Benedikt XVI. betonte in seiner Soziallehre Bereitschaft zu geben
Eine wahrhaft humane Gesellschaft steht und fällt vielmehr mit der Bereitschaft von Einzelpersonen und Gruppen zu "geben", ohne dieses Geben unter die Bedingungen eigener Profit-Interessen zu stellen: Auf dieses von Papst Benedikt XVI. in seinem Rundschreiben "Caritas in veritate" (2009) formulierte Prinzip der "Gratuität" hat der Direktor der Katholischen Sozialakademie Österreichs (ksoe), Markus Schlagnitweit, am Dienstag aufmerksam gemacht. Er verglich diesen originären Beitrag Benedikts zur Katholischen Soziallehre mit US-Präsident John F. Kennedys (1917-1963) berühmter Aufforderung: "Frage nicht, was dein Land für dich tun kann. Frage, was du für dein Land tun kannst!"
Man werde die kirchliche Sozialverkündigung - anders als etwa bei seinem Vorgänger Johannes Paul II. - gewiss nicht als Schwerpunkt im päpstlichen Wirken Joseph Ratzingers in Erinnerung behalten, räumte Schlagnitweit in seinem Kathpress vorliegenden Nachruf ein. Viele Fachleute hätten dem in mancherlei Hinsicht neuplatonisch anmutenden Theologen auf dem Stuhl Petri "schlichtweg nicht zugetraut", dass ihn die brennenden sozialen Fragen seines Pontifikats wirklich zuinnerst berührt und bewegt hätten. "Zu häufig gerieten seine Äußerungen über die sozialen und kulturellen Entwicklungen der (Post-)Moderne zum Lamento eines aus seiner Sonderwelt heraus kritisch beobachtenden Intellektuellen, als dass man ihm echte Verankerung, Kompetenz und Glaubwürdigkeit in Fragen der Wirtschaft, der Politik und Gesellschaftsentwicklung zugebilligt hätte", merkte der ksoe-Direktor kritisch an.
Am ehesten noch könne "Caritas in veritate" als Benedikts "Sozialenzyklika" gelten. Schlagnitweit bedauerte, dass dieser Text jede Erwähnung einer kirchlichen Selbstverpflichtung auf die in ihr erhobenen Forderungen "im Sinne einer Vorbildwirkung und Stärkung ihrer Glaubwürdigkeit" vermissen lasse. In den unmittelbaren Vorgänger-Dokumenten der kirchlichen Soziallehre habe dies eigentlich schon zum Standard gehört.
Reaktion auf Finanzkrise von 2007/08
"Caritas in veritate" sei als Reaktion auf die schwere Finanz- und daraus folgende Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise von 2007/08 zu lesen, die Benedikt als Krise eines "zielblind gewordenen Markt-Totalitarismus'" interpretiere. Schlagnitweit ortet in dieser "Sozialenzyklika" sehr wohl Akzente, die bis heute aktuell und beherzigenswert sind: Die Prinzipien Gerechtigkeit und Gemeinwohl sollten sich demnach in einer gerechteren Verteilung der Vermögen konkretisieren, in einer Bekämpfung von Hunger und Arbeitslosigkeit, Abkehr von bloßer Konsumorientierung in Wirtschaft und Lebensstil, in einer kritischen Überprüfung und Neuausrichtung wirtschaftlichen Unternehmertums sowie in der Neuordnung und Regulierung der Finanzwirtschaft.
Außerdem befürworte Benedikt in seinem Rundschreiben den Einsatz erneuerbarer Energieformen, plädiere für eine politische Weltautorität mit globaler Gemeinwohlorientierung und fordere eine solidarische Form der Entwicklungszusammenarbeit ohne gewinnsüchtige Hintergedanken. "Das alles war im Kontext kirchlicher Sozialverkündigung bereits 2009 nicht mehr wirklich neu", bleibt nach den Worten des österreichischen Sozialethikers aber eine immer noch gültige und zugleich unzureichend umgesetzte Aufgabe einer Politik, die das Welt-Gemeinwohl im Blick hat.
Marktkonformität ist zu schwaches Fundament
Ein "originärer" Gedanke Benedikts in "Caritas in veritate" verdient laut Schlagnitweit allerdings besondere Aufmerksamkeit - eben die Idee, dass das Prinzip der "Gratuität" in das wirtschaftliche Handeln zu integrieren sei; und diese Geschenkhaftigkeit bzw. Unentgeltlichkeit sei auch Bedingung für ein gesellschaftliches Zusammenleben im Sinne des Gemeinwohls. Soziale Interaktionen, "die nur im Prinzip des marktkonformen Austauschs warenförmiger und also handelbarer Leistungen gründen", seien dafür ein allzu schwaches Fundament, gab Schlagnitweit die Überzeugung Benedikts wieder.
Diese "für reine Markttheoretiker vielleicht provozierende, unter Umständen sogar verstörende Idee der Gratuität" ist laut dem ksoe-Direktor geeignet, "an den eigentlichen Sinn und Zweck menschlichen Wirtschaftstreibens zu erinnern: Dienst an Mensch und Gesellschaft".
Quelle: kathpress