Klimaaktivistin Schilling: An Seitenlinie stehen geht nicht mehr
Angesichts heutiger Krisen gilt es alles daranzusetzen, Ängste zu überwinden und Menschen Handlungsperspektiven für eine andere Lebensweise zu geben: Das hat die Klimaaktivistin Lena Schilling am Freitagabend bei einem Podiumsgespräch im Rahmen der Wiener "Langen Nacht der Kirchen" dargelegt. Die 22-jährige Sprecherin von "Lobau bleibt" und neuerdings auch "Krone"-Kolumnistin diskutierte im von der Akademie für Dialog und Evangelisation geführten Figlhaus mit dem Schauspieler Cornelius Obonya und dem Theologen Paul M. Zulehner über die Frage "Was hat der Glaube der Gesellschaft heute konkret zu bieten?"
"Die Zeiten, in denen man noch als Zuseher an der Seitenlinie stehen kann, sind vorbei", mahnte die Studentin der Politikwissenschaften. Die sich abzeichnende Umwelt- und Klimakatastrophe gebiete, "dass die Leute an sich glauben und sich organisieren, um gemeinsam für einen Wandel einzutreten". Die notwendige "Selbstermächtigung" gelinge, wenn sich Menschen in Kollektiven zusammenschlössen und in der Demokratie um politische Macht kämpften. Erst durch Aktivismus - Schilling konnte der von Schauspieler Obonya zugespitzten Idee "eines allgemeinen Streiktags pro Woche" einiges abgewinnen - könnten die lähmenden Ängste überwunden werden.
Obonya sah durchaus Möglichkeiten für Wandel im Rahmen heutiger Politik. "Parteien, die gute Vorschläge machen, gibt es. Man muss sich nur die Mühe geben, deren Programme auch zu lesen", so der selbst auch sozial engagierte einstige "Jedermann"-Mime. Wichtig sei, dass jeder bei sich im Kleinen anfange, sich selbst als "mündig" statt als Konsument verstehe und einen Verzicht nicht als Gefahr, sondern als "Umstellung und möglichen Gewinn" zu sehen beginne. Die von manchen eines "Verbotismus" bezichtigten jungen Klimademonstranten lobte der 54-jährige Wiener für das Eintreten dafür, "dass wir alle den Arsch hochkriegen - denn eines Tages werden uns die Tatsachen wohl alle zu Fahr- und Flugverboten zwingen".
"Kultur des Vertrauens" nötig
Über die Notwendigkeit der Überwindung von Ängsten sprach auch der Theologe Zulehner. "Wenn Angst regiert, macht sie den Menschen böse und lässt ihn zur Selbstverteidigung greifen - was in ihm Gier, Gewalt und Lüge zutage bringt oder in politischer Dimension Krieg, Korruption und Kapitalismus", so der 83-jährige Religionssoziologe. Es drohten religiöse Fundamentalismen und eine antidemokratische "Politik der Angst", bei der Menschen jenen ihre Wählerstimme schenkten, die beispielsweise im Fall der Klimakrise diese leugneten. Die Angst - heute vor der Klimazukunft statt wie einst vor der Hölle - verhindere oft auch, dass gute Absichten und Vorsätze der Menschen ins Handeln übergeführt würden.
Die "Kultur der Angst" gelte durch eine "Kultur des Vertrauens" abzulösen, unterstrich Zulehner. Das Christentum, das hier in seinem "Kerngeschäft" und seiner "Herzensfrage" berührt werde, müsse Beiträge zu einer solchen "Umkehr" liefern - "ohne zu moralisieren und in einer großen Ökumene, die bis hin zu den Agnostikern reicht", wie der Theologe befand. Zuwendung schon vom Säuglingsalter an vermittle "Urvertrauen", zudem sei auch die eng mit der Religion verbundenen Erfahrung eigener Würde entscheidend. "Glaubt jemand, die Würde zu verlieren, wird er oder sie versuchen, diese Lücke zu stopfen - etwa durch Konsum - womit man sich jedoch belügt".
Gastgeber Otto Neubauer von der Akademie für Dialog und Evangelisation rief Impulse aus der Papst-Enzyklika "Laudato si" in Erinnerung. Auch von nichtgläubigen Top-Experten werde das Dokument aus dem Jahr 2015 dafür gewürdigt, dass es die Klimakrise als jene Herausforderung erkannt habe, die alle Menschen auf der Welt auf gleiche Weise betrifft. Franziskus habe herausgearbeitet, dass sich zu deren Abwendung jeder auf seine je eigene Weise und mit den eigenen Möglichkeiten einzubringen habe. Dabei vertraue der Papst auf die "prophetische Kraft der jungen Generation, in der er viel Geist für Hoffnung und Zuversicht sieht", erklärte Neubauer.
Quelle: kathpress