Mehr als 11.600 Flüchtlingskinder verschwanden 2022 in Österreich
2022 wurden 13.276 Fluchtwaisen, also unbegleitete minderjährige Kinder und Jugendlich, in Österreich registriert. Davon verschwanden 11.613 spurlos. Auf diese erschreckenden Zahlen hat die "Plattform gegen Ausbeutung und Menschenhandel" aufmerksam gemacht. Misshandlungen und Ausbeutung von Kindern finden demnach täglich statt, Kinderschutz sei zugleich in Österreich noch immer ein Thema, das vielfach ignoriert wird. Zu diesem Ergebnis kam am 20. Juni ein Symposion der Plattform, über das die heimischen Ordensgemeinschaften am Montag berichteten (www.ordensgemeinschaften.at).
Unter den Organisatoren des Symposiums waren neben den Orden unter anderem die Caritas und "Jugend Eine Welt". Den Ehrenschutz für die Tagung unter dem Thema "Kinder und Jugendliche als Opfer von Ausbeutung und Kinderhandel" in Wien hatte Präsidenten-Gattin Doris Schmidauer übernommen. Dass so viele unbegleitete Kinder und Jugendliche einfach verschwänden, sei eine "unbegreifliche Tatsache", die fassungslos mache, so die Organisatoren. Viele der Kinder würden wahrscheinlich in andere Länder zu Verwandten oder Bekannten weiterreisen. Genau wisse man es aber nicht. Das öffne Zuhältern, Drogenhändlern, Bettlerclans, Ausbeutern oder Verbrecherbanden Tür und Tor, so die auf dem Symposium geäußerte Kritik.
Österreich sei von schweren Menschenrechtsverletzungen als Transit- und Destinationsland insbesondere für gehandelte Kinder betroffen, berichtete Astrid Winkler von ECPAT Österreich, einer internationalen Arbeitsgemeinschaft zum Schutz der Rechte der Kinder vor sexueller Ausbeutung. Minderjährige würden oft von ihren Eltern oder Vormunden "verkauft" und auf verschiedene Weise ausgebeutet: Sie werden zur Prostitution, Pornografie, Bettelei, Kleinkriminalität wie Diebstahl oder Drogenhandel gezwungen, so die Expertin. Laut Schätzungen von UNICEF werden jedes Jahr rund 1,2 Millionen Kinder und Jugendliche von Menschenhändlern gekidnappt.
Die meisten betroffenen Mädchen in der Pubertät würden sexuell ausgebeutet, so Winkler. Die Menschenhändler seien oft Mitglieder krimineller Organisationen, aber auch Freunde oder Familienmitglieder des Opfers können am Menschenhandel beteiligt sein. Viele Kinder geben in der Regel nicht zu erkennen, dass sie Opfer von Kinderhandel sind, da sie sich selbst nicht als Opfer sehen, so die Expertin. Besonders schwer falle es, Informationen von Kindern zu bekommen, die sexuell missbraucht, vergewaltigt und schließlich ausgebeutet werden.
Fluchtwaisen besonders anfällig
Unbegleitete minderjährige Asylsuchende in Österreich stammen zu einem großen Teil aus Afghanistan, gefolgt von Kindern aus Syrien, dem Irak und Somalia, so Lisa Wolfsegger von der Asylkoordination Österreich. Einige der Fluchtwaisen haben auf der Flucht ihre Eltern verloren, aber viele mussten sich auch allein auf den Weg machen, schilderte sie die Situation. "Sie sind besonders anfällig für Ausbeutung, Missbrauch und Gewalt und haben ein erhöhtes Risiko, auf der Flucht zu sterben."
In Österreich seien unbegleitete Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren derzeit weitgehend auf sich allein gestellt, so die Asyl-Expertin. In der Regel haben sie keine Begleitung bei ihrer Befragung durch die Polizei, der Entscheidung, ob sie einen Asylantrag stellen oder bei medizinischen Untersuchungen. Lediglich ihre Betreuung in einem Grundversorgungsquartier des Bundes ist sichergestellt. Doch diese Erstaufnahmezentren sind in erster Linie für Erwachsene gedacht und nicht Kinderrechtskonform. Allen unbegleiteten Kindern und Jugendlichen sollten deswegen unmittelbar nach ihrer Ankunft in Österreich Obsorgeberechtigte der Kinder- und Jugendhilfe (KJH) zur Seite gestellt werden, so Wolfseggers Forderung.
Sabine Kallauch von KAVOD (ein Verein, der Hilfe für Betroffene von sexueller Ausbeutung anbietet) referierte über ein Thema, das viele junge Mädchen betrifft: sogenannte "Loverboys". Das seien zumeist attraktive junge Männer, die als Zuhälter fungieren und minderjährige Mädchen in die Prostitution drängen. Sie sprechen bewusst Mädchen vor der Schule oder in der Nähe von Jugendzentren an oder kontaktieren sie online. Sie würden nach und nach ihre Opfer manipulieren und mithilfe von Drogen und Gewalt gefügig machen, so Kallauch.
Arbeitsausbeutung von Kindern herrscht in vielen Teilen der Welt immer noch vor, erklärte der Geschäftsführer von "Jugend Eine Welt", Reinhard Heiserer. Das sei ein klarer Verstoß gegen die Menschenrechte und eine schwere Missachtung der Rechte von Kindern. Viele Minderjährige, vor allem in Afrika und Asien, werden ausgebeutet, indem sie in gefährlichen Arbeitsumgebungen arbeiten, etwa in Fabriken oder Minen, wo sie einer Gefahr für ihre Gesundheit und Sicherheit ausgesetzt sind. Andere Kinder würden gezwungen, schwere körperliche Arbeit zu verrichten. "Die Produkte von Kinderarbeit finden sich heute überall", so Heiserer, "von der Bekleidung über Kosmetik bis zum Frühstückstisch".
Österreich: Kein einheitliches Gesetz
In Österreich gibt es eine Reihe von Problemen beim Kinderschutz. Eines der größten ist die Tatsache, dass es bundesweit kein einheitliches Gesetz zum Schutz von Kindern gibt. Stattdessen gebe es eine Reihe von Gesetzen, die auf verschiedene Bereiche des Kinderschutzes abzielen, aber nicht wirklich eine einheitliche Rechtsgrundlage bilden, so die Organisatoren. Es gebe auch eine große Kluft zwischen den verschiedenen Behörden, die für den Kinderschutz verantwortlich sind, und es zeige sich eine mangelnde Koordination zwischen ihnen.
Ebenso problematisch sei, dass Österreich über keine einheitliche Datenbank verfüge, in der alle Fälle von Kindesmissbrauch gesammelt und verfolgt werden. Dadurch sei es schwierig, ein umfassendes Bild des Problems zu erhalten und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Finanzierung, sowie mangelnde Zusammenarbeit und Koordination zwischen den verschiedenen Akteuren im Bereich Kinderschutz seien weitere Probleme. So sei die effektive Kooperation zwischen Polizei, Jugendämtern, Schulen, medizinischem Personal und anderen relevanten Organisationen unerlässlich, um eine umfassende Unterstützung und Betreuung für die betroffenen Kinder zu gewährleisten.
Eines der wichtigsten Themen sei die mangelnde Aufklärung und Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das Thema. Viele Menschen seien sich nicht bewusst, dass es in Österreich ein Problem mit Kindesmissbrauch gibt. Problematisch sei auch, dass es eine große Anzahl von Fällen gebe, die nicht gemeldet werden. Viele Opfer scheuen sich, den Fall anzuzeigen, aus Angst vor Repressalien oder aus Scham. Dann werde es schwierig, die Täter zu identifizieren und zu bestrafen. Es fehle an Aufklärungskampagnen und Informationsmaterialien, die das Bewusstsein für dieses Thema schärfen.
Nur durch eine umfassende und koordinierte Herangehensweise könne der Kinderschutz in Österreich effektiv verbessert werden. Jedes Kind habe das Recht auf eine sichere und geschützte Kindheit, es liege an aller Verantwortung, sicherzustellen, dass dieses Recht gewahrt werde. "Es ist an der Zeit, dass alle Beteiligten zusammenkommen und gemeinsam für den Schutz der Kinder in Österreich kämpfen", so das Fazit aller Symposions-Beteiligten.
Podcast über Flucht und Asyl bei Kindern
Dem Thema Flucht und Asyl bei Kindern ist auch die neueste Folge des Podcasts "Denkzeichen" der Katholischen Jungschar und Jugend Österreichs gewidmet, der dieser Tage erschienen ist. Laut UNO befinden sich aktuell 108,4 Millionen Menschen auf der Flucht. Doch was bedeutet eigentlich "Flucht" und wer hat Recht auf Asyl? Lisa Wolfsegger von der Asylkoordination Österreich und Roswitha Feige vom Pfarrnetzwerk Asyl geben im Podcast dazu Auskunft und beleuchten besonders die Situation von geflüchteten Kindern.
Mit dem Podcast "Denkzeichen" wollen die Verantwortlichen zu den verschiedensten Themen praxisrelevante Tipps für die kirchliche Arbeit mit Kindern und Jugendlichen bieten. So geht es in dieser Folge u.a. auch darum, wie es gelingen kann, geflüchtete Kinder zu integrieren. (Infos zum Podcast: www.denkzeichen.at/site/podcast)
Quelle: kathpress