Theologin: Mutterideal war dem Christentum lange fremd
Weder die Jesus-Bewegung noch das frühe Christentum oder die mittelalterliche Theologie legten großen Wert auf ein Mutterideal oder die Stilisierung Marias: Zu diesem Schluss kommt die Vizepräsidentin der Katholischen Aktion Österreich (KAÖ), Katharina Renner, in einem Kommentar in der "Furche" (Ausgabe 19/2023) kurz vor dem Muttertag (14. Mai). Das Ideal der "hingebungsvollen Mutter" sei erst ab dem 18. Jahrhundert entstanden, mit dem Beginn der industriellen Revolution, wo es von kirchlichen und konservativen Kreisen sowie von der Arbeiterschaft befeuert worden sei. "Die Wirtschaft brauchte Menschen, die sich um die Fürsorge kümmerten, damit die anderen als Arbeitskräfte zur Verfügung standen", so Renner, die selbst vierfache Mutter ist.
Der in den zwischen 1907 und 1914 in den USA etablierte Muttertag sei eine Folgeerscheinung dieser Zeit, so die bei der Caritas Wien berufstätige Theologin und Soziologin. Der dann auch in Europa verbreitete Muttertag sei ein "schwieriger Ehrentag", der der gesellschaftlichen wie sozialen Schieflage nicht gerecht werde. Renner rekurrierte dabei auf eine aktuelle Studie des Sozialforschungsinstituts SORA im Auftrag der Caritas, wonach 25 Prozent der Hilfesuchenden in Sozialberatungsstellen alleinerziehende Frauen sind.
Außerdem arbeiteten Frauen mit Care-Aufgaben zu mehr als zwei Drittel in Teilzeit und würden entsprechend weniger verdienen. "Sie sind deshalb auch abhängiger von einem Mann und können sich schwerer aus einer Beziehung lösen, wenn Gewalt im Spiel ist", folgerte Renner. Mutterschaft könne demnach auch "handfeste Nachteile" haben.
Kein Raum für ein Mutterideal
Jesus habe sein Umfeld aufgefordert, die Familien zugunsten einer großen Gemeinschaft zu verlassen. Des Weiteren hätte Maria keinen Einfluss auf sein Tun gehabt, auch wenn sie präsent gewesen wäre. "Besondere Rücksicht hat er nicht genommen auf seine Mutter", konstatierte Renner.
Auch im frühen Christentum bis ins Mittelalter stellte die Mutter-Kind-Beziehung keinen hohen Wert dar, wies die Soziologin hin. Sie machte dies etwa am Topos der Märtyrerin, die sich das eigene Kind von der Brust nimmt und freiwillig in den Tod geht, sichtbar. Ebenso habe es bereits früh Frauen gegeben, die bewusst ehe- und kinderlos lebten, in Orden oder sogenannten Beginengemeinschaften, also Gemeinschaften von Laien, erläuterte Renner. Es habe keinen Raum für ein Mutterideal gegen, so die KAÖ-Vizepräsidentin: Familie spielte sich in der Gemeinschaft ab, die Kindersterblichkeit sei hoch gewesen und die Arbeit wurde in nur wenige geschlechtsspezifische Tätigkeiten geteilt.
Auch die biblische Tradierung von Maria als Mutter Jesus habe eher das Bild der Kämpferin als der Ertragenden forciert. Renner verdeutlichte dies anhand der Schutzmantelmadonna, die vor bösen Mächten schützt. Eine Veränderung dieses Bildes der Maria, die unabhängig neben Jesus gestanden habe, passierte im 18. und 19. Jahrhundert: "Hin zur reinen Magd, der aufopferungsbereiten Frau, voller Hingabe, die unser aller Mutter wurde. Maria als Vorbild für Frauen: keusch, demütig und gehorsam."
Der Zeitpunkt sei nicht zufällig, markierten diese Jahrhunderte doch den Beginn der industriellen Revolution, in der sich die Arbeitswelt veränderte, das Lohnniveau stieg und Arbeitskräfte gebraucht wurden, erläuterte Renner. Auch der Wohnraum wurde knapp. Übrig sei eine kleine Einheit von Vater, Mutter und Kind geblieben, bei der sich die Frau um die Reproduktion und der Mann um die außerhäusliche Arbeit zu kümmern hatte. Das System "Mutter zuhause, Vater in der Arbeit" offenbare seine Schwächen jedoch bis heute in der weiblichen Altersarmut, stellte die Theologin fest.
Quelle: kathpress