Wiener Kirchenhistoriker zu Pius XII.: Wenig neue Erkenntnisse
Papst Pius XII. (1939-1958) wusste spätestens seit Dezember 1942 von den Vernichtungslagern im Deutschen Reich - und hat doch geschwiegen und den moralischen Bankrott der katholischen Kirche in ihrer Haltung zur Judenvernichtung besiegelt: So lautet die aktuell viel kolportierte Deutung des in der Vorwoche veröffentlichten, bislang unbekannten Briefes des deutschen Jesuiten Lothar König an den damaligen persönlichen Assistenten von Papst Pius XII., Robert Leiber. Für ein höheres Maß an Differenzierungen in dieser Sache hat nun der Wiener Kirchenhistoriker, Prof. Rupert Klieber, plädiert. Historisch biete das Schreiben wenig neue Erkenntnisse, es stelle ein "Mosaikstein im Gesamtbild" dar, ziehe aber eine Reihe an Fragen nach sich, die noch offen seien, so Klieber gegenüber Kathpress.
So füge sich das Schreiben "ein in eine zunehmend im Archiv entdeckte Reihe von Schreiben, die kuriale Stellen auf die Gräuel im Osten verwiesen haben, die im Windschatten des Krieges dort verübt wurden". Insofern sei das Schreiben "in seiner Qualität nicht neu, es verstärkt aber doch die bekannte Problematik", führte Klieber aus, der selber Projekte zur Erforschung der Pius XII.-Archive im Blick auf Österreich betreut. Einen wichtigen Baustein stelle das Schreiben jedoch zweifellos im Blick auf die Genese der Weihnachtsansprache von Pius XII. 1942 dar - "der deutlichsten Aussage von Pius XII. zum mehrfachen Völkermorde", so Klieber.
Offen seien indes etwa die Fragen, ob das Schreiben den Assistenten des Papstes, Robert Leiber, überhaupt erreicht habe bzw. wie er es selber aufgefasst habe - und ob er es überhaupt an Pius XII. weitergereicht habe. Auch sei noch nicht bekannt, ob der Stab um den Papst darüber beraten habe - dies, so Klieber unter Verweis auf den deutschen Kirchenhistoriker Hubert Wolf, sei insgesamt eine wichtige Aufgabe für die weitere Forschung: die Ausweitung des Blicks vom Papst auf den gesamten kurialen Apparat an Beratern.
An der prinzipiell offenen Frage ändere das Schreiben jedoch wenig, fügte der Historiker hinzu: "Wie beurteilt man das Verhalten Pius XII., vor allem seine Entscheidung, so viel/wenig zu sagen, wie er es getan hat. Er hat nicht nichts gesagt; er hat sich - zweifellos im inneren Ringen - aus verschiedenen Motiven entschlossen, nicht mehr zu sagen." Bekannte Motive seien laut Klieber: "Neutralität im Krieg, Vermeidung von Vereinnahmung, Furcht vor noch schlimmeren Konsequenzen - siehe NS-Methode: die unteren Ränge für das Verhalten der Hierarchie büßen zu lassen; Angst der deutschen Kirche vor Konsequenzen, wie sie auch im Brief König greifbar wird".
Interessant sei aber zweifellos auch der Fund einer Namensliste der in jener Zeit in Klöstern und Kirchen versteckten rund 3.600 römischen Juden. Dieser Fund von Anfang September im Archiv des Päpstlichen Bibelinstituts in Rom, für den u.a. der österreichische Alttestamentler P. Dominik Markl verantwortlich zeichnet, markiere "geradezu idealtypisch die Ambivalenz des kirchlichen Handelns der Zeit" und lasse deutlich werden, wie sehr man im Rückblick "Vorsicht in der Bewertung" und "historiografische Sorgfalt" walten lassen müsse, so Klieber.
Quelle: kathpress