Wie aus Kardinal Bergoglio Papst Franziskus wurde
Die wichtigste Auswirkung des Amtsverzichts von Benedikt XVI. zeigte sich vor zehn Jahren genau 30 Tage nach dessen Ankündigung: Es war das Konklave, das den argentinischen Kardinal Jorge Mario Bergoglio zum Papst wählte. Ohne den Rücktritt des konservativen Papstes Benedikt XVI. wäre es vermutlich nie dazu gekommen, so aber wählten die in Rom versammelten Kardinäle am 13. März 2013 einen Mann, dem sie zwei Dinge zutrauten: Er sollte die weltweite Kirche von innen heraus grundlegend verändern, und er sollte ihre Regierungs- und Verwaltungsspitze, die Römische Kurie, entschlossen reformieren.
Dass beides unvermeidlich geworden war, hatte das Scheitern des Papstes aus Bayern allen vor Augen geführt. Sein Rezept für die Kirche lautete: Wir müssen an den unverrückbaren Dogmen und der Morallehre der Kirche festhalten und alle zurückweisen, die Dogmen infrage stellen oder Normen übertreten. Doch Skandale und Glaubwürdigkeitsverluste beschleunigten sich, am Ende trat der Unbeirrbare zurück.
Ein Vierteljahrhundert lang hatte Benedikt erst als Präfekt der Glaubensbehörde und dann als Papst versucht, das "Schifflein Petri" auf Kurs zu halten. Selbst jene, die ein "Weiter so" als die einzige Lösung für die Probleme der Kirche ansahen, waren durch seine Amtsaufgabe zutiefst verunsichert.
Unter diesem Eindruck kamen die Kardinäle in Rom zusammen. Und dann war da noch das Entsetzen über den "Vatileaks"-Skandal. Aus dem innersten Kreis um den Papst waren vertrauliche Dokumente entwendet und an die Medien verkauft worden. Erst im Mai 2012 hatte der Journalist Gianluigi Nuzzi die Papiere in einem Buch veröffentlicht und die damit verbundenen Skandale publik gemacht. Beinahe jeder Kardinal hatte das gelesen, und alle fragten sich, was wohl noch alles herauskommen würde. Eine Kommission dreier Kardinäle hatte einen umfangreichen Geheimbericht zusammengestellt, der lag unveröffentlicht beim zurückgetretenen Papst in Castelgandolfo.
Wer würde in der Lage sein, diese römische Kurie entschlossen zu reformieren? Sie galt als undurchsichtig, verfilzt und zur Selbstbereicherung neigend, ihre Haltung wurde von vielen Bischöfen in der Weltkirche als arrogant und bevormundend erlebt. Wem die meisten Kardinäle eine dauerhafte Veränderung zutrauten, der würde die Wahl gewinnen.
Hinzu kam der Wunsch, dass nach Jahrzehnten strenger dogmatisch-moraltheologischer Vorgaben aus Rom nun wieder ein Mann das Gesicht der Kirche sein sollte, der als glaubwürdiger Seelsorger wahrgenommen wird. Einer mit einer großen Nähe zu den Menschen, ihren Nöten und ihren Fehlern.
Sondierungsrunden und Favoriten
Die Zeit zwischen der Rücktrittsankündigung des Vorgängers (11. Februar) und dem Beginn des Konklaves war 10 Tage länger als die etwa 20-tägige Phase, die üblicherweise zwischen einem Papsttod und einem Konklave liegt. Entsprechend weit waren die informellen Sondierungs- und Beratungsrunden fortgeschritten, bei denen immer wieder auch Medienberichte eine Rolle spielen. Es ist die Zeit, in der die Akteure des Konklaves oft mit Journalisten in Kontakt kommen. So bilden sich die ersten Favoriten heraus, von denen das römische Sprichwort sagt: "Wer als künftiger Papst ins Konklave einzieht, kommt als Kardinal wieder heraus."
Keiner der im Vorfeld gehandelten Favoriten - der Mailänder Angelo Scola, der Brasilianer Odilo Scherer und der Kanadier Marc Ouellet - schien das genannte Anforderungsprofil komplett zu erfüllen. Als dann auch noch alle drei sich in den Wochen vor dem Konklave durch unvorsichtige Äußerungen selbst beschädigten oder durch Medien-Enthüllungen über ihr kirchenpolitisches Taktieren in Misskredit gerieten, war klar, dass keiner von ihnen den Durchmarsch schaffen würde. Und so suchten Kardinäle, Diplomaten und Journalisten in weiteren informellen Runden nach Namen.
Die Treffen fanden in Restaurants, Kollegs und Botschaften statt, nun wurden verstärkt die Namen von Außenseitern ventiliert. Der irische Journalist Gerard O'Connell hat diese entscheidende Phase in seinem Buch "The Election of Pope Francis" plastisch beschrieben. Jetzt wurde auch manchmal der Erzbischof von Buenos Aires, der 76 Jahre alte Jorge Mario Bergoglio, genannt. Er hatte bereits beim Konklave von 2005 etliche Stimmen auf sich vereint, dann aber Ratzinger den Vortritt gelassen. Manchen schien der Jesuit aus Argentinien nun, zumal wegen seines fortgeschrittenen Alters, genau der richtige Papst für eine kurze, konsequente Reformphase im Vatikan.
Vier Minuten Bergoglio
Am 4. März begann das sogenannte Vorkonklave, also die "Allgemeinen Versammlungen" des Kardinalskollegiums. In dieser Phase erörtern die Kardinäle in mehrstündigen Debatten die Lage der Kirche. Viele versuchen sich mit langen Reden zu profilieren. Nun wird deutlicher, wer wo steht und wer was will.
Erst am vorletzten Tag der Versammlungen, nach rund 120 Vorrednern an fünf Tagen, meldet sich Bergoglio zu Wort. Seine leise, knapp vier Minuten lange Rede auf Spanisch macht aus ihm von einem Augenblick zum anderen einen der Favoriten. Er spricht eindringlich davon, dass die Kirche aufhören muss, um sich selbst zu kreisen. Dass sie auf Jesus hören und zu den Menschen hinausgehen soll. Viele Kardinäle applaudieren, einige gratulieren ihm zu seiner Rede.
Weißer Rauch
Als das Konklave am 12. März beginnt, erhält Bergoglio schon in ersten Wahlgang knapp ein Viertel der Stimmen und liegt damit auf Platz zwei hinter dem Mailänder Scola. Beim zweiten Wahlgang liegt der Argentinier, wenn man O'Connells Zahlen glauben darf, mit mehr als 40 Stimmen bereits vorne; es folgt ein Wahlgang mit 56, ein weiterer mit 67 und schließlich einer mit 85 von 115 Stimmen.
Es war der 13. März 2013. Auf dem Petersplatz regnete es. Und dann stieg weißer Rauch auf.
Quelle: kathpress