Theologin: Jesus würde am Christkindlmarkt zu den Bettlern gehen
Zum Spannungsfeld zwischen weihnachtlichem Kommerz, sozialer Verantwortung und dem, was im Leben wirklich wichtig ist, hat die Wiener Pastoraltheologin Prof. Regina Polak Stellung genommen. Sie äußerte sich am Wochenende im Interview mit den "Salzburger Nachrichten".
Zur Frage, wie es Jesus ergehen würde, wenn er in einen Advent- oder Weihnachtsmarkt käme, meinte Polak: "Ich glaube, er würde sich unter die Leute mischen und einfach fragen, was sie beschäftigt, was ihnen Freude macht, was ihnen Sorge bereitet ... Wenn ein Gespräch tiefer ginge, würde er auch fragen, wie es mit der Beziehung zu Gott ausschaut. Vor allem aber würde er an die Ränder gehen, denn dort sitzen - soweit das überhaupt noch erlaubt ist - jene Menschen, die einen Außenseiterstatus haben: Obdachlose, Bettler, Flüchtlinge oder auch Betrunkene."
Wenn diese Menschen nicht zu finden sind am Rande eines Weihnachtsmarkts, würde Jesus fragen, wo die denn sind. Ob man sie auch im Blick hat oder ob man sie ausgesperrt hat.
Dass im Advent plötzlich der Kommerz beklagt wird, scheine zum alljährlichen Ritual zu gehören. Gleichzeitig seien die Geschenke das Wichtigste. Das sei ein eigenartiger Widerspruch, so Polak: "Einerseits klagen alle über den Kommerz, andererseits wird der Eindruck erweckt, dass unser ganzes Wohl und Wehe davon abhängt. Ich glaube, dass viele Menschen diesen Zwiespalt spüren: Irgendetwas ist nicht gut an der Art, wie wir leben, weil wir alle eingebunden sind in ein Wirtschaftssystem, von dem viele auch profitieren."
Wirtschaften, also kaufen und verkaufen, sei eine menschliche Tätigkeit, um leben zu können. Aber in der Bibel stehe das Wirtschaften wie jeder andere Lebensbereich unter den Regeln Gottes. Die Frage sei, "ob die Strukturen gerecht sind, unter denen gewirtschaftet wird". Ungerecht sei es, "wenn der Kommerz nur einer bestimmten Schicht möglich ist und viele Menschen ausgeschlossen sind, weil sie kein einziges Geschenk kaufen können. Oder wenn die Arbeitsbedingungen für die Herstellung von Geschenken ungerecht sind."
Es gebe freilich die Sehnsucht, "dass man sich im Advent auf das Weihnachtsfest vorbereitet, dass das Leben anders und schöner sein könnte". Das würde aber auch eine geistige und seelische Vorbereitung bedeuten, und dafür brauche man Zeit. Diese fehle aber, "weil man sich aus diesem dominanten System der Wirtschaft nicht ohne Weiteres ausklinken kann". Das sei bedenklich, denn es brauche dringend die Zeit für Besinnung und die Frage, "ob wir so leben wollen".
Derzeit hätten viele das Gefühl, "dass vor allem diejenigen mehr profitieren, die ohnehin schon viel haben", so Polak. Und: "Da sind wir nahe bei dem Wort von Papst Franziskus, 'diese Wirtschaft tötet'. Papst Franziskus ist hier sehr genau. Er sagt nicht, die Wirtschaft tötet, sondern diese Wirtschaft tötet. Es gibt eine Wirtschaft, die ihren Preis hat - und diesen Preis bezahlen Menschen." Es sei eine Wirtschaft, in der die Schere zwischen Arm und Reich größer wird. Durch die Pandemie seien viele Millionen Menschen mehr unter die Armutsgrenze gefallen. Der Krieg tue noch ein Übriges dazu.
Reichtum muss dem Gemeinwohl dienen
Reichtum sei in der Bibel nicht grundsätzlich verpönt, aber er sei gemeinwohlpflichtig, betonte die Theologin. "Bei den Kirchenvätern heißt es, das Geld, das die Reichen den Armen geben, ist kein Geschenk, sondern die Reichen geben nur, was den Armen längst gehört", so Polak. Alle Menschen hätten ein Recht darauf, dass sie ihren gerechten Teil von den Ressourcen dieser Erde bekommen. Bei Jesus komme die Facette hinzu, "was der Reichtum mit der Seele des Menschen macht. Wenn ich dauernd damit zu tun habe, meinen Reichtum zu vermehren und zu schützen, dann kostet mich das die Zeit, die ich für Wesentlicheres benötigen würde".
Fazit der Theologin: "Wir müssen aufwachen und zusehen, wie wir das Leben so gestalten können, dass es nicht zu spät ist. Dafür ist Weihnachten wichtig, weil es - religionsgeschichtlich einmalig - ein Kind ins Zentrum stellt: Was ist zu tun, damit die Kinder noch einen halbwegs belebbaren Planeten vorfinden? Was ist zu tun, damit Weihnachten heuer ein Fest der Hoffnung wird?"
Quelle: kathpress