Theologin: Kein Papst-Rüffel für Orban in Ungarn
Wer von Papst Franziskus bei dessen am Freitag beginnenden Ungarn-Besuch Zurechtweisungen für Premierminister Viktor Orban oder die dortigen Bischöfe erwartet, wird wohl enttäuscht werden: Diese Einschätzung hat die Pastoraltheologin und Osteuropa-Expertin Klara-Antonia Csiszar im Interview mit mehreren österreichischen Kirchenzeitungen (aktuelle Ausgaben) abgegeben. Nicht das Zurechtweisen, Moralisieren und Polarisieren entspreche der Art des Kirchenoberhauptes, sondern das Ansetzen an bestehenden Positiv-Erfahrungen. "Papst Franziskus wird sagen: 'Ihr seid das Volk des heiligen Martin.' Und er wird sich bedanken, dass Ungarn eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen hat", so die Professorin der Katholischen Privatuniversität Linz.
Dass nur ein solcher Zugang die Chance bringe, "zumindest einen kleinen Schritt weiterzukommen", sah Csiszar durch die Geschichte von Ungarns Gesellschaft und Kirche wie auch anderer früherer Ostblock-Staaten begründet. Die westlichen EU-Länder besäßen "40 Jahre Vorsprung an Demokratie-Erfahrung", noch dazu in einem "ganz anderen sozialen Kontext, in dem existenzielle Unsicherheit nicht so ein Thema war wie heute". Der Kommunismus habe Osteuropa hingegen gelehrt, "sich mit dem zu arrangieren, was ist" und Widerspruch nicht zu äußern. Deshalb lehnten selbst die Christen dort gesellschaftliche Positionierungen der Kirche großteils ab. Änderungen könne man vor diesem Hintergrund "nur sehr behutsam" erreichen.
Premier Orban ist laut Csiszar für die Ungarn deshalb attraktiv, da er eine starke Führungspersönlichkeit in einer "Polykrise" sei und Zugang zum Volk finde. Auch Ungarns Kirche sehe ihn als "Verteidiger der christlichen Werte". Diese Werte bedeuteten jedoch in Osteuropa anderes als im Westen: "In Ungarn versteht man darunter hauptsächlich die Familie aus Frau, Mann und Kindern", erklärte die Theologin. Ungarns Regierungspolitik bestimme zudem die Positionen der Kirchen mit, die finanziell vom Staat abhängig seien. Etwa für Renovierungen von Kirchen, Pfarrhöfen oder kirchlichen Bildungs- und Krankenhäusern seien Ungarns Kirchen auf öffentliche Gelder angewiesen, da es keinen Kirchenbeitrag gebe und somit die finanzielle Unabhängigkeit fehle.
Umgang mit anderer Meinung lernen
Auch Versäumnisse von Westeuropas Kirchen hätten zu dieser Kirchenentwicklung in Ungarn und anderer Ostblock-Staaten beigetragen, befand Klara-Antonia Csiszar, die zuletzt eine der Österreich-Delegierten beim Europa-Treffen der Weltsynode in Prag war und deren Abschlussbericht mitverfasste. Die Kirche im Osten sei "überwiegend aus deutschen Geldern finanziert worden", wobei die beteiligten Hilfswerke für jeden Projektantrag die Unterschrift des Ortsbischofs eingefordert hätten. Das laufe Anliegen wie etwa der Frauen-Förderung zuwider. "Welcher Bischof in Osteuropa wird eine Frau zum Studium nach Westeuropa schicken? Nicht einmal die Priester werden momentan geschickt", gab Csiszar zu bedenken. Auch Forschungsprojekte hätten keinen Rückhalt der Bischöfe, "weil Forschung kritisch ist und sie vor Aufgaben stellt". Somit habe der Westen unbemerkt eine "autoritäre Kirche" unterstützt.
Nicht zuletzt sei theologisches Know-How auch eine Frage des Geldes, gab die Linzer Pastoraltheologin zu bedenken. "Nur wenige Ortskirchen auf der Welt können sich jene Art von theologischer Forschung leisten, die es in Westeuropa gibt. Klug wäre, davon zu profitieren. Man muss es ja nicht noch einmal machen." Dabei sei freilich viel Vermittlung nötig.
Damit etwa Vorstellungen des deutschen Kirchenreformprojekts "Synodaler Weg" in Europas jüngeren Demokratien nicht sofort auf Ablehnung stießen, sollte vieles "charmanter dargestellt" werden, wünschte Csiszar. Nötig sei zudem, in Westeuropa die Kirche "sehr inklusiv zu denken mit allen, die nicht zu uns gehören. Und die Herausforderung wird sein, wie wir auch mit denen zusammen gehen, die zu uns gehören, aber eine andere Meinung vertreten."
Quelle: kathpress