Literatur-Expertin: "Kinder leben in keiner Welt aus Zuckerwatte"
Kinder und Jugendliche leben wie Erwachsene in einer dysfunktionalen Gesellschaft und "in keiner Welt aus Zuckerwatte": Mit diesen Worten hat sich Heidi Lexe, Leiterin der Studien- und Beratungsstelle für Kinder- und Jugendliteratur der Erzdiözese Wien ("STUBE"), für weniger "Glitzerwelt" und mehr Auseinandersetzung mit Themen abseits von Prinzessinnen und Einhörnern ausgesprochen. Im Zuge einer Bücherbörse am Donnerstag in Wien sprach sich die Expertin dafür aus, Kinder mit Büchern "nicht anzulügen", sondern auch scheinbar schwierigere Themen wie Krieg, Tod oder Streit kindgerecht aufzuarbeiten. Ein nivelliertes oder naives Literatur-Angebot nehme Kinder nicht ernst, so die kritische Einschätzung der "STUBE"-Leiterin.
Kinderliteratur sollte - egal ob klassisches Bilderbuch oder Sachbuch - den Einstieg in ein der Wirklichkeit zugewandtes Literaturverständnis ermöglichen. "Bücher können Welten eröffnen", meinte Lexe. Die Flut an "Rosa, Glitzer und lieblichen Klischees" in der Kinder- und Jugendliteratur sei hier hinderlich.
"Kinder und Jugendliche wollen mit ihren Bedürfnissen und Interessen ernst genommen werden", betonte Lexe. Dem entsprächen Kinderliteratur-Trends zu Graphic Novels sowie Sachbüchern, die neben der Fantastik vermehrt ins Bücherregal kommen. Weiterhin beliebt blieben jedoch auch die "Glitzer- und Einhorn-Sujets".
"Wenn wir uns dem Glück annähern wollen, braucht es auch ein Verständnis dafür, was alles nicht gut geht", erklärte Lexe im Kathpress-Interview. So könnten auch vermeintlich schwierige Themen wie Krieg, Angst oder ethische Fragen altersgerecht und anschaulich verwertet werden. Wenn Eltern ihre Kinder zu mündigen und handelnden Menschen erziehen wollen würden, brauche es entsprechend anregende Literatur, so die Expertin.
Kinderbibeln "im Kommen"
Lesekompetenz sei für Kinder und Jugendliche auch mit Blick auf ihre Religion und Spiritualität wesentlich. Christinnen und Christen gehörten einer Schriftreligion an, "darum braucht es auch die Kompetenz, sich religiöse Symbolen und Sprechweisen erschließen zu können", meinte Lexe.
Bei Bibeln oder Gebetsbüchlein beobachtet sie einen Trend hin zu lyrischen Texten. Außerdem seien die Kinderbibeln "wieder im Kommen", die mit modernen Illustrationen christliche Texte und Traditionen "witzig, aber überlegt" darstellen. Kritik äußerte Lexe an der Tendenz, "schwierige" Bibelstellen auszulassen oder zu glätten. Bibel sollten mehr bieten als kitschige Schutzengel und Glitzerfische, sondern die Sprachbilder einer Religion kindgerecht ergründen. Aktuell hat etwa die "STUBE"-Mitarbeiterin und Kinderliteratur-Expertin Kathrin Wexberg mit dem Buch "Immer mal wieder zum Himmel schauen" einen Kindergebet-Sammelband herausgegeben.
Diversität als Trend
"Die Kinder- und Jugendliteratur spiegelt auch das wider, was Eltern ihren Kindern mitgeben und einschreiben wollen", erklärte Lexe den Trend, die Vielfalt der Gesellschaft abzubilden. Es gebe eine Flut an Versuchen dazu, wobei es nicht dabei bleiben sollte, Protagonistinnen und Protagonisten "einfach einzufärben". Es sei vielmehr nötig, die Diversität von Menschen und Lebensformen in Geschichten einzubetten, so die an der Universität Wien lehrende Literatur-Expertin. In puncto Sprachsensibilität betonte Lexe, dass es weniger darum gehen sollte, bekannte Kinderbücher politisch korrekt umzuschreiben, sondern neue Bücher in Bild und Text offen zu gestalten.
Als positives Beispiel nannte Lexe das Gewinnerbuch des heurigen Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis, die Graphic Novel "Völlig meschugge?!", die sich mit Rassismus und Vorurteilen beschäftigt. Für die aktuelle Jury, der auch die "STUBE"-Leiterin als Fachfrau aus Österreich angehört, zeigt das Preisbuch, das sich rund um die Freundschaftsgeschichte zwischen einem jüdischen, muslimischen und veganen Kind dreht, wie schnell tradierte Vorurteile von Kindern und Jugendlichen übernommen werden. Die Auszeichnung der Deutschen Bischofskonferenz wird am 25. Mai im Augustinerkloster in Erfurt verliehen.
Zwei Tage davor, am 23. Mai, werden im Kultur- und Kongresszentrum Eisenstadt die vier Hauptpreise des Österreichischen Kinder- und Jugendbuchpreis 2023 vergeben. Auch in dieser Jury ist Heidi Lexe vertreten. 2023 wurden insgesamt 90 Titel von 39 Verlagen eingereicht. (Link: www.stube.at)
Quelle: kathpress