Tiroler Missbrauchsbericht: "Es ist Scham, die ich empfinde"
Nach der Veröffentlichung des Abschlussberichtes "Demut lernen. Kindheit in konfessionellen Kinderheimen in Tirol nach 1945" hat sich der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler im ORF-Fernsehen erschüttert und "beschämt" über die Berichte gezeigt. "Es bewegt mich zutiefst, wenn ich die Berichte lese und an mich heranlasse - und es ist auch Scham, die ich empfinde", sagte Glettler in der ORF-Sendung "Orientierung" (Sonntag). Am vergangenen Mittwoch hatte Glettler bereits in einer Aussendung gemeinsam mit der Tiroler Soziallandesrätin Eva Pawlata zum Abschlussbericht der unabhängigen "Dreierkommission Martinsbühel" Stellung genommen, in dem strukturelle, psychische, physische und sexuelle Gewalt in kirchlichen Heimen dokumentiert wird.
Die geleistete Forschungsarbeit sei ein "wichtiger Schritt", erklärte Glettler im ORF-Fernsehen weiter. Es sei wichtig, "die Geschichte anzuschauen und wahr sein zu lassen, was wahr ist". Die Berichte zeugten von einem "pädagogischen Totalversagen", so Glettler. "Die vielen Fälle sexualisierter Gewalt und das lange Schweigen sind wirklich beschämend." Aus heutiger Sicht "kaum verstehbar" sei zudem, dass in den untersuchten Heimen Menschen "ohne jede sonderpädagogische Ausbildung" tätig gewesen seien, die nicht zuletzt "mit der Situation überfordert" und ohne jede Begleitung oder Supervision, wie sie heute Standard sei, waren.
Die "Dreierkommission Martinsbühel" wurde 2019 vom Land Tirol, der Diözese Innsbruck sowie den Vertretern der Ordensgemeinschaften eingesetzt. Ihr Ziel ist es, dass unabhängige Experten die Vorkommnisse rund um das Kinderheim Martinsbühel aufarbeiten - vor allem bezogen auf die strukturellen Hintergründe. Im Zuge der Aufarbeitung wurde allerdings festgestellt, dass Bedarf für eine Untersuchung weiterer Einrichtungen besteht. Aus diesem Grund wurde das Forschungsprojekt auf weitere kirchliche Heime in Tirol nach 1945 ausgeweitet. Konkret wurden die Heime Martinsbühel, Scharnitz, das Josefinum/Volders, die Bubenburg/Fügen, St. Josef/Mils, Thurnfeld/Hall und das Elisabethinum/Axams untersucht.
Nach einem öffentlichen Aufruf konnten in den vergangenen zwei Jahren 75 Personen interviewt werden. Sie lebten entweder als Kinder bzw. Jugendliche in diesen Einrichtungen oder haben sich als Zeitzeugen gemeldet, weil sie dort gearbeitet hatten oder in anderer Weise Auskunft geben konnten und wollten. Die wissenschaftliche Leitung bzw. Aufarbeitung lag beim Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck und dem Wissenschaftsbüro Innsbruck.
Der Abschlussbericht ist auf der Website des Landes unter www.tirol.gv.at/martinsbuehel sowie auf der Website der Diözese Innsbruck unter www.dibk.at/martinsbuehel und der Website der Universität Innsbruck unter www.uibk.ac.at/zeitgeschichte/studie-zu-martinsbuehel abrufbar.
Quelle: kathpress