Der Papst ist für Viktor Orbán ein willkommener Gast
Wie es die ungarische Regierung geschafft hat, Papst Franziskus dazu zu bewegen, ausgerechnet Ungarn ein zweites Mal zu besuchen, gehört zu den Geheimnissen der internationalen Diplomatie. Fest steht, dass Franziskus seine bereits 2021 nach einem Kurzbesuch in Budapest gemachte Ankündigung wahr machen will: Er wird noch einmal, und diesmal für mehrere Tage, in Ungarn sein. An den letzten drei Tagen im April steht das Land erneut auf dem päpstlichen Reiseplan.
Bei der Suche nach Gründen hilft ein Blick auf die Landkarte. Von den 13 Reisen, die Franziskus in Europa gemacht hat, führten ihn neun an den östlichen und südöstlichen Rand der EU. Er hat das Baltikum und Polen besucht, die Slowakei, Rumänien, Bulgarien und Nordmazedonien, Zypern und Griechenland. Da fällt das Reiseziel Ungarn nicht aus der Reihe. Franziskus bleibt sich treu, er geht lieber "an die Ränder" als in die Zentren der Macht.
Und er scheut sich auch nicht, den von ihm propagierten neuen, offenen Stil des Kirche-Seins auch in ost- und südosteuropäischen Ländern zu predigen. Dort pflegen Bischöfe und Kleriker noch eher die katholische Wagenburg-Mentalität vergangener Jahrzehnte. Deshalb sind für kirchenpolitische Beobachter die Ansprachen, die Franziskus dort an die eigenen Bischöfe, Priester und Ordensleute hält, ähnlich spannend wie seine Begegnungen mit den dort regierenden Politikern.
Denn so, wie sich die Regierungschefs von Tallin bis Skopje oft durch eine eher nationalistische Sicht der Dinge auszeichnen, sind auch die Bischöfe in diesem Teil Europas nur selten für ihre Offenheit gegenüber neuen gesellschaftlichen und kirchlichen Entwicklungen bekannt.
Auch auf Ungarn trifft dies zu. Kardinal Peter Erdö, Erzbischof von Esztergom-Budapest und Primas von Ungarn, gilt seit Jahrzehnten als Vertreter der konservativen osteuropäischen Variante des Katholizismus. Weder er noch der Vorsitzende der Ungarischen Bischofskonferenz Andras Veres haben den politischen Kurs von Regierungschef Viktor Orbán in der Flüchtlingspolitik kritisiert. Die meisten Bischöfe und - ausweislich der breiten Wahlerfolge Orbáns - vermutlich auch die meisten Katholiken in Ungarn, unterstützen dessen restriktive Migrationspolitik.
Auch in anderen Politikfeldern gibt es Übereinstimmungen zwischen dem konservativen Protestanten Orbán und den katholischen Bischöfen. So unterstützt seine Regierung die Kirchen des Landes finanziell sehr großzügig, insbesondere bei Bauprojekten und der Unterhaltung der Kirchengebäude. Auch die von Orbán durchgesetzte massive Familienförderung begrüßen sie ausdrücklich. Familien mit drei und mehr Kindern erhalten neben Kindergeld und anderen Zuwendungen auch weitreichende Steuerbefreiungen. Das Modell ist so attraktiv, dass ausgewanderte ungarische Familien aus anderen europäischen Ländern in die Heimat zurückkehren.
Übereinstimmungen zwischen Regierung und Bischöfen gibt es auch bei der Politik gegenüber sexuellen Minderheiten. Das Verbot der Werbung für gleichgeschlechtliche Beziehungen und das gesetzliche Nein zur "Ehe für alle" decken sich weitgehend mit der kirchlichen Lehre auf diesem Gebiet.
Welche Botschaften wird Papst Franziskus unter diesen Bedingungen bei seinem dreitägigen Besuch in Budapest platzieren? Da eine Begegnung des Papstes mit Flüchtlingen vorgesehen ist, steht zu erwarten, dass der Papst in Ungarn wie in anderen Ländern dafür werben wird, Migranten im Rahmen der Möglichkeiten des jeweiligen Landes aufzunehmen und zu integrieren. An diesem Punkt könnten Meinungsverschiedenheiten mit der ungarischen Regierung deutlich werden. Ob Franziskus außerdem etwas zur Verteidigung von gesellschaftlichem Pluralismus und Gewaltenteilung und gegen autokratische Politik sagen wird, ist ungewiss.
Ähnlich spannend ist die Frage, ob und wie sich der Papst und Orbán zum Krieg zwischen Russland und der Ukraine äußern werden. Ungarns Vatikanbotschafter Eduard Habsburg wies unlängst in einem Interview mit "Vatican News" darauf hin, dass Orban und der Papst die einzigen seien, die bei diesem Thema an erster Stelle nicht vom Krieg, sondern vom Frieden sprächen.
Tatsächlich verfolgen beide - aus unterschiedlichen Motiven - gegenüber Russland und der Ukraine eine andere Politik als die meisten Regierenden in Europa. Orbán, der sich auch als Anwalt der etwa eine Million Menschen zählenden ungarischen Minderheit in der Ukraine sieht, hält sich mit Verbalangriffen und Sanktionen gegen Moskau zurück - auch wenn er den Angriffskrieg der Russen klar verurteilt hat. Mehr als jedes andere EU-Land ist Ungarn für seine Energieversorgung fast vollständig auf Lieferungen aus Russland angewiesen, auch das erklärt die Zurückhaltung Orbáns.
Orbán war auch der einzige Regierungschef in der EU, der die Sanktionen gegen den russisch-orthodoxen Moskauer Patriarchen Kyrill abgelehnt hat. An diesem Punkt könnten sich die Interessen der vatikanischen und der ungarischen Außenpolitik treffen. Möglich, dass Orbán und Franziskus von Ungarn aus einen gemeinsamen Friedensappell in Richtung Kiew und Moskau lancieren werden. Dies wäre ein Novum für den Papst, der solche Aufrufe sonst immer nur gemeinsam mit anderen religiösen Führern verfasst hat.
Quelle: kathpress