Schönborn empfängt früheren Moskauer Oberrabbiner Goldschmidt
Kardinal Christoph Schönborn hat am Dienstag im Wiener Erzbischöflichen Palais den früheren Moskauer Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt empfangen. Schönborn und Goldschmidt sind seit Langem befreundet, es sei ihm wichtig gewesen, sich mit dem Wiener Erzbischof über die veränderte Weltlage auszutauschen, so Goldschmidt im Anschluss an die Begegnung gegenüber Kathpress.
Goldschmidt hatte im März 2022, kurz nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine, Russland verlassen und war nach Israel geflohen. Die Leitung des Rabbinats der russischen Hauptstadt hatte der 59-jährige gebürtige Schweizer damit nach fast 30 Jahren abgegeben. Der Rabbiner hatte Russlands Krieg gegen die Ukraine mehrfach als "Katastrophe" bezeichnet.
Minderheiten in Russland unter Druck
Am Dienstag sagte der Rabbiner gegenüber Kathpress, dass die Situation in Russland politisch und wirtschaftlich immer schwieriger werde, besonders auch für Minderheiten. Russland sei dabei, sich fast völlig zu isolieren. Die wahren Helden seien die Oppositionsführer in Russland, die teils in russischen Gefängnissen sitzen oder flüchten mussten. Sie bräuchten Unterstützung, auch von den Religionsgemeinschaften, so Goldschmidt.
Schönborn und Goldschmidt, letzterer ist nach wie vor Vorsitzender der Europäischen Rabbinerkonferenz (CER), kennen einander schon lange. Schon 2002 nahmen beide beispielsweise an einer jüdisch-katholischen Dialogkonferenz in Paris teil. 2011 fand in Wien eine internationale Konferenz zum Thema "Familie in der Krise" statt, bei der wiederum beide mit dabei waren. 2012 trafen sie wieder in Wien bei der Eröffnung des König-Abdullah-Dialogzentrum (KAICIID) zusammen.
An der Begegnung im Erzbischöflichen Palais nahmen u.a. auch der Oberrabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Jaron Engelmayer, und der Generalsekretär der Österreichischen Bischofskonferenz, Peter Schipka, teil.
Goldschmidt begleitet derzeit ein Treffen der Ehefrauen orthodoxer Rabbiner (European Rebbetzin Convention), das dieser Tage in Wien stattfindet. Zu der Konferenz sind rund 250 Rabbiner-Frauen aus 35 europäischen Ländern angereist.
Russland kehrt zum sowjetischen Modell zurück
Im Interview mit der APA berichtete Goldschmidt am Dienstag, dass seit Kriegsbeginn der Exodus der jüdischen Bevölkerung aus Russland zunahm: "Wir haben einen Anstieg von Antisemitismus vonseiten der Regierung gesehen." Goldschmidt hatte im vergangenen September die russischen Jüdinnen und Juden aufgerufen, "das Land zu verlassen, solange sie noch können". Er befürchtet, dass es eines Tages unmöglich sein wird, aus Russland auszureisen, "da das Land zum sowjetischen Modell zurückkehrt".
Gleichzeitig glaube er nicht, dass das jüdische Leben in Russland ausstirbt, "aber es wird kleiner und ärmer werden". Immer weniger Menschen könnten nun das Gemeindeleben finanziell unterstützen, weil viele etwa durch den Abzug zahlreicher internationaler Firmen ihre Arbeit verloren hätten.
"Wir schätzen, dass etwa 80.000 Juden aus Russland ausgereist sind", davon rund 50.000 nach Israel. Da russische Staatsbürger nicht in die Länder West- und Mitteleuropas einreisen dürfen, hätten viele auch den Weg nach Dubai, Istanbul oder in frühere Sowjetrepubliken wie Armenien, Aserbaidschan oder Georgien genommen.
Politische Krise in Israel
Goldschmidt lebt seit rund einem Jahr in Israel. Bezüglich der heftigen innerisraelischen Proteste gegen den von der israelischen Regierung geplanten Justizumbau verwies er auf seinen eigenen Hintergrund im immer autoritärer gewordenen Russland: "Wir kennen den Preis der Demokratie - und auch ihres Fehlens. Was passiert, wenn ein Land aufhört, demokratisch zu sein." Es sei ihm daher wichtig, dass Israel "demokratisch bleibt, mit einer unabhängigen Justiz". Seiner Meinung nach "gibt es einen Platz für Reformen, das muss aber im Konsens geschehen und nicht so, wie es gemacht wurde".
In Bezug auf die Unterstützung der Ukraine tue der derzeitige israelische Premier Benjamin Netanyahu mehr als die Vorgängerregierung, so Goldschmidt. Netanyahu "spricht weniger, tut aber mehr". Die israelische Politik sei seit Beginn des Ukraine-Kriegs im Februar 2022 "pro-ukrainischer geworden", meinte er.
Gleichzeitig müsse Israel aber auch ein funktionierendes Verhältnis mit Russland aufrechterhalten, einerseits wegen Syrien, andererseits wegen der jüdischen Gemeinschaft in Russland: "Israel hat ein Problem. Es hat eine nördliche Grenze mit Syrien - ein Land, das zum Teil von Russland kontrolliert wird."
Es stehe daher im Interesse Israels, angesichts der Waffentransporte von mit dem Iran verbündeten Gruppen in Syrien ein gewisses Einvernehmen mit Moskau aufrechtzuerhalten. Auch das Verbotsverfahren in Moskau gegen die Jewish Agency for Israel (Sochnut) - jene Organisation, die weltweit bei der Auswanderung von Juden nach Israel behilflich ist - hänge maßgeblich vom Verhältnis Russland-Israel ab. Derzeit werde das Gerichtsverfahren in Russland zum Verbot "alle zwei Monate verschoben".
Quelle: kathpress