Schönborn über Gott: "Ein Geheimnis, das wir nicht ausloten können"
Über seinen langen Weg als Christ von ersten bewussten Glaubenserlebnissen mit elf Jahren über Vorlesungen als Theologieprofessor bis zum altersweisen Glauben des mittlerweile 78-jährigen Wiener Erzbischofs hat Kardinal Christoph Schönborn in einem Interview der Tageszeitung "Die Presse" (Sonntag) sehr persönlich Auskunft gegeben. "Manchmal habe ich den Eindruck, der Glaube ist ein bisschen schwieriger geworden im Lauf der Jahre", sagte Schönborn. Damit meine er nicht Zweifel, sondern eine gewisse Relativierung durch viele Erfahrungen, etwa durch Einblicke in Zugänge anderer Religionen zu Gott: "Sie beten in die Richtung eines Geheimnisses, das wir alle nicht ausloten können."
Themen des ausführlichen Interviews waren auch Schönborns Einschätzung des religiösen Grundwasserspiegels in Österreich, seine Sorge über die zunehmende Wissenschaftsfeindlichkeit, die in Corona-Zeiten geforderte Loyalität zur Regierung und Kirchenreformen im Zuge des Synodalen Prozesses.
Für ihn sei die "Gottesfrage schwieriger geworden, geheimnisvoller" im Vergleich mit der "Selbstverständlichkeit, mit der ich als junger Theologe eine Vorlesung über den dreifaltigen Gott gehalten habe", erzählte der Kardinal. Er erinnerte an ein Wort des Heiligen Augustinus: "Si comprehendis, non est Deus. Wenn du es begriffen hättest, dann wäre das nicht Gott." Es bleibe das Geheimnis, "aber gleichzeitig ein nahes Geheimnis", so Schönborn. "Das ist sehr schwer in Worte zu fassen. Die Nähe Gottes ist etwas ganz Reales und gleichzeitig die Unbegreiflichkeit."
Er empfinde eine zunehmend tiefe Ehrfurcht vor Menschen, die beten. Die Vielfalt der Religionen und die verschiedenen Gestalten, die der Glaube annehmen kann, ließen ihn nicht zweifeln an seinem Weg als Christ, "aber es macht mich behutsam im vorschnellen Urteilen über andere Wege". Die von ihm "aus ganzem Herzen" geteilte christliche Überzeugung, dass Jesus wahrer Gott und wahrer Mensch ist, sei - so Schönborn - in dieser Weise nicht in anderen Religionen zu finden. "Für mich ist der Glaube sehr stark ein Sein in der Spur Jesu." Das gebe der Gottesfrage eine ganz eigene Wendung, "aber auflösen kann ich dieses Geheimnis nicht", sagte der Kardinal. "Ich kann nur versuchen, es zu leben."
Ein Kontinuum seines Glaubenslebens sei das weiterhin lebendige, elementare Vertrauen der Kindheit - "dieses Urvertrauen bis ins Alter hinein", wie der Erzbischof darlegte. Er verwies auf das Wort Jesu an die englische Mystikerin Julian of Norwich aus dem 15. Jahrhundert: "Und du wirst sehen, dass alles, alles gut wird." Schönborn: "Das ist für mich eigentlich der Glaube."
Glaube braucht Gemeinschaft
Bedauern äußerte der Kardinal über das Schwinden gemeinsamer Ausdrucksformen des christlichen Glaubens in unseren Breiten. Gemeinschaft sei Voraussetzung dafür, mit der eigenen Religiosität gut umgehen zu können, "weil wir als soziale Wesen existieren". Er sei beeindruckt von den sehr klar definierten, Gemeinschaft stiftenden Gebetsformen und Gebetszeiten der Muslime. Christen seien oft "völlig individualisiert und haben kaum mehr gemeinsame Riten, gemeinsame Ausdrucksformen, die uns zusammenhalten". Dieses Wegfallen ist nach den Worten auch ein großer gesellschaftlicher Verlust.
Dennoch: Es gebe ein "gewisses religiöses Grundwasser in Österreich, dessen Spiegel vielleicht abgesunken ist, aber es ist da". Und Schönborn zeigte sich überzeugt, dass der Mensch von Natur aus religiös ist. Die große Zahl der Kirchenaustritte besorge mich, "aber nicht so sehr, was das Faktum des Glaubens betrifft". Er höre immer wieder Ausgetretene beteuern, dass sie weiter gläubig sind, erzählte der Kardinal. Und es würden auch Menschen die Kirche als die Gestalt entdecken, in der sie ihren Glauben leben möchten. "Auch das wird es, so bin ich überzeugt, in Zukunft immer geben." Schönborn selbst habe mit elf Jahren ein Angesprochen-Sein von Gott erlebt, was ihn sein ganzes Leben - "mit Ups and Downs" - begleitet habe. Er sei überzeugt, "dass das auch bei anderen Menschen geschieht und auch in Zukunft geschehen wird".
Zum Verhältnis von Glaube und Vernunft verdeutlichte Schönborn anhand der Dialektik von Verstehen und Lieben: "Wenn ich nicht mit dem Herzen dabei bin, wird das Verstehen nicht gelingen. Umgekehrt braucht das Herz auch die Weitung und Klärung durch die Vernunft." Glaube ohne Vernunft gerate zur Schwärmerei, Vernunft ohne Glauben werde "trocken oder sogar gefährlich".
Rückfragen an Corona-Kritiker
Die während der Corona-Pandemie um sich greifende Wissenschafts-Skepsis und Wissenschaftsfeindlichkeit bereite ihm "ganz große Sorge", sagte der Kardinal. Das verloren gegangene Vertrauen in die Ernsthaftigkeit von wissenschaftlicher Forschung könne auch nicht durch Glauben ersetzt werden. "An die, die jetzt lautstark Wiedergutmachung fordern, erlaube ich mir die Rückfrage", so der Kardinal: "Wo war die staatstragende Haltung während der Pandemie? Wie soll eine Regierung in einer so krisenhaften Situation für das Gesundheitswesen des Landes Sorge tragen, wenn ein ganzer Teil der Bevölkerung sich verweigert, den Maßnahmen der Regierung Folge zu leisten?" Gegenüber Verschwörungstheorien hielt er fest: Aus seiner Sicht habe die Politik im Großen und Ganzen weltweit nach bestem Wissen und Gewissen Maßnahmen gesetzt - "für die Menschen".
Befragt nach möglichen Fehlern der katholischen Kirche trat Schönborn dem "Mythos" entgegen, "dass wir die Kirchen geschlossen hätten. Das war nicht so". Es habe Beschränkungen bei den Gottesdiensten gegeben, nach dem ersten Lockdown seien wieder durchgehend Gottesdienste gefeiert worden, bei denen zum Beispiel Ungeimpfte nie ausgeschlossen waren. Er habe Corona-Kritikern immer wieder gesagt: "Soll ich als Bischof aufrufen dazu, dass man den Gesundheitsmaßnahmen der Regierung Widerstand leistet? Das waren ja nicht selbstherrliche Maßnahmen, sondern wissenschaftsgestützte Maßnahmen, das Schlimmste zu vermeiden." Schon Paulus sei in der Frage ganz klar gewesen, ob ein gläubiger Mensch dem Staat gegenüber loyal sein muss: "Sei der staatlichen Obrigkeit gehorsam - solange sie nichts Unmoralisches fordert."
Schritt der Erneuerung ist notwendig
Zum synodalen Prozess, den Kardinal Schönborn als Mitglied im Synodenrat des Vatikans maßgeblich begleitet, bat er um Geduld: "Reformen brauchen ihre Zeit, und die menschliche Gemächlichkeit und Sündhaftigkeit machen Reformprozesse etwas mühsam." Es gehe darum, "dass diese Gemeinschaft sich der Herausforderungen der Zeit besinnt und die Bereitschaft findet, die eigene Bequemlichkeit zu überwinden". Synodalität bedeute, gemeinsam einen Weg gehen, erinnerte Schönborn. "Es ist weder etwas Neues, noch hat das eine absolute Erfolgsgarantie, aber es ist notwendig, wieder einen Schritt der Erneuerung zu setzen."
Auf die Frage, ob sich die katholische Kirche nicht manchmal der Botschaft Jesu selbst im Weg stehe, antwortete der Kardinal: Alle Institutionen seien gefestigte Erfahrungen und Gestalt gewordene Tradition und somit notwendig. "Aber wenn Institutionen nicht vom Geist getragen sind, aus dem sie erwachsen sind, wird es mühsam." Die "große Korrektur" ist laut Schönborn immer die Erinnerung an die Ursprünge, an das Evangelium.
Quelle: kathpress