Experte zu Umgang mit Missbrauch: Kirche in Österreich vorbildlich
Aus der Sicht des Papst-Beraters und Kinderschutzexperten Hans Zollner ist Österreichs katholische Kirche vorbildlich, was die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen betrifft. Die Errichtung der Opferschutzanwaltschaft unter Waltraud Klasnic im Jahr 2010 sei eine "kluge Entscheidung" des damaligen Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Kardinal Christoph Schönborn, gewesen. Dass Missbrauchsopfer finanzielle Zuwendungen oder therapeutische Angebote bekamen, sei in der Folge gemeinsame Linie aller Orden und Bischöfe gewesen. "Das war wichtig für die österreichische Kirche", sagte Zollner dem "Kurier" (online, 27.3.). In Deutschland dagegen erwecke die Zersplitterung den Eindruck, "dass das eine Never-Ending Story ist: Nach jedem neuen Bericht von 27 deutschen Diözesen denkt man, es hört nie auf."
Der deutsche Jesuit, der das Institut zum Schutz vor Missbrauch der päpstlichen Universität Gregoriana leitet, hielt zugleich fest, dass beim Thema Missbrauchsaufarbeitung in den vergangenen zehn Jahren viele wichtige gesetzliche Weichenstellungen erfolgten, an die sich die Kirche in allen Ländern halten müsse. Auch gebe es sehr viel mehr Schulungen zur Prävention.
Bei den erst kürzlich von Papst Franziskus angekündigten Verschärfungen geht es nach den Worten Zollners "eigentlich um die Anwendung dessen, was schon beschlossen ist": Es werde eine Vorgabe des ersten Kinderschutz-Gipfels 2019 im Vatikan aufgegriffen, die die Rechenschaftspflicht von Bischöfen oder Ordensverantwortlichen verdeutlicht: Sie können angezeigt und abgesetzt werden, wenn sie davon Kenntnis bekommen, dass das einer von den Priestern oder den Ordensleuten unter ihrer Autorität eines Missbrauchs angeklagt ist und sie im Vorfeld nicht entsprechend dem kirchlichen Vorgehen gehandelt haben. Es habe somit Folgen, wenn kirchliche Verantwortungsträger ihre Amtspflichten verletzen bzw. etwas vertuschen.
Auf die Frage, ob er es wichtig findet, dass Fälle an die Öffentlichkeit kommen, antwortete Zollner: "Natürlich. Das ist eine der Grundvoraussetzungen dafür, dass es Gerechtigkeit gibt." Betroffene von Missbrauch erzählten oft, dass sie sich dadurch ermutigt fühlten, dass sie nicht die Einzigen sind. Er selbst sei durch die investigativen "Spotlight"-Veröffentlichungen des "Boston Globe" im Jahr 2002 aufgerüttelt worden, berichtete der Jesuit: "Obwohl ich als Psychologe und Psychotherapeut mit sexualisierter Gewalt in Familien und in Beziehungen konfrontiert gewesen bin, habe ich die Dimension, die die Kirche betrifft, erst erfasst, als der Boston Globe die massiven Zahlen von Missbrauchsfällen in der dortigen Diözese publiziert hat und dann der erste große internationale Aufschrei folgte."
Zugeben, wenn Wojtyla-Papst Fehler machte
Für Konsequenz sprach sich das Gründungsmitglied der seit neun Jahren bestehenden vatikanischen Kinderschutzkommission auch mit Blick auf die zuletzt in Polen erhobenen Vorwürfe gegen den späteren Papst Johannes Paul II. aus. Demnach soll er als Krakauer Erzbischof Vorfälle vertuscht haben und einem beschuldigten Priester mit einem Empfehlungsschreiben den Weg nach Österreich geebnet haben. Zollner dazu: "Die Erwartung, dass alle kirchlichen Amtsträger auf 50 Jahre zurück konsequent auf Missbrauch reagiert hätten, halte ich für nicht realistisch." Dass jemand einen gravierenden Fehler in "so einer absolut schrecklichen Sache" mache, sei "furchtbar". Zollner äußerte auch Bestürzung darüber, dass man diese Fehler nicht zugibt. Johannes Paul II. könne sich selbst nicht mehr zu Vorwürfen äußern. "Bevor man spekuliert, sollte man die Ergebnisse der unabhängigen Historikerkommission abwarten", riet Zollner. "Wenn sich herausstellen sollte, dass er tatsächlich so gehandelt hat, dann muss man es zugeben, da braucht man dann nicht drum nicht herumreden."
Nach Einschätzung des Experten sind es "falsche Erwartungen", dass diesbezügliche kirchliche Dokumente sauber und nachvollziehbar geführt wurden. Das sei in den 1960er- und 1970er-Jahren auch in vielen staatlichen oder schulischen Stellen nicht der Fall gewesen. Die grundlegende Position des Vatikans dazu sei: "Alle Unterlagen, die rechtmäßig herausgegeben werden können und die rechtmäßig angefordert werden können, müssen herausgegeben werden."
Zur Verquickung von Zölibat und Missbrauch wiederholte Zollner seinen oftmaligen Verweis auf wissenschaftliche Berichte aus der ganzen Welt: Zölibatäres Leben führe nicht automatisch zu Missbrauch. Wenn es über Jahre hinweg zu einer Vereinsamung bzw. "emotionalen Verkümmerung" bei dieser Lebensform komme, wachse jedoch das Risiko. "Sonst würde auch nicht das Durchschnittsalter der Priester, die missbrauchen, bei 39 Jahren liegen."
Quelle: kathpress