Glettler: Krisengewinner der Teuerungsschübe in die Pflicht nehmen
Zum beherzten Gegensteuern von Politik, Gesellschaft und Kirche in der aktuellen Krisensituation hat der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler aufgerufen. Mit Blick auf die Teuerung forderte er am Montag im Interview der "Tiroler Tageszeitung" Solidarität mit Armutsbedrohten ein. "Wenn Normalverdienende schon überfordert sind, stimmt tatsächlich etwas nicht", sagte Glettler. "Mir scheint, dass es längst Zeit ist, die Krisengewinner der Teuerungsschübe in die Pflicht zu nehmen." Maßlosigkeit befeuere die Krise. Mietkosten hätten "teilweise eine obszöne Höhe erreicht", beklagte der Bischof. Spekulation mit leer stehendem Wohnraum nannte er "Unrecht".
Auch die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg hätten bei vielen zu einem Gefühl der Ohnmacht geführt, das er mit vielen teile. Dieses sei auch Motor vieler Aggressionen und maßloser Empörungen. Laut Glettler ist es "nicht leicht, einen guten Mittelweg zu finden - also weder in die Falle der unreflektierten Schuldzuweisungen zu tappen noch in jene von Resignation oder Gleichgültigkeit". Es gelte alle Kräfte, Vernunft, Kreativität und Vertrauen zu sammeln, um die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen und der Alternative - nämlich aufzugeben - zu widerstehen. Dafür brauche es Zuversicht - für den Bischof "ein Geschenk Gottes". Tatsächlich seien in vielen gesellschaftlichen Bereichen Menschen empathisch und innovativ am Werk. "Wir sollten nicht die Krise zelebrieren", so der Appell Glettlers.
Das nahe Osterfest steht für den Innsbrucker Bischof ganz im Zeichen der Versöhnung, wie es in der Zeitung hieß. Versöhnung sei individuell und gesellschaftlich relevant und notwendig; sie gehe dort ab, wo Menschen einander nicht mehr vertrauen, wo Konflikte zu dauerhaften Verhärtungen führen. Glettler sprach sich für eine "Kultur der Versöhnung" auf allen Ebenen aus. Den von Bundeskanzler Karl Nehammer angekündigten Versöhnungsprozess halte er - wie der Bischof sagte - für "durchaus sinnvoll, ist es doch während der Pandemie zu harten Polarisierungen und Verwerfungen von Beziehungen gekommen". Nachsatz: "Hoffentlich wird Versöhnung dabei nicht zum politischen Schlag-Wort, um offene Rechnungen zu begleichen."
Abtreibung, Schulkreuze, Schweineherz
Glettler nahm in dem Interview auch zu in Tirol zuletzt heftig geführten Debatten rund um den Schwangerschaftsabbruch, das Kreuz in Klassenzimmern und die vorzeitig beendete Kunstinstallation mit einem "Schweineherz" Stellung. Beim Thema Abtreibung und deren Ermöglichung in Westösterreich plädierte er für sehr viel mehr Beratung und Unterstützung statt "ideologischer Vorentscheidungen". Es sollten Bedingungen geschaffen werden, dass "ohne Stress eine Entscheidung für das Kind" getroffen werden kann.
In der Diskussion um Schulkreuze habe sich gezeigt, dass der Sinn dieses "christlichen Ursymbols" nicht mehr verstanden werde. Wie Glettler erklärte, stehe das Kreuz Jesu für die Überwindung des Bösen und sei ein starkes Symbol solidarischer Verbundenheit mit allen Leidenden.
Beim Fastenbild des österreichischen Foto- und Medienkünstlers Peter Garmusch in der Innsbrucker Spitalskirche mit einem Schweineherz, das mit einem Gummiring eingeschnürt ist, wurde zum Ausdruck gebracht, "dass zu viele Ängste und Bedrängnisse das Herz einengen", erläuterte der studierte Kunsthistoriker Glettler. Die "Sehnsucht nach Befreiung und Herzensweite" sei das eigentliche Thema. Es habe starke negative, aber auch bejahende Feedbacks dazu gegeben, leider habe eine "traditionalistische Plattform" das Oeuvre "extrem skandalisiert", wie der Bischof bedauerte. "Egal, Kunst und Glaube dürfen nicht harmlos sein."
Synodaler Prozess: "Kein Thema wird tabuisiert"
Zum Thema Synodaler Prozess widersprach Glettler der Einschätzung, es herrsche "Stillstand" und Diskussionsverweigerung über die Teilhabe aller Gläubigen an der Kirche bzw. die Stärkung der Frauen. "Das Gegenteil ist der Fall", hielt Glettler fest. Der vom Papst ausgerufene Synodale Prozess sei auf weltkirchlicher Ebene "ein echtes Ringen, kein Thema wird tabuisiert". Zugleich werde die Partizipation aller Gläubigen sowie eine wesentlich stärkere Einbindung von Frauen in Führungsaufgaben schon praktiziert: In der Diözese Innsbruck seien insgesamt wesentlich mehr Frauen als Männer beschäftigt, selbst wenn man die Priester mitzähle, so der Bischof. Und in der Leitung der pastoralen Bereiche und zentralen Dienste bestehe eine Ausgewogenheit von Frauen und Männern.
Der abnehmenden Bindung zur Institution Kirche - "ein Trend, den alle größeren Organisationen bemerken" - will Glettler in den nächsten Jahren verstärkt mit Basiskursen und Einstiegshilfen begegnen und damit Menschen ansprechen, die Orientierung und Halt im christlichen Glauben finden wollen.
Quelle: kathpress