Wiener Studie: Abtreibung kein Schutz für psychische Gesundheit
Schwangerschaftsabbrüche sind für Frauen mit einem erhöhten Risiko für psychische Gesundheitsprobleme verbunden, wogegen es für behauptete positive Effekte oder eine Schutzfunktion für die Psyche durch Schwangerschaftsabbruch keine wissenschaftlichen Beweise gibt: Das legt eine Forschungsarbeit des Wiener Bioethikinstituts IMABE nahe, die im Frühjahr in der Reihe "IMABE-Studien" erscheint. "Angesichts der emotional geführten Debatten rund um den Schwangerschaftsabbruch möchten wir damit einen Beitrag zur Versachlichung leisten", sagte IMABE-Direktorin und Studien-Co-Autorin Susanne Kummer am Donnerstag im Gespräch mit Kathpress.
Die Frage, ob sich eine Abtreibung bei ungewollt Schwangeren später positiv oder negativ auf die Psyche auswirkt, wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert. Ein Hauptgrund dafür ist, dass keine valide Methode existiert, um direkte Kausalzusammenhänge zu zeigen. Das sonst etwa bei Medikamentenprüfungen übliche Design der randomisierten Doppelblindstudie sei dafür unbrauchbar und zudem ethisch abzulehnen, erklärte Kummer. "Man müsste eine Gruppe von Frauen mit völlig gleichen Voraussetzungen und nach dem Zufallsprinzip entweder einer 'Abtreibungsgruppe' oder einer 'Geburtsgruppe' nach ungeplanter oder ungewollter Schwangerschaft zuweisen, ohne dass die Frau oder der Arzt wissen, wer welcher Gruppe zugeordnet wurde."
Aufgrund dieses Methodenproblems könne die Wissenschaft in der Abtreibungsfrage keine Ursache-Wirkung-Relation aufzeigen, sondern nur Korrelationen, wobei die bisherigen Ergebnisse laut der IMABE-Studie "uneinheitlich" sind: Manche Forschungen deuteten auf keine, andere hingegen auf erhöhte Risiken für psychische Gesundheitsprobleme nach einem Schwangerschaftsabbruch. "Bei genauerer Analyse zeigt sich, dass die unterschiedlichen Ergebnisse auf methodische Mängel und eine intransparente Auswahl von Daten zurückgeht", erläutert Co-Autor Johannes Bonelli. Damit sinke die Aussagekraft, so der Internist und Pharmakologe.
Für die IMABE-Studie - sie trägt den Titel "Die Kontroverse: Schwangerschaftsabbruch und Psyche. Eine Evaluierung ausgewählter Studien" - untersuchte ein interdisziplinäres Wissenschaftlerteam um Bonelli und Kummer 13 international häufig zitierte Übersichtsarbeiten und Einzelstudien der Jahre 2008 bis 2018 zu psychischen Gesundheitsfolgen der Abtreibung. Genau dargelegt wurden dabei die jeweiligen Stärken und Schwächen der Forschungen in Hinblick auf Studiendesign, adäquate Vergleichsgruppen, Beobachtungszeitraum, Aussagekraft aufgrund der Studienteilnehmerinnen-Zahl, Berücksichtigung von Störfaktoren und Stichprobenverzerrung.
Risiko für die Psyche
Auch auf die moralische Grundeinstellung wurde geachtet - also, ob die jeweiligen Studienautoren sich eher "Pro-Life" oder "Pro-Choice" positionierten. Trotz der Unterschiede habe sich unter diesen beiden Studiengruppen in einigen Punkten überraschende Übereinstimmung gezeigt, berichtete Kummer. Ein erheblicher Teil der methodisch gut gemachten internationalen Studien sei sich etwa einig, dass ein Schwangerschaftsabbruch mit einem erhöhten Risiko für psychische Gesundheitsprobleme verknüpft ist oder bereits bestehende psychische Probleme verstärkt. Statistisch gesehen sei eine Abtreibung etwa mit erhöhtem Risiko für Suizide und Suizidversuche, Sucht, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Depression und Angstzustände verbunden. Mehrfach-Abtreibungen und bereits bestehende psychische Vorerkrankungen würden die Risiken noch statistisch signifikant erhöhen. Hinsichtlich der Begründung, warum dies so ist, sind sich die Studien allerdings uneins.
Als unrichtig bezeichnen die IMABE-Studienautoren die Verwendung des Begriffs "Post-Abortion-Syndrom", zumal laut den Forschungen kein einheitliches Syndrom als Krankheitsbild nach Abtreibung existiere. "Nach einer Abtreibung kann man zwar in einer Reihe von Studien eine Vielzahl von verschiedenen Einzelsymptomen feststellen, die aber nicht im Sinne eines Syndroms als einheitliche Gruppe miteinander auftreten, sondern vielfältig variieren", erklärte Bonelli. Von Symptomen einer "Posttraumatischen Belastungsstörung" (PTBS) nach Abtreibung zu sprechen, sei hingegen korrekt.
Unwissenschaftliche "Quasi-Therapie"
Die IMABE-Studie zeigte auch, dass die Hypothese, wonach eine Abtreibung einen positiven Effekt auf die Psyche der Frau habe, durch keine wissenschaftlichen Beweise gestützt wird. Eine Abtreibung habe auch keine therapeutische Wirkung bei der Verringerung der psychischen Risiken im Vergleich zu Frauen, die ein Kind nach unerwünschter oder ungeplanter Schwangerschaft zur Welt bringen, so die Wissenschaftler. "Dieses Ergebnis ist wichtig in Hinblick auf das Arztgespräch" betonte Kummer gegenüber Kathpress. Allgemeinmediziner, Gynäkologen, Pflegekräfte und Schwangerenberater sollten darin geschult werden, mögliche psychische Folgen eines Schwangerschaftsabbruchs und die Risikofaktoren für negative Folgen zu kennen und Frauen im Schwangerschaftskonflikt entsprechend aufzuklären.
Brisant sind diese Ergebnisse nicht nur aus medizinethischer Sicht, sondern auch aus politischer: Schließlich sei in vielen Ländern ein Schwangerschaftsabbruch mit der Begründung straffrei, dass damit ein "schwerer Schaden für die seelische Gesundheit der Schwangeren" abgewendet werden könne. Auch in Österreich und Deutschland bestehe diese Indikation seit nunmehr fast 50 Jahren. Dies entbehrt jedoch jeglicher wissenschaftlicher Grundlage, da der postulierte "therapeutische Benefit" nicht nachweisbar ist, wie die Studienautoren betonen. Im Gegenteil: Die Beendigung einer unerwünschten Schwangerschaft durch Abtreibung reduziere nicht das Risiko für psychische Probleme, sondern erhöhe es nachweislich.
Ein medizinischer Eingriff müsse immer sowohl nach seinem Nutzen als auch nach seinem Schaden bewertet werden. Der Schwangerschaftsabbruch werde "als Quasi-Therapie angeboten, um Frauen angeblich vor seelischen oder psychischen Belastungen zu bewahren". "Wenn eine Abtreibung nachweislich keinen positiven Effekt auf die Psyche der Frau hat und somit keinen Schutzfaktor für die psychische Gesundheit bietet - worin sich seriöse Studien einig sind - fehlt die wissenschaftliche Basis für dieses rechtliche Konstrukt und die derzeitige Praxis", resümierten die Wissenschaftler.
Mehr Information und Beratung
In praktischer Konsequenz schlussfolgern die IMABE-Studienautoren, dass betroffene Frauen im Schwangerschaftskonflikt über alternative Angebote wie etwa Adoption und Hilfen beraten werden sollten, die ihnen ermöglichen, ihr Kind zur Welt zu bringen. Frauen mit psychischen Vorerkrankungen oder bereits mehreren Abtreibungen in der Vorgeschichte stellten eine besondere Risikogruppe dar, die wahrgenommen werden müsse. Jeder Frau habe zudem das Recht, von ihrem Arzt über die möglichen psychischen Folgen einer Abtreibung informiert und aufgeklärt zu werden.
Quelle: kathpress