Wohlhabende brauchen, die in der Lage sind, mitzuhelfen, damit Armut wirkungsvoll bekämpft werden kann". Er halte deshalb "die Reichenschlägerei mit dem Baseball-Knüppel für Unfug", so Küberl.
Viele Leute, denen es sehr gut geht, hätten sich an sozialen Brennpunkten auf die Spurensuche nach Armut gemacht und sie würden es immer noch tun, sei es bei der Caritas oder anderswo. Im Rückblick auf seine Zeit bei der Caritas fügte Küberl hinzu: "Ich könnte eine ganze Liste von ÖVP-Politikern aufzählen, die ich dabei erlebt habe, wie sie sich für Arme interessiert, hingesetzt und mitgetan haben. Das ist ganz stark verdunstet, wirklich." Es sei eine Art "Reichtumstaumel" ausgebrochen, der zur Normalität erklärt werde, kritisierte Küberl.
Anstößig werde Reichtum dann, "wenn die Reichen nur auf sich selbst schauen". Wenn sie hingen mithelfen, "dass in der gesamten Gesellschaft vernünftiger gelebt werden kann, ist es ein Segen". Die Grundfragelaute: "Wie sollen Arme an dieses Österreich glauben? Sie tun es dann, wenn sie Platz haben. Wenn sie nicht die Erfahrung machen, für ihre Armut noch einmal beschimpft und gehänselt zu werden. Daraus entsteht keine Zukunft."
Auf die Schuldfrage in der Armutsdebatte angesprochen, meinte Küberl: "Es gibt nur unvollkommene Menschen, und ich verstehe nicht, warum man von Armen erwartet, dass sie vollkommener als Reiche sind. Eine schräge Ansicht. Es braucht nur jeder in den Spiegel zu schauen und sich zu fragen, ob man noch nie falsch abgebogen ist."
Laut Küberl ein Grundproblem: Die Parteien hätten immer mehr Angst vor den Reichen als vor den Armen. "Hätten sie mehr Angst vor den Armen, täten sie mehr gegen die Armut."
Bildung und Wohnen
Der Sozialstaat werde nie alles abdecken können. Deshalb seien die Antennen der karitativen Organisationen mit ihren vielen Angestellten und Freiwilligen so wichtig. Küberl: "Es wird nie alles gleich sein und nie alles gerecht. Aber die Annäherung an Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit will man nicht aufgeben. Da kann man deutlich mehr besser machen. Die Frage ist, ob es in den Parteien genug Leute gibt, die eine Ahnung von denen haben, denen es nicht so gut geht."
Der frühere Caritas-Präsident plädierte im "Kleine Zeitung"-Interview für ganztägige Schulen, "wo dann keine Hausaufgaben mehr anfallen und auch den ganzen Tag über nicht nur gelernt, sondern auch miteinander gelebt und gespielt wird". Dies würde mithelfen, "dass auch jene aus schwierigen Verhältnissen gestärkt werden, die niemanden daheim haben, der mit ihnen lernt".
Ein weiteres dringliches Thema für den früheren Caritas-Präsidenten: "Wir müssen das Wohnen wieder leistbar machen."
Wie Küberl weiter sagte, sei mit zunehmendem Wohlstand zugleich das Schamgefühl all jener gestiegen, die nicht dazu gehören. "Und da sollte man schon ein paar Millimeter mehr Respekt aufbringen", so Küberl: "Das ist keine Steuer, die jeder Bürger zahlen sollte. Das ist Mitgefühl. Du weißt nie, warum jemand dünn beieinander ist. Du kannst letztlich auch nicht urteilen. Wenn man jemandem auf die Sprünge helfen will, geht das nur auf Augenhöhe."
Quelle: kathpress