Studie: Abtreibung hat keinen positiven Effekt auf Frauenpsyche
Die Politik sollte den Schutz der psychischen Gesundheit der Frau als verbreiteten Rechtfertigungsgrund für Abtreibungen überdenken, da er sich auf keine wissenschaftliche Evidenz stützen kann. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie des Wiener Instituts für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE). Ein interdisziplinäres Forscherteam hat dafür 14 zwischen 2008 und 2018 veröffentlichte Übersichtsarbeiten und Einzelstudien zu psychischen Gesundheitsfolgen von Schwangerschaftsabbrüchen untersucht.
"Um Frauen vor negativen psychischen Folgen bei einer ungewollten Schwangerschaft zu bewahren, gilt nach dem gängigen Narrativ, das in zahlreichen Gesetzgebungen Niederschlag gefunden hat, eine Abtreibung als probates Mittel", so IMABE-Direktorin Susanne Kummer. Allerdings sei die wissenschaftliche Datenlage keineswegs so eindeutig. So sei etwa ein Ergebnis einer amerikanischen Studie gewesen, dass 96 Prozent der Frauen, die abtreiben wollten, nach fünf Jahren froh waren, dass ihr Kind lebt.
98 Prozent der knapp 230.000 im Jahr 2021 in Großbritannien gemeldeten Abtreibungen wurden mit der Indikation "Gefahr für die psychische Gesundheit" der Frau durchgeführt. In Österreich, Deutschland und der Schweiz ist ein Schwangerschaftsabbruch im Fall einer "ernsten Gefahr" für die psychische Gesundheit der Frau auch nach der 12. Schwangerschaftswoche erlaubt. Mit der neuen 96-seitigen Studie "Schwangerschaftsabbruch und psychische Folgen" wolle man zur "Versachlichung des Diskurses in diesem hochsensiblen Thema des Schwangerschaftsabbruchs" beitragen, so Kummer. Die Ethikerin fungierte als Co-Autorin der Studie, die das IMABE-Institut am Montag veröffentlichte.
Gängige These infrage gestellt
Im Fokus der Analyse stand laut den Studienautoren zunächst die Frage, welche Kriterien die Qualität und Evidenz der 14 untersuchten Studien ausmachten. Dabei wurden Stärken und Schwächen der einzelnen Publikationen aufgezeigt. Die gängige These lautet, dass der Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft für die Psyche der Frau besser oder zumindest neutral sei im Vergleich zu einem Austragen des Kindes bis zur Geburt. "In der Wissenschaft ist allerdings umstritten, ob ein solcher Effekt hypothetisch ist oder tatsächlich existiert und inwiefern er überhaupt wissenschaftlich nachweisbar ist", erklärt Co-Autor Johannes Bonelli. Bei genauerer Analyse zeige sich, dass die unterschiedlichen Ergebnisse auf methodische Mängel und eine intransparente Auswahl von Daten zurückgehe, so der Internist und Pharmakologe.
Infrage stellt das Wissenschaftlerteam der IMABE-Studie vor allem Ergebnisse der zwischen 2008 und 2010 in den USA durchgeführten sogenannten "Turnaway-Studie". Deren Kernaussage, die in der Öffentlichkeit auf breiten Widerhall gestoßen ist, lautet, dass ein Schwangerschaftsabbruch der psychischen Gesundheit von Frauen nicht schade und sie sogar verbessern könne. Die IMABE-Forschenden sehen bei der US-Studie allerdings "eklatante methodische Mängel", darunter eine Intransparenz bei der Rekrutierung der Teilnehmerinnen und eine Stichprobenverzerrung durch eine hohe Drop-Out-Rate, und halten fest, dass hier "eher politischer Aktivismus statt wissenschaftlicher Objektivität" vorherrsche.
Bemerkenswert ist für Kummer und Bonelli zudem ein "offenbar wenig erwünschtes Ergebnis" der "Turnaway-Studie", das bei deren Veröffentlichung in keiner der zahlreichen Pressemitteilungen zitiert worden sei: 96 Prozent jener Frauen, die aufgrund der Überschreitung der Schwangerschaftswochenfrist von den Kliniken abgewiesen wurden und ihr Kind letztlich zur Welt brachten, waren nach fünf Jahren froh darüber und bedauerten nicht, dass das Kind lebt und nicht abgetrieben wurde.
Risiko statt Schutz
Auffallend ist laut dem IMABE-Expertenteam auch, dass sich praktisch alle Studien zum Thema Schwangerschaftsabbruch und psychische Folgen nur mit der Frage beschäftigten, ob eine Abtreibung negative Folgen für die Psyche der Frau hat - statt nachzuweisen, dass sie die Psyche der Frau verbessert hätte. Ob ein Schwangerschaftsabbruch gegenüber der Geburt des Kindes aber überhaupt den hypothetisch therapeutischen Nutzen bringe, sei ein "blinder Fleck" in der Studienlandschaft. "Die Hypothese, wonach eine Abtreibung einen positiven Effekt auf die Psyche der Frau habe, lässt sich jedenfalls durch keine einzigen wissenschaftlichen Beweise stützen", so Internist Bonelli.
Eine Abtreibung verringere auch nicht die psychischen Risiken im Vergleich zu Frauen, die ein Kind nach unerwünschter oder ungeplanter Schwangerschaft zur Welt bringen. Im Gegenteil: Ein erheblicher Teil der methodisch gut gemachten internationalen Studien sei sich einig, so die IMABE-Studienautoren, dass die Beendigung einer unerwünschten Schwangerschaft durch Abtreibung das Risiko für psychische Probleme nicht reduziere, sondern erhöhe oder bereits bestehende psychische Probleme verstärke. Uneinig sei man sich in der Frage der Begründung, warum dies so ist.
Demnach ist eine Abtreibung statistisch gesehen mit einem erhöhten Risiko für Alkohol- und Drogenmissbrauch, Suizide und Suizidversuche, Sucht, Depression und Angstzustände verbunden. Mehrfach-Abtreibungen und bereits bestehende psychische Vorerkrankungen erhöhen die Risiken statistisch signifikant.
Methodisches Problem
Konsens herrsche darüber, dass es keine wissenschaftlich valide Methode gibt, um einen direkten kausalen Zusammenhang zwischen einer Abtreibung und späteren psychische Folgen sicher nachzuweisen oder auszuschließen, gibt IMABE-Direktorin Kummer zu bedenken. Hier gebe es ein "methodisches Problem": Das sonst etwa bei Medikamentenprüfungen übliche Design einer randomisiert kontrollierten Doppelblindstudie sei im konkreten Fall "völlig unbrauchbar", auch aus ethischen Gründen abzulehnen und praktisch undurchführbar, erklärt die Expertin.
Frauen hätten ein Recht auf Aufklärung über mögliche psychische Folgen, einen sicheren Zugang zu Alternativen und eine psychologische Nachbetreuung, schlussfolgern die an der IMABE-Studie beteiligten Forscher. Aus Public-Health-Perspektive sollten sich die Bemühungen darauf konzentrieren, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche zu reduzieren. Politische Entscheidungsträger sollten den Rechtfertigungsgrund "Schwangerschaftsabbruch zum Schutz der psychischen Gesundheit der Frau" überdenken, da er sich auf keine wissenschaftliche Evidenz stützen könne, halten die Studienautoren fest.
(Kummer, S., Bonelli J., Rella, W.: Schwangerschaftsabbruch und Psyche. Eine qualitative Studienanalyse. Studienreihe IMABE, 2023; Volltext der Studie zum Download unter www.imabe.org; Direktlink: https://www.imabe.org/publikationen/studienreihe-imabe/schwangerschaftsabbruch-und-psyche-eine-qualitative-studiennalyse)
Quelle: kathpress