Ethikerin: Österreich hat bei IVF Hausaufgaben nicht gemacht
Über 4.000 Versuche der künstlichen Befruchtung (IVF) mit Samen- und Eizellspende gab es in Österreich seit dem Fortpflanzungsmedizingesetz von 2015, aus denen mehrere hundert Kinder hervorgingen - wie viele genau, ist nicht bekannt. Das damals versprochene Spenderregister wartet jedoch weiter auf Umsetzung, ebenso wie auf diese Weise gezeugte Kinder laut einer deutschen Studie meist nicht oder erst viel zu spät über ihre genetische Herkunft erfahren. Kritik daran hat die Direktorin des Bioethikinstituts IMABE, Susanne Kummer, geäußert. "Kinder haben ein Recht zu wissen, wer ihr leiblicher Vater ist. Statt die Regelung auszuweiten, sollte die Regierung endlich ihre Hausaufgaben erledigen und das angekündigte Zentralregister umsetzen", so die Expertin am Dienstag gegenüber Kathpress.
Dass durch Samenspende gezeugte Kinder in Österreich erst ab 15 Jahren ein Recht darauf haben, Informationen über ihren genetischen Vater einzuholen, sei "viel zu spät", betonte Kummer. Auch die Psychologie plädiere für möglichst frühzeitige Aufklärung in dieser Hinsicht, doch würden Betroffene die Ungereimtheiten in der Familienherkunft oft nur zufällig - immer häufiger über DNA-Kits - entdecken. Dass die Belastungen für die betroffenen Kinder durch eine fehlende oder nicht zeitgerecht erfolgte Information nicht schöngeredet werden dürften, sah Kummer in einer soeben im Fachjournal "Social Science" veröffentlichten Stichprobenstudie - der bisher größten ihrer Art in Deutschland zu diesem Thema - bestätigt.
Die Studienautoren Tobias Bauer und Anne Meier-Credner hatten für ihre Forschungsarbeit 59 zwischen 1974 und 1999 Geborene befragt, die mittels anonymer Samenspende - die in Deutschland bis 2018 erlaubt war - gezeugt wurden. Die Wissenschaftler hatten zu ihnen über Selbsthilfegruppen Kontakt aufgenommen. Befragt wurden die Probanden unter anderem über den Zeitpunkt, in dem sie von ihrer Herkunft erfahren hatten, sowie über die Auswirkungen auf die Beziehung zu Eltern, Geschwistern und Halbgeschwistern.
Folgt man den Ergebnissen, so ist die Samenspende ein "belastendes Familiengeheimnis": Niemand der Befragten wurde schon als Kind über die eigene Herkunft aufgeklärt, viele hätten aber schon damals das Gefühl gehabt "vertauscht, nicht angenommen oder fremd zu sein", berichten die Forscher. Der Zeitpunkt des Erfahrens von der Abstammung von einem Samenspender sei dann für alle ein "einschneidendes Ereignis in ihrer Biografie" gewesen. Für 44 Prozent der Befragten kam dieser Moment erst im Alter zwischen 25 und 34 Jahren, für 20 Prozent im Teenageralter zwischen 15 und 19 Jahren. In 36 Prozent der Fälle hatten die jungen Erwachsenen selbst Verdacht geschöpft und ihre Eltern mit der Frage nach ihrer wahren Herkunft konfrontiert.
Besonderen Handlungsbedarf sahen Bauer und Meier-Credner angesichts der starken Emotionen, von denen jedes zweite Spenderkind berichtete. Vor allem hätten dabei Misstrauen und Enttäuschung überwogen sowie Wut darüber, dass die Mütter ihnen diese Information vorenthalten hatten. Die Mütter selbst hätten laut der Wahrnehmung der Kinder "selbstgerecht" agiert - anstatt Verantwortung zu übernehmen und sich die schwerwiegenden Folgen ihrer Geheimhaltung einzugestehen. Zu ihren Vätern beschrieb ein Drittel der Befragten die Beziehung vor der Offenlegung als "gut, wenn auch ziemlich kalt", "immer ziemlich distanziert" oder "auf keinen Fall eng". Das Wissen, dass ihr rechtlicher Vater nicht der leibliche sei, bedeutet für viele Trauer und Zorn, aber auch Erleichterung darüber, dass man die schon vorher gefühlte Verschiedenheit nun besser einordnen könne.
Die Beratung zum Thema Samenspende sei bislang vor allem auf die Wunscheltern fokussiert gewesen, kritisierten die Studienautoren Bauer und Meier-Credner. Wichtig sei es jedoch, die psychosozialen Belastungen für Kinder nach Samenspende zu erkennen und entsprechende Beratung für diese Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen anzubieten.
Samenbanken seien inzwischen zum lukrativen Geschäftszweig geworden, erklärte IMABE-Direktorin Kummer am Beispiel Großbritanniens. Dort habe sich die Zahl von jährlichen Geburten nach Samenspende von 900 (2006) auf 2.800 (2019) mehr als verdreifacht. Besonders hänge diese Entwicklung mit dem Klientel von Frauen zusammen, die in gleichgeschlechtlichen Beziehungen leben oder mit jenen, die ohne Mann ein Kind bekommen und großziehen wollen. Das verwendete Sperma stamme in britischen Fruchtbarkeitsklinken jedoch meist von Vätern aus dem Ausland: Da Samenspender seit 2005 der Kontaktaufnahme der genetisch von ihnen abstammenden Kinder bei Erreichen der Volljährigkeit zustimmen müssen, gebe es immer weniger Spender.
Quelle: kathpress