Krieg prägt auch religiöse Landschaft der Ukraine massiv
Eine fünftägige Konferenz über den Ukraine-Krieg, die zugleich interdisziplinär wissenschaftlich ausgerichtet war und mit Erfahrungen aus dem Kriegsalltag die "Stimmen der Opfer in den Mittelpunkt" stellte, hat die Katholisch-theologische Fakultät der Universität Wien in der Vorwoche durchgeführt. 30 Nachwuchswissenschaftler vornehmlich aus der Ukraine waren dazu nach Wien angereist, prominenteste Teilnehmerin war die Menschenrechtsaktivistin und Trägerin des Alternativen Nobelpreises 2022, Oleksandra Matwijtschuk. Der Wiener Kirchenhistoriker Prof. Thomas Prügl berichtete am Montag gegenüber Kathpress, "wie hilfreich und erkenntnisfördernd der interdisziplinäre Austausch" aus theologischer, ethischer und historischer Sicht gewesen sei.
Maksym Vasin, Direktor des Kiewer Institute for Religious Freedom (IRF) verdeutlichte in seinen Ausführungen, wie sehr auch die religiöse Landschaft der Ukraine vom russischen Angriffskrieg betroffen ist: Seit Beginn der Kampfhandlungen und Bombardements vor einem Jahr seien an die 500 Kirchen und Gebetshäuser von russischen Truppen zerstört oder geplündert worden. Das IRF dokumentierte auch Zeugenaussagen über Folterungen und Verschleppungen von Klerikern und Gemeindeleitern sowie religiöse Diskriminierung. Wie zuvor schon Friedensnobelpreisträgerin Matwijtschuk erhob auch Vasin die Forderung nach einem Gerichtshof für Kriegsverbrechen und warb für internationale Unterstützung bei der Beweissicherung.
Gegen russische Behauptungen, ukrainische Gesetze würden die Rechte der Russisch-Orthodoxen Kirche verletzen, hoben einige Referate hervor, dass das Prinzip der Religionsfreiheit in der ukrainischen Verfassung fest verankert ist. Deswegen distanzierten sich die Teilnehmenden der Tagung auch von Initiativen in der Ukraine, die mit dem kriegsbefürwortenden Moskauer Patriarchat verbundene Russisch-Orthodoxe Kirche zu verbieten. Davon zu trennen sei jedoch die legitime Strafverfolgung einzelner Kleriker, wenn diese nachweislich kriminelle Handlungen begingen.
Die religiöse Vielfalt auf der Krim hatte sich schon seit der Annexion der Schwarzmeer-Halbinsel 2014 dramatisch reduziert, wiesen mehrere Vortragende hin. So seien die muslimischen Krim-Tartaren und ihre kulturellen Einrichtungen wie schon in der Sowjetzeit unterdrückt. Die Verachtung religiöser Überzeugungen zeige sich u.a. darin, dass muslimische Häftlinge gezwungen würden, Schweinefleisch zu essen. Mechyslav Yanauer und Oleksandra Kovalenko führten aus, dass seit 2014 von den einst 2.100 registrierten religiösen Gemeinschaften auf der Krim inzwischen etwa 900 verboten und vertrieben wurden. Betroffen seien neben der römisch-katholischen und der mit Rom unierten griechisch-katholischen Kirche besonders die Zeugen Jehovas, evangelikale Gemeinschaften und eben Muslime.
Kirchen prägen Zivilgesellschaft mit
Der griechisch-katholische Erzbischof Swjatoslaw Schewtschuk sei im Laufe des Kriegs zu einer gewichtigen Stimme im Land geworden, wie die Kiewer Historikerin Kateryna Budz ausführte: Als einziges Oberhaupt einer größeren Kirche melde er sich seit der Invasion in täglichen Ansprachen auf YouTube zu Wort, um den Krieg theologisch, ethisch und pastoral zu kommentieren. Dabei mahnt Schewtschuk immer wieder, sich nicht vom Hass leiten zu lassen oder die eigene Würde sowie die der Gegner zu missachten.
Die Direktorin des in Kiew ansässigen "European Center for Strategic Analytics" (www.ecsa.com.ua), Tetjana Kalenychenko, veranschaulichte, dass die Kirchen der Ukraine insgesamt durch den Krieg eine enorme Entwicklung durchlaufen. Sie müssten einerseits die eigenen Gläubigen inhaltlich führen, sich um internationale und ökumenische Kontakte bemühen und theologische Klärungen leisten. Andererseits stünden die Kirchen angesichts der hohen Opferzahlen sowie der Sorge um Hinterbliebene, Invaliden und Traumatisierte vor enormen seelsorglichen Herausforderungen. Nicht zuletzt gelte es, sich immer wieder gegen Propaganda zur Wehr zu setzen.
Laut Kalenychenko kommt den Kirchen für die Formierung einer gemeinsamen ukrainischen Identität und einer friedvollen und solidarischen Zivilgesellschaft eine Vorreiterrolle zu. Anstatt das Engagement auf kirchliche Kernbereiche zu beschränken, müssten sie sich der Herausforderung stellen, ihre Mission als aktive Teile des öffentlichen Diskurses zu begreifen.
Die Organisatoren der Tagung "War in Ukraine - Theological, Ethical and Historical Reflections" bemühen sich, deren Ergebnisse möglichst rasch zu publizieren, versicherte Kirchenhistoriker Prügl.
Quelle: kathpress