Polak zu Kirchenaustritten: Pandemie wirkte beschleunigend
Die am Mittwoch veröffentlichten aktuellen Katholikenzahlen und Daten zu Kirchenaustritten kommen für die Wiener Theologin und Religionssoziologin Regina Polak nicht überraschend: Schon bei der jüngsten Auswertung der Europäischen Wertestudie 2021/22 sei bei religiösen Parametern wie Glaubensinhalte und -praxis ein Rückgang festzustellen gewesen. Wie die an der Universität Wien lehrende katholische Theologin am Mittwoch im Interview der Nachrichtenagentur Kathpress erklärte, habe die Corona-Pandemie eine Institutionen-distanzierte Haltung in der Bevölkerung verstärkt - auch in Bezug auf die Kirchenbindung. Es gebe in Österreich einen ausgeprägten "Kulturkatholizismus", der abnehme, wenn entsprechende Praxiserfahrung etwa in Sonntagsgottesdiensten wegfällt, sagte Polak.
Wirtschaftliche, inflationsbedingte Einbußen sehe sie nicht als Grund für einen Kirchenaustritt, wohl aber als Anlass. Obwohl die Kirchenbeitragsstellen in finanziellen Notlagen Kulanz zeigten, sei der entsprechende Erlagschein für manche ein letzter Anstoß zum Abschied von einer fremd gewordenen oder nach der Taufe als Kleinkind nie vertraut gewordenen Glaubensgemeinschaft. Für Kirchendistanzierte mag auch das anhaltende Thema Missbrauch ein Anlass gewesen sein, die formelle Mitgliedschaft zu beenden, vermutete die Theologin. Die Debatte darüber in Deutschland oder auch in Frankreich sei nach Österreich übergeschwappt, obwohl Verantwortliche hierzulande bereits seit Jahren glaubwürdige Prävention betrieben.
Weg von "business as usual"
In der Kirchengeschichte habe es immer wieder Hoch- und Tiefphasen gegeben, erinnerte Polak. Insofern sei eine Trendumkehr in Bezug auf schwindende Religiosität in den westlichen Demokratien nicht auszuschließen, wenn auch aktuell nicht absehbar. Die Kirchen müssten weg von "business as usual", empfahl die Expertin. Dies bedeute zum einen die innere Vertiefung des Glaubens auf der Ebene von Gemeinden wie auch Individuen. "Man muss sich fragen: Was haben wir in einer sich geistig verändernden Welt zu sagen? Wie übersetzen wir unseren Glauben?", regte Polak an. Und zum anderen gelte es, die "Zeichen der Zeit" wahrzunehmen und auf gesellschaftliche Phänomene wie Armut, Krankheit oder Einsamkeit überzeugend zu reagieren.
Polak wies darauf hin, dass es auch in ihrer Bedeutung wachsende kirchliche Betätigungsfelder gebe: das etwa von der Caritas glaubwürdig umgesetzte Diakonale, der von vielen geschätzte Bereich Schule/Bildung oder die von Orden bzw. Kirchen getragenen Krankenhäuser.
"Nicht in Schockstarre verfallen"
Die Kirchenleitung solle angesichts wenig erfreulicher Zahlen jedenfalls "nicht in Schockstarre verfallen", so die Theologin. Es brauche starke Bischöfe, die pastorale Konzepte vor allem im Bereich der Kinder- und Jugendseelsorge umsetzen, die religiöse Bildung auch von interessierten Erwachsenen fördern und Gläubige in den Gemeinden ermutigen. Es gebe in Österreich nach wie vor beachtliche Ressourcen an Personal und Mitteln, über die vergleichbare Kirchen anderswo in Europa nicht verfügten - z.B. viele leer stehende Räume, über deren sinnvolle Nutzung man sich Gedanken machen sollte.
Bei Vorträgen in Pfarren erlebe sie schon immer wieder Frustration über den Relevanzverlust der Kirche, berichtete Polak. Die Mitglieder würden älter, das Nachwuchsproblem mache sich bemerkbar. Die im Zuge des Synodalen Prozesses der Weltkirche groß geschriebene Dialog- und Mitsprachebereitschaft solle sich nicht nur auf der obersten Kirchenebene niederschlagen, sondern auch an der Basis. Frauenförderung und Partizipation könne man auch vor Ort, auf Gemeindeebene, umsetzen, betonte die auch von der Bischofskonferenz als Fachfrau im Synodalen Prozess geschätzte Wiener Theologin. Und sie plädierte für eine "Binnenhorizonterweiterung" - also die Bereitschaft, nicht nur die eigenen Strukturprobleme zu bereden - "so wichtig die auch sind".
Am Mittwoch wurde die alljährliche Kirchenstatistik veröffentlicht. Die Katholikenzahl in Österreich ist demnach 2022 erneut zurückgegangen, insgesamt aber weitgehend stabil geblieben. Mit Stichtag 31. Dezember gab es in Österreich 4,73 Millionen Katholiken - um 1,96 Prozent weniger als im Jahr davor. Ein Grund dafür sind gestiegene Kirchenaustritte: 2022 traten insgesamt 90.808 Personen aus der Katholischen Kirche aus.
Quelle: kathpress