Schönborn: Sozialstaat nicht selbstverständlich nehmen
Das soziale Netz in Österreich mit seiner Absicherung gegen Lebensrisiken wie Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Altersarmut ist "so dicht gespannt, dass Menschen in anderen Ländern nur davon träumen können". Kardinal Christoph Schönborn hat in seinen wöchentlichen Gedanken zum Sonntagsevangelium, veröffentlicht auf der Website der Erzdiözese Wien, davor gewarnt, diese demokratische Errungenschaft für selbstverständlich zu nehmen. "Das ist es nicht!", betonte Schönborn. Wer seinen Job verliert oder krank wird, stehe in Österreich "nicht vor dem Nichts". In vielen Ländern der Welt sei das anders.
Der Wiener Erzbischof knüpfte mit seinem Lob des Sozialstaates an das Gleichnis Jesu von den Arbeitern im Weinberg (Mt 20,1-16) an. Dort fänden sich zwei Gesellschaftsmodelle: das damals vorherrschende, das bis heute in weiten Teilen der Welt weiterbestehe, und das von Jesus gegenübergestellte Modell einer Gesellschaft, die von Solidarität und ausgleichender Gerechtigkeit geprägt sei. Jesus nenne dieses Modell "Himmelreich" oder "Reich Gottes", meine damit aber "nicht etwas, das es erst im Himmel geben wird", stellte Schönborn klar. Er wolle eine Gesellschaftsordnung, die schon hier auf Erden möglich sei, die "bereits jetzt das Leben der Menschen bestimmt, verändert und verbessert".
Die im Sonntagsevangelium geschilderte Arbeitswelt zur Zeit Jesu sei von prekären Arbeitsverhältnissen geprägt, erklärte der Kardinal: Taglöhner wurden vom Arbeitgeber für einen Tag engagiert, ohne Garantie für den nächsten Tag. "Von Sozialversicherung ist keine Rede, auch nicht von Arbeitslosengeld. Wer krank wird, hat Pech gehabt." Der Besitzer des Weinguts im Evangelium braucht dringend Erntearbeiter und heuert bis eine Stunde vor Arbeitsschluss Arbeiter an. Am Abend wird der Tageslohn von einem Denar ausbezahlt. Dass alle den vollen Tageslohn erhalten, auch die deutlich später eingestiegenen, ärgert jene, die den ganzen Tag gearbeitet haben.
Dazu Schönborn: "Könnte es nicht sein, dass der Gutsherr einfach sozial gedacht hat?" und sich die Frage stellte: "Warum sollen die Familien der Taglöhner, die keine Arbeit gefunden haben, Hunger leiden?" Der Gutsherr habe damit aus Mitgefühl das getan, was heute vom Sozialstaat Begünstigte für selbstverständlich halten. Aus diesem "urmenschlichen Mitgefühl" wurden nach den Worten des Kardinals heutige soziale Einrichtungen entwickelt. "Möge es nie verloren gehen!"
Quelle: kathpress