Theologische Texte von Benedikt XVI. postum erschienen
Ein Buch mit theologischen Texten des ehemaligen Papstes Benedikt XVI. ist seit Mittwoch im Buchhandel erhältlich. Unter dem Titel "Was ist das Christentum?" (Che cos'e il Cristianesimo) enthält es 16 Texte aus der Zeit nach Benedikts Rücktritt vom Papstamt 2013; die meisten wurden um das Jahr 2018 verfasst, der letzte 2022. Erschienen ist es im italienischen Verlag Mondadori.
Das "spirituelle Fast-Testament", wie es im Untertitel heißt, enthält neben bereits veröffentlichten Texten, Interviews und Briefwechseln auch Material, das bislang nicht öffentlich zugänglich war. Dazu zählen Aufsätze etwa zum Begriff der Religion oder zum Thema Monotheismus und Toleranz. Für das Buch habe Benedikt zudem auch einige ältere Texte, etwa zum katholischen Priestertum, überarbeitet und ergänzt, heißt es in dem Vorwort von Mit-Herausgeber Elio Guerriero. Neben ihm betreute auch Benedikts Privatsekretär, Erzbischof Georg Gänswein, das Projekt.
Dossier zum Tod Benedikts XVI.
Laut Guerriero sei Benedikts zwingende Bedingung gewesen, das Buch erst nach seinem Tod herauszugeben. "Ich für meinen Teil möchte im Leben nichts mehr veröffentlichen. Die Wut der Kreise gegen mich in Deutschland ist so stark, dass das Erscheinen jedes meiner Worte sofort ein mörderisches Geschrei ihrerseits hervorruft. Das will ich mir und der Christenheit ersparen", zitiert der Herausgeber den Autor. Ein weiterer Wunsch des ehemaligen deutschen Papstes war die Erstausgabe in italienischer Sprache.
Benedikt XVI. schildert in seinem Vorwort vom 1. Mai 2022 seine Erschöpfung nach dem Rücktritt vom Papstamt im Jahr 2013. Nach der Wahl von Franziskus habe er seine theologische Arbeit erst langsam wieder aufgenommen. Die Schriften seien alle in seinem Alterswohnsitz "Mater ecclesiae" in den Vatikanischen Gärten verfasst worden. Ursprünglich hatte Mondadori das Erscheinen des 190 Seiten umfassenden Buches für den 20. Jänner angekündigt.
Gemeinsame Mahlfeier mit Protestanten theologisch unmöglich
Inhaltlich hält die Publikation einige Überraschungen bzw. auch Pointiertes bereit: So hilt Benedikt XVI. etwa in einem Aufsatz eine gemeinsame Mahlfeier von Katholiken und Protestanten wegen grundlegender Unterschiede im Verständnis für unmöglich. Auch beklagt er darin, dass sich das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) "nicht mit der grundsätzlichen Infragestellung des katholischen Priestertums durch die Reformation des 16. Jahrhunderts auseinandergesetzt" habe. Das sei eine verborgene "Wunde, die sich nun bemerkbar macht und die nach meiner Ansicht nun endlich einmal offen und grundsätzlich angegangen werden muss". Der ehemalige Papst gibt zu bedenken, dies sei "ebenso wichtig wie schwierig, weil daran das gesamte Problem der Schriftauslegung hängt, deren Hermeneutik durch Luther definiert wurde".
Benedikt XVI. sieht Luthers grundsätzlichen Fehler darin, dass er einen unüberbrückbaren Gegensatz zwischen dem Priester-Begriff des Alten Testaments und dem von Jesus gestifteten Priestertum konstruiere. Luthers gesamte Konstruktion gründe auf dem Kontrast von Gesetz und Evangelium, zwischen Rechtfertigung durch Werke und Rechtfertigung allein durch den Glauben. In Wahrheit habe aber schon die frühe Kirche das Priestertum des Alten Testaments mit den Dienstämtern des Neuen Testaments verbunden und die Rechtfertigung durch Glauben und durch Werke nicht als Gegensatz gesehen.
Wegen ihrer völlig entgegengesetzten theologischen Grundlagen "sei es ganz klar, dass 'Abendmahl' und 'Messe' zwei grundverschiedene Formen des Kults sind, die einander von ihrem Wesen her ausschließen. Wer heute die Interkommunion predigt, sollte sich daran erinnern", so die posthume Mahnung des ehemaligen Papstes, der am Silvestertag verstorben ist.
Zu innerkatholischen Streitigkeiten um das Messopfer merkte Benedikt an, bei der Liturgiereform nach 1969 hätten "Luthers Thesen unausgesprochen eine gewisse Rolle gespielt, so dass manche Kreise behaupten konnten, das Dekret des Konzils von Trient über das Messopfer sei stillschweigend abgeschafft worden". Er äußerte daher die Vermutung, dass die Härte des Widerstands gegen die Alte Messe zum Teil auch daher komme, "dass manche in ihr eine nicht mehr akzeptable Vorstellung von Opfer und Sühne am Werk sahen".
Zum Schluss seiner bislang unveröffentlichten Überlegungen hält der frühere Papst fest: "Es ist offensichtlich, dass das moderne Denken (...) mit Luthers Ansatz besser zurechtkommt als mit dem katholischen. Denn eine pneumatologische Schriftauslegung, die das Alte Testament als einen Weg hin zu Jesus Christus deutet, ist für das moderne Denken beinahe unzugänglich. Aber dennoch ist klar, dass Jesus nicht im Sinne eines radikalen 'sola fide' gedacht hat, sondern im Sinne einer Erfüllung des Gesetzes und der Propheten. Es ist Aufgabe der neuen Generation, die Voraussetzungen für ein erneuertes Verständnis dessen zu schaffen, was ich hier dargelegt habe."
Kritik an "Großmächten der Toleranz"
In seinem posthum erschienen Buch kritisiert Benedikt XVI. außerdem ein aus seiner Sicht falsches Toleranzverständnis vieler westlicher Staaten. Die "Großmächte der Toleranz" räumten dem Christentum die von ihnen propagierte Toleranz nicht ein, so seine Kritik. Mit ihrer "radikalen Manipulation des Menschen" und "der Verzerrung der Geschlechter durch die Gender-Ideologie" stellten sie sich klar gegen das Christentum, heißt es in einem Aufsatz mit dem Titel "Monotheismus und Toleranz".
In dem Ende 2018 verfassten Text erklärte Benedikt XVI. weiter: "Die Intoleranz dieser scheinbaren Modernität gegenüber dem christlichen Glauben ist noch nicht in offene Verfolgung umgeschlagen, und doch zeigt sie sich in zunehmend autoritärer Weise mit dem Ziel, durch entsprechende Gesetzgebung die Auslöschung dessen zu erreichen, was wesentlich christlich ist."
Die Kritik, dass der christliche Glaube durch seinen Wahrheits- und Universalitätsanspruch selbst intolerant sei, teilte Benedikt XVI. nicht. Dieser Auffassung liege der Verdacht zugrunde, dass Wahrheit selbst gefährlich sei. Stattdessen sei aber Toleranz im Wesen der Wahrheit verankert, so das ehemalige Kirchenoberhaupt. Gesellschaften, die sich gegen die Wahrheit stellten, seien intolerant.
Bibel und Koran unterscheiden sich grundlegend
Und schließlich äußerte sich Benedikt XVI. auch zum interreligiösen Dialog bzw. zum seines Erachtens grundlegenden Unterschied zwischen Bibel und Koran: Manche Dialoge mit dem Islam seien demnach gekennzeichnet von der "ungenügenden Kenntnis der heiligen Schriften" beider Religionen. Ferner sei dieser Dialog häufig "strukturell falsch aufgestellt". So werde einerseits betont, dass sowohl in der Bibel wie auch im Koran die Rede sei von der Barmherzigkeit Gottes. Daraus werde der Imperativ der Nächstenliebe abgeleitet. Dann werde aber auch festgestellt, dass sich in beiden Texten Aufrufe zur Gewalt fänden. Und schließlich stelle man sich gewissermaßen über beide Religionen und stelle fest, dass es in beiden Gutes und Schlechtes gebe und es deshalb nötig sei, Bibel und Koran in einer Hermeneutik der Liebe zu lesen und sich mit Blick auf beide der Gewalt entgegenzustellen.
Auf diese Weise, so die Kritik des früheren Papstes, würden aber verschiedene Ebenen vermischt. Anders als die Bibel sei der Koran ein einziges Buch. Es werde von den Muslimen als direkte Inspiration Gottes angesehen und beanspruche deshalb eine von Gott ausgehende Autorität.
Die Bibel hingegen sei eine über etwa tausend Jahre gewachsene Sammlung von Schriften. Diese seien nach dem Glauben von Juden und Christen nicht unmittelbar von Gott diktiert. Ihre Autorität entwickle sich immer nur in der Interpretation des Weges, den das Volk Gottes unter seiner Führung zurückgelegt habe. Insofern sei der christliche Glaube keine "Buchreligion". Wer diese strukturellen Unterschiede betrachte, werde sich vor übereilten Parallelen zwischen den beiden Religionen hüten.
Quelle: Kathpress