Schönborn: "Wir sind sehr in Gefahr, uns zu sehr mit uns selber zu beschäftigen"
Kardinal Christoph Schönborn hat dieser Tage mit einer Gruppe von österreichischen Journalistinnen und Journalisten Rom und den Vatikan besucht. Auf dem Programm standen u.a. Termine und Gespräch in mehreren Dikasterien - etwa über das kommende Heilige Jahr und die Bischofssynode. Im Rahmen dieser Reise stellte sich der Wiener Erzbischof auch den Fragen der mitgereisten Journalisten. Dabei wurden neben der nahenden Synode auch Fragen zur Situation der Kirche in Österreich besprochen. Kathpress dokumentiert im Folgenden ein Interview mit Kardinal Schönborn im Wortlaut:
Kathpress: Herr Kardinal, vor kurzem ist das Instrumentum laboris für die nächste Etappe auf dem synodalen Weg, die Bischofssynode im Oktober, veröffentlicht worden. Was hat Sie daran besonders beeindruckt?
Schönborn: Mich haben am Instrumentum laboris vor allem diese Passagen im Basistext beeindruckt, in denen gesagt wird, dass Synodalität etwas mit 'Incompletézza' zu tun hat, mit Unabgeschlossenheit. Das ist eine urbiblische Perspektive insofern, dass hier allen Ideologien ein Riegel vorgeschoben wird, die glauben, dass wir Dinge ein für alle Mal 'haben'. Mit dieser Form der 'Incompletézza' zu leben ist schwierig, aber es wird dem Leben gerecht. Wir selber sind auf diesem Weg, sind ein Stück des langen Weges, der hinter und uns noch vor uns liegt. In diesem Sinne würde ich deutlich sagen: Der Weg ist nicht das Ziel. Der Weg ist der Weg; und ein Weg hat normalerweise ein Ziel. Theologisch nennt man das die 'eschatologische Dimension', das heißt eine über diese Zeit hinausreichende Dimension.
Kathpress: Viele Menschen knüpfen hohe Erwartungen an den synodalen Prozess. Wenn am Ende rauskommt, dass das nur ein Weg ist - sind dann nicht die Enttäuschungen vorprogrammiert?
Schönborn: Wenn sie nur EIN Resultat erwarten, dann kann es Enttäuschungen geben. Wenn Sie ergebnisoffen in diesen Weg gehen, dann kann es auch noch Enttäuschungen geben - aber sich auf den Weg der Synodalität einzulassen bedeutet, sich auf einen Weg einzulassen, in dem es um die Unterscheidung geht: Welchen Weg zeigst du uns? Wenn wir uns von vornherein mit der Gewissheit auf diesen Weg begeben, dass das am Ende herauskommen muss, was ich mir vorstelle, dann kann es eine Enttäuschung werden, ja.
Kathpress: Gibt es also gar keine Anzeichen, dass mehr dabei herauskommt als ein Hören und Reden?
Schönborn: Natürlich sollen am Ende Entscheidungen herauskommen, Propositionen wie bei der Familiensynode. Da hat es schon sehr klare Erwartungen gegeben, die auch formuliert und abgestimmt wurden. Sie haben alle die Zweidrittelmehrheit erreicht, die Voraussetzung sind ist, dass es als ein Beschluss der Synode betrachtet werden kann, der dann an den Papst weitergegeben wird. Da hat es natürlich sehr konkrete Propositionen, sehr konkrete Formulierungen gegeben, und das wird es sicher diesmal auch geben. Nur warne ich davor, von vornherein zu sagen: Wenn das nicht rauskommt, was ich oder wir oder eine Gruppe sich erwartet...! Das ist dann auch keine ehrliche Synodalität.
Kathpress: Nun werden ja im Instrumentum laboris auch viele konkrete Fragen angesprochen. Ist das ein Hinweis darauf, dass sich in diesen Fragen und Streitthemen etwas bewegen könnte - oder könnte es sein, dass nachher die Mehrheit entscheidet, bei diesen vor allem europäischen Streitfragen gar nichts ändern zu wollen?
Schönborn: Das kann sehr wohl sein. Es lohnt sich, hineinzuschauen in die Papiere der 'Kontinentalen Phase'. Was sind die großen Themen, die in Asien, in Lateinamerika, in Afrika die Menschen bewegen? Das sind Themen, die bei uns fast vollständig ausgelassen sind. Aber sie haben eines gemeinsam: Die Stimme der Frauen! Ja, dringend: wenn es um soziale Gerechtigkeit geht; wenn es um die Familienfragen geht; wenn es um das Machtgefälle geht. Da ist die Frauenfrage ganz essenziell. Aber blockieren wir uns nicht von vornherein - die Ämterfrage ist auf dem Tisch, aber sie ist bei weitem nicht die einzige Frage!
Kathpress: Die erwähnte Unabgeschlossenheit von Synodalität ist natürlich außerhalb der Kirche sehr schwer vermittelbar. Besteht da nicht die Gefahr, dass die ganze Sache in einer Nabelschau und permanenten Selbstreflexion der Kirche endet und man damit dem eigentlichen Auftrag, der eigentlichen Mission untreu wird?
Schönborn: Die Gefahr der Nabelschau sehe ich auch. Sie war schon eine Gefahr beim Zweiten Vatikanischen Konzil. Das Konzil hatte es dann geschafft, aus dieser Falle herauszukommen und hat sich den wirklich großen Fragen der Zeit und der Welt gestellt und zum Teil wirklich sehr, sehr weitreichende Antworten gegeben. Und ich hoffe, dass das hier auch so sein wird. Aber der Prozess ist offen - und die Gefahr besteht, dass man bei einer zu großen Selbstbeschäftigung stehen bleibt. Ich habe nicht den Eindruck, dass das in Asien, Afrika und Lateinamerika das Problem ist, weil dort die gesellschaftlichen Probleme so drängend sind, dass man als Kirche gar nicht anders kann, als sich damit auseinanderzusetzen. Wir hier sind schon sehr in Gefahr, uns zu sehr mit uns selber zu beschäftigen. Ich erlaube mir hier eine Kritik, die ich behutsam, aber doch deutlich formuliere: Die Europäische Bischofskonferenz (CCEE), in der ich 22 Jahre lang Mitglied war, hat sich mit vielen Themen beschäftigt - aber sie hat es nie geschafft, eine gemeinsame Position der europäischen Bischöfe in der Migrationsfrage zustande zu bringen. Das ist für mich eine schwere Enttäuschung. Warum hat man die Impulse von Franziskus hier nicht aufgegriffen? Also wenn die Synodalität, die Franziskus jetzt verstärkt praktizieren will, nicht zu klaren Worten zu den großen gesellschaftlichen Problemen führt, dann ist sie gescheitert.
Kathpress: Wäre es nicht aufrichtig, als Kirche einzuräumen, dass es gar nicht mehr ohne engagierte Laien geht? Dass die Überforderung im pastoralen Bereich so groß ist, dass es die Charismen gerade auch der Frauen braucht?
Schönborn: Ich schaue auf unsere Gemeinden und sehe, was da alles möglich ist: Teilgemeinden einer Pfarre etwa werden bereits von Frauen geleitet. Das ist kirchenrechtlich überall möglich. Eine Pfarre muss von einem Priester geleitet werden. Aber eine Teilgemeinde kann natürlich von Frauen geleitet werden. Und das war eines meiner faszinierendsten Erlebnisse in der letzten Zeit, wie eine bestimmte Gemeinde unserer Diözese mit Letztverantwortung des Pfarrers durch eine sehr gute, engagierte und begabte Gemeindeleiterin geleitet wird. Wir haben die Spitalsseelsorge, die weit über die Hälfte von Frauen betrieben wird. Die Begräbnisleitung in der Erzdiözese Wien wird in zunehmendem Maße von Frauen gemacht. Wir haben bei weitem nicht ausgeschöpft, was möglich ist. Man muss es nur zulassen und wollen.
Kathpress: Inwiefern spielt der Konflikt des deutschen Synodalen Weges in den synodalen Prozess hinein?
Schönborn: Ich bin sehr gespannt, wie das ausgehen wird. Es kann durchaus sein, was ja manche Synodalen in Deutschland auch erhoffen, dass es zu einem Pull-Effekt kommt durch den deutschen Synodalen Weg; dass der auch in anderen Ländern sich als attraktiv erweist. Das ist offen. Bisher habe ich nicht den Eindruck, dass das sehr stark der Fall ist und zwar aus dem schon genannten Grund, weil in vielen Teilen der Welt die drängenden Probleme anders gesehen werden. Aber in der Dynamik dieses weltweiten synodalen Prozesses geschieht ja etwas, ein Austausch, ein gemeinsames Unterscheiden, die 'conversation spiritual', wie Franziskus sie nennt, die spirituelle Konversation, das heißt dieses aufeinander Hören und in den Austausch zu kommen. Wer weiß, was in diesen zwei Etappen des synodalen Prozesses jetzt mit dem deutschen Weg passiert...
Kathpress: Nun hat Rom sehr klare Grenzen aufgezeigt. Könnte man nicht auch sagen, dass der deutsche Synodale Weg im Gesamt des synodalen Prozesses eine wichtige Stimme ist, auf die man hören sollte?
Schönborn: Ja, es sind von Rom Grenzen benannt worden. Papst Franziskus hat das auch mit einer ironischen Bemerkung gemacht: 'Ihr habt doch in Deutschland schon eine gute evangelische Kirche. Warum wollt ihr eine zweite?' Das war ein lockeres Wort, das in das Ganze auch ein bisschen mehr Humor hineinbringen sollte, der mir persönlich auch fehlt. Ein bisschen mehr Gelöstheit täte uns allen gut. Grenzziehungen sind von Rom vorgenommen worden, vor allem vom Dikasterium für die Glaubenslehre und vom Dikasterium für die Bischöfe bezüglich der überlegten synodalen Strukturen - aber sie sind nicht mit Sanktionen verbunden worden, sondern sie sind in der Offenheit einer Debatte eingebracht worden. Wie weit man auch im deutschen Synodalen Weg bereit ist, auch diese anderen Stimmen zu hören und auf sie einzugehen, das wird sich weisen. Wenn es ein dialogisches, synodale Geschehen sein soll, dann wird es notwendig sein, auch auf die anderen zu hören - und zwar gegenseitig. Und das kann durchaus fruchtbar werden. Für mich ist das eben das Wichtige, dass das nicht abgeschlossen ist.
Kathpress: Muss sich die Kirche in diesen ganzen Fragen denn immer mit einer Geschwindigkeit bewegen oder wäre da auch mehr Ungleichzeitigkeit denkbar?
Schönborn: Die Ungleichzeitigkeit findet sowieso überall statt - zwischen Land und Stadt, zwischen Wien und den Bundesländern, um ein beliebtes Beispiel zu nennen... Das wird immer so sein. Aber eine Stärke hat die katholische Kirche, die sie hoffentlich nie aufgeben wird: Sie schafft es in dieser großen Spannungsweite auch der verschiedenen Geschwindigkeiten 'eine' zu bleiben. Das ist letztlich auf Christus zurückzuführen und hat auch sehr viel mit dem Petrusamt zu tun, mit dem Amt der Einheit. Das Faszinierende an Rom ist ja, dass man hier die unterschiedlichen Geschwindigkeiten in der Breite der Weltkirche erlebt. Und trotzdem hat man den Eindruck, es ist eine Kirche. Also das müssen wir aushalten. Resilienz nennt man das.
Kathpress: Synodale Prozesse brauchen Zeit. Haben wir diese Zeit denn eigentlich noch? Man denke an die Kirchenaustritte, an den Exodus der Jugend...
Schönborn: Ja und nein. Das Oberste, was bei uns viel zu wenig genannt wird, das ist die Demografie. Die europäische Demografie schlägt jetzt voll zu. Das Jammern darüber, dass es zu wenig Pflegepersonal gibt, zu wenig Lehrpersonal, zu wenig Gastronomiepersonal und zu wenig Kirchenpersonal: Das hat alles mit Demografie zu tun. Da dürfen wir uns nicht in den Sack lügen. Die Zahl der Katholiken wird vermutlich in Wien auf 20 Prozent sinken. Vielleicht wird das durch die Immigration teilweise ausgeglichen. Österreichweit werden wir sicher auf 40 Prozent oder weniger heruntersinken. Das ist so. Das hat nicht primär damit zu tun, dass die Kirche viele Fehler gemacht hat, sondern das ist die gesellschaftliche Entwicklung. Und Institutionen haben nicht mehr diese Bedeutung wie früher. Wir werden durch keine Maßnahmen den Katholikenschwund aufhalten können - auch nicht durch irgendwelche angeblichen, unbedingt notwendigen Reformen. Das wird's nicht spielen. Unser Land ist weniger konfessionell geworden - aber deswegen nicht weniger spirituell! Die Volksreligiosität ist nicht tot. Sie ist nicht mehr so omnipräsent - aber sie ist bei weitem nicht tot.
Kathpress: Es ist also nicht alles verloren...
Schönborn: Absolut nicht! Ich war ja kürzlich in Saudi-Arabien und im November in Bahrain: Die Welt ist faszinierend lebendig, was die religiösen Fragen betrifft. Es tut sich so viel in der religiösen Landschaft. Ich finde es einfach spannend, was wir erleben. Unser Schrumpfen beunruhigt mich da nicht. Denn die Kirche hat ein ganz schönes Paket an Sinn-Orientierung. Man nennt das das Evangelium.
Quelle: kathpress