Csiszar: Kirchenkluft zwischen West- und Ostmitteleuropa überwinden
Für ein besseres Verständnis und Miteinander der Kirchen in West- und Osteuropa hat die an der Katholischen Privat-Universität (KU) Linz lehrende Pastoraltheologin Klara-Antonia Csiszar plädiert. Sie äußerte sich vergangene Woche beim Renovabis-Kongress in München, der heuer unter dem Motto stand: "Freiheit, die ich meine. Europa zwischen Aufbruch, Ernüchterung und Bedrohung".
Prof. Csiszar stammt aus Rumänien. Sie wird als theologische Beraterin an der kommenden Bischofssynode im Oktober in Rom teilnehmen. Bei der Kontinentalversammlung im vergangenen Februar in Prag, die Teil des Synodalen Prozesses war, habe sich eine teilweise deutliche Kluft zwischen den Kirchen in West- und in Ostmitteleuropa gezeigt, so Csiszars Befund. Sie gab bei ihrem Vortrag in München, über den der Pro-Oriente-Informationsdienst (Montag) ausführlich berichtete, einen Überblick über die Kirchenentwicklung in Mittel- und Osteuropa seit 1989 und stellte im Anschluss einige Thesen vor, die für ein besseres Miteinander essenziell sein könnten.
Csiszar unterschied bei der Entwicklung in Ostmitteleuropa seit 1989 verschiedene Phasen: So sei auf eine erste Phase der Euphorie und Orientierungslosigkeit eine zweite Phase der Diözesansynoden und pastoralen Orientierung, eine dritte Phase der Konsolidierung und schließlich eine vierte Phase der Selbstverteidigung gegenüber dem als westlich empfundenen Liberalismus gefolgt.
Phase der Orientierungslosigkeit
Nach vier Jahrzehnten Staatskontrolle und Hinderungen der Kirchenpraxis in all ihren Bereichen hätten die Kirchen nach dem Fall des Kommunismus von heute auf morgen wieder Zutritt zu öffentlichen Institutionen, zu Schulen, Krankenhäusern, Gefängnissen oder Kulturinstitutionen bekommen. "Der Weg war frei, Seelsorgearbeit zu übernehmen und diese zu gestalten." Allerdings seien die Kirchen für diese neue Situation sowohl personell als auch fachlich wenig gerüstet gewesen.
Parallel zu den ersten Versuchen der Gestaltung einer gesellschaftlichen Kirchenpräsenz war die katholische Kirche zudem vielerorts zu einer "Megabaustelle" geworden. Csiszar: "Während die Menschen von einem Tag auf den anderen mit einer bis dahin unbekannten sozialen Unsicherheit konfrontiert waren, mit existenziellen Schwierigkeiten kämpfen mussten, war die Kirche (...) mit Bauarbeiten beschäftigt. Kirchen, Pfarrhäuser, Pastoralzentren wurden neu gebaut oder renoviert." Viele davon seien aus heutiger Sicht überdimensional und nicht funktional gewesen, so Csiszar. Freilich: "Woher hätte die Kirche nach 40 Jahren Kommunismus wissen können, wie man ihre Räumlichkeiten im Sinne des Zweiten Vatikanums zu bauen und gestalten hat?"
Es sei auch offensichtlich gewesen, dass es an fachkompetentem Personal fehlte, das in der neuen Demokratie die Kirche im Geiste des Zweiten Vatikanums denken und gestalten hätte können. Stipendien-Angebote, überwiegend aus dem deutschsprachigen Raum, sollten deshalb damals die gute Ausbildung des künftigen Kirchenpersonals sichern.
Phase der Neuorientierung
Die zweite Phase der pastoralen Neuorientierung dauerte laut Csiszar in den von ihr erforschten Ländern Ostmitteleuropas von Mitte der 1990er Jahre bis zur Mitte der Nullerjahre. Dazu gehörte die Evaluierung der Kommunismuserfahrung, das Lesen und Deuten der Zeichen der Zeit und eine ostmitteleuropäische Antwortfindung, "wie Kirche in der neuen Demokratie dialogfähig ad intra und ad extra und nahe bei den Menschen sein kann". Viele Ortskirchen im postkommunistischen Raum hätten sich auf diesen längeren Prozess der Neuorientierung eingelassen. Nicht wenige hätten die Hürde einer Diözesansynode auf sich genommen und auch ihre Chance genutzt.
Die Ortskirchen durften in diesen Jahren vielerorts auch die Begeisterung und das Engagement der Laien erfahren. Aber: "Aus der Einbindung der Laien, sei es in die Diözesansynoden, sei es in andere Formen der Neuorientierung, ist eine Dynamik erwachsen, die nicht wenige Priester und Bischöfe - verständlicherweise - verunsichert hat."
Am Ende der Neuorientierungsphase habe die Personalpolitik jedenfalls ein anderes Vorzeichen bekommen: "Mancherorts ist zu beobachten, dass die bei den Neuorientierungsprozessen aktiven federführenden Priester durch konventionell denkenden Kollegen ersetzt wurden."
In der Phase der Neuorientierung habe aber jedenfalls die Zahl der Theologiestudierenden und der Priesteramtskandidaten zugenommen. Von Laien wurde die Möglichkeit eines Theologiestudiums mit bemerkenswertem Interesse angenommen. Lehrstühle seien in dieser Zeit mit Priestern besetzt worden, die in Deutschland oder Österreich ihr Doktorat abgeschlossen hatten, womit zugleich aber ihre prägende und federführende Rolle auf Diözesanebene zurückging. Von Jahr zu Jahr absolvierten viele Laien diverse Studien im Bereich der Theologie, der Weg zurück in die Praxis sei aber für die meisten von Ihnen leider versperrt geblieben, bedauerte Csiszar.
Phase der Konsolidierung
Die dritte Phase der Konsolidierung verortete Csiszar zwischen der Mitte der Nullerjahre und 2015. Die diözesanen Strukturen hätten sich in dieser Zeit herausgebildet und gut etabliert. Die Laien hätten ihren Platz in der zweiten Reihe gefunden und diesen angenommen, zugleich sei die Zahl der Theologiestudierenden ohne berufliche Perspektive zurückgegangen, ebenso wie die Zahl der Priesteramtskandidaten. Theologische Forschung, das Erlernen und Einüben des kritischen Denkens an den theologischen Fakultäten, sei von den Diözesen zwar geduldet, aber nur selten finanziert worden.
Ein Pastoralverständnis im Sinne einer nach innen (ad intra) schauenden Kirche habe sich breit gemacht, die Stabilisierung der Kirche angesichts liberaler gesellschaftlicher Tendenzen sei immer wichtiger geworden, bedauerte Csiszar: "Die leeren Kirchen in Westeuropa werden zu Mahnzeichen der Ortskirchen im postkommunistischen Raum. Eine Kirche ad extra, die sich mit gesellschaftsrelevanten Themen beschäftigt, mit der Weltkirche, mit Dialognotwendigkeiten und mit der Kreativität einer Kirchenpraxis, die über den eigenen Tellerrand hinausschaut, sieht man nur sporadisch." Die pastorale Arbeit an der Basis habe sich in den Gottesdiensten, in Jungschar- und Jugendgruppen und in Frauenrunden erschöpft. Die Pfarrgemeinderäte etablierten sich - bis auf wenigen Ausnahmen - als Männerrunden.
In der Phase der Konsolidierung sei auch ein Trend zu verzeichnen gewesen, die Diakonie aus der diözesanen Pastoral outzusourcen und zur Aufgabe der Ordensgemeinschaften und der Diözesancaritas zu machen.
Phase der Selbstverteidigung
Schließlich habe das Jahr 2015 eine Demarkationslinie auf dem Entwicklungsweg der Kirchen in Ostmitteleuropa dargestellt. Csiszar: "Es hat alles mit der Flüchtlingskrise begonnen, in Ostmitteleuropa werden sie Migranten genannt. Die deutsche Willkommenskultur hat für große Irritationen in Ostmitteleuropa gesorgt." An diesem Punkt habe auch Papst Franziskus begonnen, für die Kirche in Ostmitteleuropa ungemütlich zu werden, indem er immer wieder an die Werke der Barmherzigkeit erinnerte und für die Aufnahme der Flüchtlinge gesamtkirchlich eine ähnliche Willkommenskultur etablieren habe wollen, wie dies aus Deutschland bekannt gewesen sei. Es seien zudem immer weitere Themen in der Kirche im Westen in den Vordergrund gerückt wie Machtmissbrauch, Fragen der Sexualmoral, insbesondere der Umgang mit LGBTQIA+-Personen, der Zölibat und die Rolle der Frau. Dies habe weitere Irritationen in den Ortskirchen der neueren Demokratien ausgelöst.
Der Befund von Prof. Csiszar: "Wir können heute von einer Kluft zwischen den Ortskirchen der neueren und älteren Demokratien sprechen, wie es sie nicht einmal in der Zeit des Kommunismus gab." Bei der synodalen Kontinentalversammlung im vergangenen Februar in Prag seien einige zentrale Aspekte dieser Kluft offen formuliert worden.
Unterstützung des kritischen Denkens
Csiszar plädierte in Folge u.a. für mehr Solidarität des Ostens mit den Kirchen im Westen. Es sei offensichtlich, dass es der Kirche in Deutschland wie auch in Westeuropa nicht gut gehe. "Jahrzehntelang, während und nach dem Kommunismus, haben wir aus der in Deutschland heute leidende Kirche sehr viel Solidarität, Geschwisterlichkeit und Unterstützung erhalten. Wie schön wäre es dann, wenn wir Ortskirchen in den neuen Demokratien ein Ohr und ein Herz für die Sorgen der Kirche hier in Deutschland hätten."
Auf der anderen Seite hielt sie für die kommenden Jahre in Ostmitteleuropa die Unterstützung des kritischen Denkens und der interdisziplinären theologischen Forschung für wichtig, um zu einer Erneuerung des kirchlichen und theologischen Denkens beizutragen. Denn: "Die Situation der Kirche ist in Ostmitteleuropa nicht gut." Die Zahl der Priester und die Zahl der Kirchenbesucher gehe zurück; die Bereitschaft, Theologie zu studieren ebenfalls. Die Themen, vor denen die Kirchenverantwortlichen in Ostmitteleuropa "Angst haben und denken, dass wir sie aufhalten können, sind nicht aufzuhalten". Es fehle das Personal in der Pfarre, aber auch auf Diözesanebene.
Csiszar benannte einige Themen, denen sich die Diözesen in den kommenden Jahren auch in Ostmitteleuropa kompetent stellen müssten: Missbrauch, Umstrukturierungen, Entwicklung von neuen synodalen Strukturen, die Gender-Frage, die Frauen-Frage, gleichgeschlechtliche Partnerschaften und der Umgang mit ihnen, neuer Humanismus im Digitalen, Euthanasie, Klimafragen und Klimakonzepte für die Diözesen sowie die Planung einer auch ohne Priester funktionierenden Seelsorge und Liturgie.
Das abschließende Plädoyer der Theologin: "Begeben wir uns in die Gefahr der Synodalität, in die Gefahr des respektvollen Zuhörens und von einender lernen Wollens und verabschieden wir uns von unseren fertigen Agenden, von unseren starren Überzeugungen, dass wir wissen, wie Kirche in der Zukunft geht." Im Raum des Zuhörens könne sich Transformation und Wandel ereignen. Und nur eine solche Kirche brauche die Gesellschaft, "die fähig ist, sich zu wandeln und andere auf dem Weg ihrer Wandlung zu begleiten".
Quelle: kathpress