Psychiater: Wunsch nach Selbsttötung als Hilferuf verstehen
Angesichts einer im Jahr 2022 angestiegenen Zahl von Suiziden in Österreich rufen Experten dazu auf, Äußerungen eines Wunsches nach Selbsttötung noch stärker als Hilferuf zu verstehen - und nicht etwa als Auftrag für die Umgebung in Sachen Beihilfe. Immer wieder würden assistierte Suizide von Menschen verlangt, die sich in einer schweren Lebenskrise befinden, erklärte Thomas Kapitany, Ärztlicher Leiter des Kriseninterventionszentrums in Wien, im Gespräch mit dem Wiener Ethikinstitut IMABE anlässlich des "Welttags für Suizidprävention" (10. September). Wer über assistierten Suizid nachdenke, brauche vor allem Hilfe.
1.099 Menschen nahmen sich im Jahr 2021 laut den offiziellen Zahlen das Leben, im Jahr 2022 waren es sogar 1.276 - mehr als dreimal so viele wie es Tote im Straßenverkehr gab. Erstmals statistisch erfasst sind unter dieser Zahl auch 57 Suizide unter Mithilfe Dritter. Viele Ängste und Fragen stünden dahinter, wenn jemand aufgrund längerer Leidenssituationen aus dem Leben scheiden wolle und dafür den assistierten Suizid als Möglichkeit in Betracht ziehe, berichtete Kapitany. Eindeutig sei auch assistierter Suizid ein Suizid, also Selbsttötung.
Entscheidend sei es, Betroffenen niederschwellig und rasch Hilfe anzubieten, so der Psychiater und Psychotherapeut, wobei im Zentrum von Krisenintervention vor allem das Gesprächsangebot stehe. Menschen sollten die Möglichkeit haben, in vertrauensvoller Atmosphäre offen und ehrlich über ihre Belastungen, Sorgen, Verzweiflung und auch über etwaige Suizidgedanken zu sprechen. "Unsere Fälle zeigen, dass sich nach einer entsprechenden Beratung für die Betroffenen auch neue Handlungsspielräume eröffnen, die sie aus der Enge des Todeswunsches führen", so Kapitany.
Handlungsfähigkeit als Schutzfaktor
Hintergründe über die Motive für den Wunsch nach einer Beihilfe zur Selbsttötung hatten zuletzt Palliativmediziner im "Deutschen Ärzteblatt" (DOI: 10.3238/arztebl.m2023.0178) aufgezeigt. Ein Team um Yann-Nicolas Batzler von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Claudia Bausewein von der Ludwig-Maximilians-Universität München wertete dazu 53 telefonische Anfragen zum assistierten Suizid aus, die bei der Geschäftsstelle der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DPG) innerhalb eines Jahres eingingen. Ziel war es herauszufinden, welche Auswirkungen eine suizidpräventive Beratung hat.
Die Ergebnisse wiesen die meisten Anfragenden als alleinlebend aus, mit einem Durchschnittsalter von 69 Jahren, wobei sich mehr Männer als Frauen an die Geschäftsstelle gewandt hatten. Fünf Anrufende hätten einen akuten Sterbewunsch geäußert, während alle anderen rechtliche Informationen einholen und Optionen im Umgang mit Autonomieverlust und unkontrollierbarem Leiden ausloten wollten. Alle Anfragenden seien davon ausgegangen, Palliativmedizin stünde nur für Krebskranke zur Verfügung.
Wie es hieß, wollten nach dem Gespräch nur zwei Personen ihren Wunsch nach assistiertem Suizid weiterverfolgen und erhielten Kontaktdaten von Selbsthilfegruppen, Suizidpräventionsstellen und wohnortnahen Palliativteams. Die übrigen Anfragenden hätten mit ihren Erstbehandlern über weitere Möglichkeiten sprechen wollen. Das Aufzeigen von Handlungsspielräumen und Versorgungsstrukturen sowie Möglichkeiten der Symptomlinderung habe bei den meisten Anfragenden dazu geführt, dass der Suizidwunsch zunächst nicht weiterverfolgt worden sei.
Gelingendes Leben auch in Abhängigkeit
Verdeutlicht habe sich dabei laut den Studienautoren, dass Anfragen zu Sterbewünschen ernst genommen und die Hintergründe erforscht werden müssten. Dazu sei es notwendig, das Gesundheitspersonal im Umgang mit Sterbewünschen zu schulen. Zudem sei eine gesellschaftliche Verständigung darüber nötig, "wie ein Leben in Abhängigkeit von anderen Menschen gelingen kann", sagte jüngst der Leiter des Deutschen Nationalen Suizidpräventionsprogramms, Reinhard Lindner. Die Sorge vor Abhängigkeit sei bei vielen Menschen mit Suizidgedanken ein maßgeblicher Anlass für diese Gedanken.
Quelle: kathpress