Krautwaschl: Christentum unverzichtbar für ein "Europa im Werden"
Wertschätzung von Vielfalt und die barmherzige Achtsamkeit für Arme und Schwache sind nach den Worten des Grazer Diözesanbischofs Wilhelm Krautwaschl wesentliche Elemente, die das Christentum zu einem zukunftsfähigen europäischen "way of life" beisteuern kann. In seinem Vortrag im Rahmen des "Pfingstdialogs" am Mittwoch im kirchlichen Bildungszentrum Schloss Seggau betonte Krautwaschl, Europa sei mehr als nur Wirtschaft oder Politik, sondern wesentlich auch in seiner geistigen Dimension zu sehen bzw. "in der Verschränkung dieser Dimensionen". Europa sei in diesem Sinne "immer im Werden" und "auf dem Weg, der immer auch der Korrekturen bedarf". Das Christentum sei dabei unverzichtbar, so der Bischof.
"The European Way of Life. Anspruch und Wirklichkeit" lautet das Thema des diesjährigen steirischen Pfingstdialogs mit hochkarätigen Vortragenden am Mittwoch und Donnerstag. Bei der von der Diözese Graz-Seckau mit dem Land Steiermark und dem Club Alpbach Steiermark veranstalteten Tagung werden die Grundlagen und die Zukunft des europäischen Wertekanons beleuchtet. Neben Krautwaschl kamen bzw. kommen u.a. der Philosoph Peter Sloterdijk, der Publizist Paul Lendvai, die Schriftstellerin Julya Rabinowich und Verfassungsgerichtshof-Präsident Christoph Grabenwarter zu Wort.
Der Grazer Bischof erinnerte eingangs an das bekannte Gebet für Europa des 2012 verstorbenen Mailänder Kardinals Carlo Maria Martini. Er richtete die Bitte an Gott: "Gib, dass wir uns einsetzen für ein Europa des Geistes, das nicht nur auf wirtschaftlichen Verträgen gegründet ist, sondern auch auf menschlichen und ewigen Werten: ein Europa, fähig zur Versöhnung, zwischen Völkern und Kirchen, bereit, um den Fremden aufzunehmen, respektvoll gegenüber jedweder Würde."
Was Europas "Seele" braucht
Diesen Rückbezug auf tragende Werte habe auch der heute 97-jährige frühere EU-Kommissionspräsident Jacques Delors 1992 in seinem berühmten Satz formuliert: "Wenn es uns nicht gelingt, Europa in den nächsten zehn Jahren eine Seele, einen tieferen Sinn zu vermitteln, haben wir das Spiel verloren." Die von Delors eingeräumte Zehn-Jahres-Frist sei längst abgelaufen, merkte Krautwaschl dazu an. Es gebe "ein verstärktes bürokratisches Bemühen um Europa, eine zum Teil weitgehende Verrechtlichung, aber oft mit wenig Bezug auf die viel beschworenen Werte". Krautwaschl forderte das Bemühen ein, vereinigende Werte modellhaft in Institutionen und Rechten umzusetzen - auch wenn es dafür nicht das eine Erfolgsrezept gebe. Wichtig dafür sei jedenfalls die Beachtung eines übergeordneten Interesses, das über die Aufsummierung der Einzelinteressen hinausgeht.
Nach den Worten des Bischofs zeigt sich der Weg Europas in der "Beachtung der vielen Identitäten, in einer Einheit in Vielfalt, die letztendlich die Seele ausmacht". Das passe zum Pfingstfest, wo ursprünglich verschiedene Sprachen und Traditionen in ein gemeinsames Verständnis zusammengeführt würden, und sei auch ein Anspruch an die Ökumene als Gemeinschaft der Kirchen und Religionen. Die sechs Heiligen - drei Männer und drei Frauen -, die seit 1964 explizit als "Patrone Europas" benannt wurden, stünden für die Überwindung von Spannungen und auch Spaltungen durch den gemeinsamen Bezugspunkt Gott. Krautwaschl nannte Benedikt von Nursia und die Slawen-Missionare Kyrill und Methodius, die kirchlicherseits 1999 durch Katharina von Siena, Birgitta von Schweden und Edith Stein ergänzt wurden.
Die Europäer sind nach den Worten des Bischofs aufgerufen, ihre historischen Rivalitäten, die den Kontinent oft zur Bühne verheerender Kriege gemacht hätten, "endgültig hinter sich zu lassen". Ohne eine Kultur und eine Ethik der Einheit sei jede darauf abzielende Politik "früher oder später zum Scheitern verurteilt".
"Welt ohne Christus" wäre "Albtraum"
Zugleich komme es wesentlich auf ein erneuertes, engagiertes Zeugnis aller Christen für authentische Werte an, "deren Fundament das in das Herz eines jeden Menschen eingeschriebene allgemeine Sittengesetz ist". Um den Wert der Toleranz und der allgemeinen Achtung nicht durch ethischen Indifferentismus und Skeptizismus auszuhöhlen, sei das Christentums "lebenswichtig", wie Krautwaschl sagte.
"Eine Welt ohne Christus" habe auch der Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll als Schreckensvision dargestellt. Er beschrieb den "Albtraum einer Welt", in der die Gottlosigkeit konsequent praktiziert wird "der Mensch in die Hände des Menschen fällt". Nirgendwo im Evangelium finde er - so Böll - eine Rechtfertigung für Unterdrückung, Mord, Gewalt: "Unter Christen ist Barmherzigkeit wenigstens möglich, und hin und wieder gibt es sie: Christen; und wo einer auftritt, gerät die Welt in Erstaunen... Vielleicht machen einige von dieser Möglichkeit Gebrauch." Bölls für Krautwaschl "bemerkenswertes Geständnis": "Selbst die allerschlechteste christliche Welt würde ich der besten heidnischen vorziehen, weil es in einer christlichen Welt Raum gibt für die, denen keine heidnische Welt je Raum gab: für Krüppel und Kranke, Alte und Schwache. Und mehr noch als Raum gab es für sie: Liebe für die, die der heidnischen Welt als nutzlos erschienen und erscheinen."
Krautwaschl schloss mit einem optimistischen, hoffnungsvollen Ausblick: "Basierend auf diesen [christlichen, Anm.] Werten, die uns durch Jahrtausende getragen haben, werden Rückschläge weiter zu Fortschritt führen, wird trotz der Vielfalt eine Einheit möglich sein, wird Platz sein für alle, um ein gutes Leben zu führen." Die von Papst Benedikt XVI. ausgesprochene Einladung gelte weiter - nämlich auszuprobieren, "so zu leben, als ob es Gott gäbe". Ein so ausgerichteter europäischer "way of life" führe die Erfolgreichen, aber auch die Schwachen, Armen, Alten und Benachteiligten - ja die Schöpfung an sich zu einem guten Ziel, so der Bischof.
Die Veranstaltung in Seggauberg wird live gestreamt, Medienpartner sind ORF und Medien der Styria Media Group. Begleitend wird ein Buch in der Edition "Geist & Gegenwart" im Wieser-Verlag publiziert. (Programm: www.pfingstdialog-steiermark.at)
Quelle: kathpress